Süddeutsche Zeitung

Handball-WM:Der Handball verliert die Gesichter

  • Die Handball-WM können Zuschauer in Deutschland nur im Internet verfolgen.
  • Das Zwischenfazit fällt insgesamt positiv aus: Die Übertragung auf dkb.de klappt - bis auf einen Aussetzer - wunderbar.
  • Trotzdem wird klar, wie sehr die Sportart von einer Übertragung bei den öffentlich-rechtlichen Sender profitiert hätte.

Von Saskia Aleythe

Natürlich gab es vor dieser Handball-WM ein paar Witzchen. "Übertragung gesichert: DKB zeigt Handball-WM live auf Geldautomaten" schrieb das Satiremedium Der Postillon in Anlehnung an die Bank, die sich kurz vor Turnierstart die Übertragungsrechte für Livebilder in Deutschland gesichert hatte. Ein amüsantes Szenario, an das man beim ersten Spiel der deutschen Handballer erinnert wurde. Da fiel der Livestream plötzlich aus, zwischen der fünften und 23. Minute ging nichts mehr. Nur ein schwarzer Bildschirm statt Sprungwürfen und Torhüterparaden. Ein übertragender Geldautomat in der Nähe wäre da sehr praktisch gewesen.

Das Projekt Handball-WM im Internet ist ein Novum: Beinahe hätten die Spiele des amtierenden Europameisters unter Ausschluss der deutschen Öffentlichkeit stattgefunden, erst in letzter Minute kam die Notlösung zustande, einen Livestream im Internet anbieten zu können. Die deutschen Handballer sind mittlerweile ins Achtelfinale eingezogen, auch das Zwischenfazit für die Handball-WM im Internet fällt - bis auf den ersten Aussetzer, der am katarischen Rechtegeber beIN Sports gelegen haben soll - positiv aus: Die Übertragung klappt wunderbar. Statt vor dem Fernseher sitzen viele Fans nun vor dem Computer. Für den Sport ist die Notlösung dennoch ein Problem.

Zwei der kundigsten Handballexperten im TV kommentieren

Die Internetadresse dkb.de und zwei Mausklicks braucht es, dann ist der handballwillige Zuschauer im Livestream angekommen: Zwischen zwei und drei Spiele täglich werden übertragen, auch Partien ohne deutsche Beteiligung und davon in der Regel die sportlich attraktivsten. In HD-Qualität und ruckelfrei, wenn die Internetverbindung das hergibt. Da die DKB schon seit Jahren Großsponsor der Handball-Bundesliga ist, hatte sie schnell eine Besetzung für die Kommentatoren-Posten gefunden: Mit Uwe Semrau und Markus Götz transferierte man die kundigsten Handballexperten des deutschen Fernsehens in den eigenen Livestream. Beide moderieren sonst abwechselnd die Bundesliga bei Sport1 - besser hätte es die Zuschauer der Handball-WM nicht treffen können.

Trotzdem wird klar, wie sehr die Sportart von einer Übertragung bei den öffentlich-rechtlichen Sender profitiert hätte. Doch die Bemühungen der ARD (und anderer Sender) waren an den komplizierten Vorgaben des katarischen Rechtsinhabers gescheitert. beIN verlangte, dass die deutschen Sender ihr Signal verschlüsselt versenden, so dass die Spiele nur im Inland zu sehen sind. Technisch nicht umsetzbar, erklärte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky im Gespräch mit dem NDR-Magazin Zapp: "Jeder Deutsche hätte sich eine 2,50-Meter-Schüssel aufs Dach stellen müssen." Oder die ARD hätte ihre Satelliten abschalten müssen. Da lehnte der Sender lieber ab.

15 Minuten vor Anpfiff starten die Live-Bilder im Internet, die Kamera starr aufs Spielfeld gerichtet. Unkommentiert, unterlegt mit Musik aus der Sporthalle, genauso während der Halbzeitpause. Vor- und Nachberichte gibt es im Stream nicht - und der wohl schmerzhafteste Verlust: auch keine Interviews. Persönliche Identifikation ist in einem Mannschaftssport ohnehin schon schwierig, ohne die Präsentation einzelner Gesichter fast unmöglich.

Handball im Fernsehen, das waren bei der EM vor einem Jahr auch Interviews in der Halbzeitpause, zumeist sprach Teammanager Oliver Roggisch über die Befindlichkeiten der Truppe. Die bleiben nun auf der Bank oder gleich in der Kabine. Wenn der Ball ruht, sind die Handballer und ihre Emotionen unsichtbar.

Darüber hinaus ist das Problem derjenigen, die nicht zur Generation Netflix gehören und sich Internetangebote selbst im Schlaf auf den Fernseher holen können, ein gewichtiges: Vor allem die Älteren finden den Livestream nicht, die Durchzapper haben keine Chance, beim Handball hängenzubleiben. Und das ist spürbar. 3,8 Millionen Zuschauer hatte die Handball-EM im vergangenen Jahr als schlechteste Quote, fast 13 Millionen Zuschauer als beste. Bei dieser WM liegen die höchsten Abrufzahlen bisher bei 610 000 Zuschauern. Beim Deutschen Handballbund ist man mit dieser Zahl "sehr zufrieden", sagt Generalsekretär Marc Schober, auch die DKB äußert sich auf Nachfrage positiv. "Es gibt keine Refinanzierung über Abrufzahlen", sagt eine Sprecherin, "wir gehen davon aus, dass dieses Engagement positiv auf das Image der Marke DKB wirkt".

DHB-Mann Schober versucht, die Zahlen einzuordnen. "Bei einer Europameisterschaft geht es gleich zur Sache, anders als bei einer WM", sagt Schober. Tatsächlich ist die Leistungsdichte der Mannschaften höher, schon Vorrundenspiele gegen Spanien und Slowenien sind spannender als solche gegen Saudi-Arabien und Chile. Dennoch ist der Unterschied der Zahlen eklatant. "Natürlich gibt es Wachstumspotenzial bei den Abrufzahlen", sagt Schober, "aber das Turnier hat erst begonnen - ab dem Spiel gegen Kroatien und den Ausscheidungsspielen kann das schon wieder anders aussehen."

Beim DHB beobachtet man genau, wie der Sport über andere Kanäle ins Land transportiert wird. Zeitungen, Social Media, Bewegtbilder in der Nachberichterstattung der Fernsehsender, das stimmt zufrieden. Am Ende der WM wird es dennoch ein Fazit geben, wie sehr die fehlende Präsenz als Livesport im Fernsehen den Handball schmerzt. "Für die Entwicklung einer Sportart brauchen wir möglichst eine große Reichweite", meint Schober schon jetzt: "Das sagt alles."

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