Handball-WM:Berges Meisterstück

Handball-WM: Mit seinen Norwegern im WM-Finale: Trainer Christian Berge.

Mit seinen Norwegern im WM-Finale: Trainer Christian Berge.

(Foto: Thomas Samson/AFP)

Angereist mit einer Wildcard und einer Mannschaft, der niemand viel zugetraut hat, steht Norwegen plötzlich in Paris im WM-Finale. Dem norwegischen Trainer steht eine große Karriere bevor.

Manchmal erzählt ein Bild schon die ganze Geschichte, oder es weist mindestens auf die Geschichte hin. Die norwegische Handball-Nationalmannschaft hat beim Weltverband IHF vor der WM in Frankreich ein Mannschaftsfoto eingereicht, das genauso gut das Mannschaftsbild eines Drittligisten sein könnte. Vorne, neben dem obligatorischen Arztkoffer, stehen drei Trinkflaschen und ein Rucksack mit Sponsorenaufschrift. Hinten sind exakt drei Tribünenreihen vor einer Holzwand zu sehen.Und in der mittleren Reihe steht Trainer Christian Berge und grinst, als würde er sagen wollen: Ja, unterschätzt uns mal schön.

Berge, 43, sprang am Freitagabend neunmal in die Luft, und zwar im Pariser Palais Omnisports, der 15 000 Zuschauer fasst, also weit mehr Tribünenreihen hat als drei. Danach versank der Trainer zwischen seinen Spielern im Freundentaumel. Norwegen, das nur durch eine Wildcard überhaupt für das Turnier qualifiziert ist, hatte nach einem Sieg gegen Kroatien das Finale erreicht und greift unter Berges Führung am Sonntag (17.30 Uhr) im Endspiel gegen den scheinbar übermächtigen Gastgeber Frankreich erstmals überhaupt nach dem WM-Titel. Rechnen konnte damit niemand. Oder doch?

Norwegens bestes WM-Resultat? Platz sechs im Jahr 1958

"Ich bin so stolz auf meine Spieler. Wir haben das ganze Spiel daran geglaubt, dass wir es schaffen können. Das war der Schlüssel", sagte Berge nach dem Halbfinal-Krimi gegen Kroatien (28:25 nach Verlängerung). Der Glaube an die Überraschung, er ist im Laufe des Turniers immer größer geworden. Doch der Erfolg gegen den Favoriten aus Kroatien war Berges bisheriges Meisterstück.

Norwegens bestes WM-Resultat datierte bis dato mit Platz sechs aus dem Jahre 1958. Erfolgreich waren bislang eigentlich nur die Frauen. Die sind seit zwei Jahrzehnten das Maß der Dinge weltweit: Seit 1998 haben die Norwegerinnen sieben Europameister- und drei Weltmeister-Titel geholt, dazu zwei Olympiasiege, 2008 und 2012. Nun ist erstmals der Titel für die Männer zum Greifen nah. "Das ist mein größter Traum, dies mit der Nationalmannschaft zu erleben", sagte Kapitän Bjarne Myrhol dem dänischen TV-Sender TV2 weinend nach dem gewonnenen Halbfinale. Nun spielen sie um den WM-Titel, gegen den nächsten Favoriten.

Daheim, vor frenetischen Zuschauern, soll gegen den norwegischen Underdog für Frankreich der sechste WM-Titel her. "Wir bringen 200 Prozent auf dem Spielfeld, um etwas zurückzugeben", sagte Superstar Nikola Karabatic. Der Titelgewinn wäre für Les Experts, wie die französische Nationalmannschaft genannt wird, ein ganz besonderer: Der goldene Schlusspunkt einer Generation von Ausnahmenkönnern, zu denen auch die früheren Bundesliga-Spieler Thierry Omeyer und Daniel Narcisse gehören. Mit dem Ende des Heim-Turniers wird mit einer Flut von Rücktritten gerechnet, viele Stars der Franzosen sind in die Jahre gekommen.

Die Franzosen sind am Ende einer Ära angelangt

Keeper Omeyer, der seit mehr als 17 Jahren das französische Tor hütet und auch bei der WM starke Leistungen zeigte, ist inzwischen 40 Jahre alt. Rückraumspieler Narcisse ist 37 Jahre alt, Karabatic ist 32, Rechtsaußen Luc Abalo auch. Mit all diesen Ausnahmekönnern dominiert Frankreich seit vielen Jahren das Geschehen im Welthandball, 26 Goldmedaillen sind im aktuellen Kader vereint.

Die Norweger sind im Durchschnitt 25,4 Jahre alt, mit die jüngste Mannschaft überhaupt im Turnier. Sie spielen schwungvollen Tempo-Handball, kommen entweder per Gegenstoß oder mit hochtouriger Ballbewegung vors gegnerische Tor, zusammengerechnet trafen sie nur einmal weniger als die Franzosen.

Vielleicht hat Berge aber auch auf die französische Offensive eine Antwort. In kleine Hallen wird er nach dem Finale übrigens eher nicht zurückkehren. Der Bundesliga-Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt würde ihn gerne verpflichten.

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