Handball-WM:Das Grundgerüst steht

Deutschland - Brasilien

Durchsetzungsfähig: Nicht nur wegen seiner sieben Tore gegen Brasilien war Johannes Golla einer der WM-Gewinner in der deutschen Auswahl.

(Foto: Petr David Josek/dpa)

Nachdem ihr WM-Aus vorzeitig besiegelt ist, nutzen die deutschen Handballer die verbleibenden Spiele als Vorbereitung für die Olympia-Qualifikation. Einige haben sich bereits beim Bundestrainer dafür empfohlen.

Von Joachim Mölter, Kairo/München

Der Isländer Alfred Gislason ist ein für gewöhnlich unaufgeregter Mann, pragmatisch veranlagt und lösungsorientiert; einer, der sich nicht lange damit aufhält, über etwas nachzudenken, was er sowieso nicht beeinflussen kann. Dachte man zumindest. Am Sonntag hat der 61-Jährige aber zugegeben, dass ihn ein unabänderliches Geschehen doch mehr beschäftigt, als man vermuten würde. "Ich ärgere mich noch heute schwarz, dass wir das Spanien-Spiel nicht gewonnen und kein Unentschieden gegen Ungarn geschafft haben", blickte der Handball-Bundestrainer auf die bereits am Donnerstag (28:32) und am Dienstag (28:29) verlorenen WM-Partien zurück, die seiner Mannschaft beim Turnier in Ägypten letztlich das Vorrücken ins angestrebte Viertelfinale verbaut hatten. "Das ärgert mich jede Stunde", bekräftigte Gislason.

Europameister Spanien und der nächste EM-Gastgeber Ungarn hatten am Samstag mit weiteren Siegen ihre Teilnahme an der K.-o.-Runde der letzten Acht vorzeitig gesichert, noch ehe die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) am Abend zu ihrer vorletzten Hauptrundenpartie gegen Brasilien antrat. Der 31:24-Erfolg war für die laufende WM dann zwar bedeutungslos, aber nicht für Gislason. Der hatte die beiden verbliebenen WM-Auftritte ganz pragmatisch und lösungsorientiert umfunktioniert - als Testspiele für die bevorstehende Olympia-Qualifikation. "Es sind nur sechs Wochen bis dahin", erinnert Gislason, "deswegen ist jede Erfahrung, die wir sammeln, wichtig."

Bob Hanning deklariert die WM-Partie gegen Polen bereits als "Vorbereitungsspiel für Olympia"

Bereits Mitte März kämpft das DHB-Team in Berlin gegen Schweden, Slowenien und Algerien um einen Startplatz bei Olympia in Tokio; bis dahin lässt der eng getaktete Terminplan kein Länderspiel mehr zu. Die abschließende WM-Partie gegen Polen am Montag (20.30 Uhr/ARD) bezeichnete DHB-Vizepräsident Bob Hanning nach der Begegnung mit Brasilien daher als "das zweite Vorbereitungsspiel für Olympia". Für die anwesenden Nationalspieler sei es "eine weitere Möglichkeit, sich für die Olympia-Qualifikation zu bewerben".

Alfred Gislason war ja mit einem stark ersatzgeschwächten Kader nach Ägypten gereist, fast ein Dutzend Kandidaten hatte ihm abgesagt, teils wegen aktueller Blessuren, teils wegen gerade erst überstandener Verletzungen, teils wegen Corona-Bedenken. Vor allem die Abwehrspezialisten Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek (beide Kiel) und Finn Lemke (Melsungen) wurden schmerzlich vermisst. Für das Turnier in Berlin hofft Gislason nun, "dass uns jeder wieder zur Verfügung steht, der für die WM abgesagt hat. Dann haben wir große Möglichkeiten". Torwart Johannes Bitter ahnt bereits: "Das Team, das hier in Ägypten ist, wird so wahrscheinlich nie wieder zusammenspielen."

Man braucht nicht viel Phantasie, um sich auszurechnen, wer wohl nicht mehr dabei ist: Kaum eingesetzte Ergänzungsspieler wie Moritz Preuß (Magdeburg) oder Antonio Metzner, aber auch der im Innenblock aufgestellte Sebastian Firnhaber (beide Erlangen). Firnhaber hat in diesem Monat sein erstes Länderspiel gemacht, und so wie es aussieht, wird er in diesem Januar auch sein letztes machen: Ihn hatten sowohl die Ungarn als auch die Spanier als Schwachstelle im deutschen Abwehrzentrum ausgemacht und ständig mit Erfolg attackiert. Dem 26-Jährigen kann man freilich kaum einen Vorwurf machen deswegen: Was kann er denn dafür, wenn auf seiner Position kein Besserer zur Verfügung steht? Zum Spiel gegen Polen sagte Gislason jedenfalls: "Ich kann nicht allen eine Chance geben, aber ich möchte möglichst vielen eine Chance geben." Im Hinblick auf die Olympia-Qualifikation werde er da "sicherlich auch das ein oder andere probieren".

Bedenken wegen der Rückkehrer hat Gislason nicht: "Alles, was wir hier gespielt haben, können die Kieler in- und auswendig."

Einige Akteure haben sich bereits nachdrücklich für eine weitere Berücksichtigung empfohlen, der Kreisläufer Johannes Golla zum Beispiel, nicht nur wegen seiner sieben Tore gegen Brasilien. Der 23 Jahre alte Flensburger machte als Interims-Abwehrchef ebenfalls einen guten Eindruck. Auch Leipzigs Spielmacher Philipp Weber nutzte die Absenz etlicher Stammspieler für eine Bewerbung. Die von ihm orchestrierte Offensive wurde durchweg gelobt. "Der Angriff war viel besser als in den letzten drei Jahren, da war mehr Fluss drin", fand DHB-Vize Hanning, "wir haben nur zu viele klare Möglichkeiten ausgelassen." Damit haderte auch Gislason am Sonntag noch: "Wir hätten schon ganz gute Chancen gehabt, weiterzukommen. Da war deutlich mehr drin für diese Mannschaft."

Der Isländer nimmt trotzdem viele positive Erkenntnisse mit von seinem ersten Turnier als Bundestrainer. "Wir haben jetzt ein Grundgerüst erstellt, das uns im März helfen wird. Wenn wir alle an Bord haben, dann haben wir eine Mannschaft, die richtig gut sein kann." Bedenken, dass sich die absenten Akteure in dieses Gerüst einfügen lassen, hat er nicht: "Alles, was wir hier gespielt haben, können die Kieler in- und auswendig. Da brauchen sie keine zehn Minuten, um reinzukommen." Gislason muss es wissen, er hat den THW Kiel ja jahrelang trainiert.

Auch Bob Hanning sieht den künftigen Aufgaben optimistisch entgegen. "Ich bin überzeugt, dass wir um olympisches Gold spielen werden", versichert er: "Ich wüsste nicht, warum wir dieses Ziel korrigieren sollten."

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