Andreas Wolff bei der Handball-WM:Der große böse Wolff lernt das Lachen

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Deutlich gelöster bei dieser WM als bei den Turnieren davor: Torhüter Andreas Wolff ist der sichere Rückhalt für die deutschen Handballer. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Deutschlands Torwart glänzt bei der WM mit Weltklasseleistungen und ist der große Rückhalt für sein Team. Das liegt auch daran, dass er seine Herangehensweise an den Sport radikal verändert hat.

Von Ralf Tögel, Kattowitz

Es sind spektakuläre Motive, die der Handball-Torwart Andreas Wolff derzeit bei der Handball-WM in Polen und Schweden produziert. Seine Parade-Parade ist der Spagat im Stand, wenn er mit dem Fuß weit über dem Kopf gegnerische Würfe abwehrt. Das sind nicht nur gewaltige Bilder, das sind auch Aktionen, die bei den Gegnern Eindruck hinterlassen. Wenn ein Torhüter es schafft, in die Köpfe der gegnerischen Werfer zu kommen, wenn diese zu überlegen beginnen, ob sie den nächsten Wurf nehmen sollen, wenn sie zweifeln, dann hat der Torhüter schon gewonnen.

Andreas Wolff ist das in diesem Turnier immer gelungen - außer in der Partie gegen Serbien. Wolff war in den Köpfen der Katarer, der Algerier, der Argentinier und zuletzt der Niederländer. Man kann sagen: Wolff ist der große Rückhalt der deutschen Handballer, die bisher so famos durch das Turnier gestürmt sind und alle fünf Spiele, mit teils begeisternden Auftritten, gewonnen haben.

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Wenn man den 31-Jährigen dieser Tage trifft, sitzt man einem riesigen Kerl mit muskelbepackten Oberarmen gegenüber, 1,98 Meter groß, ein Kreuz wie ein Möbelpacker, Wolff ist eine beeindruckende Erscheinung. Bei dem Anblick kann man sich die Nervosität eines Werfers vorstellen, dem dieser Torhüter im Wandschrank-Format entgegenstürmt. Aber man trifft auch einen sehr entspannten Menschen, Wolff scherzt, lacht, gibt ausführlich und gerne Auskunft.

Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Wolff wurde von seinem Ehrgeiz getrieben, stets formulierte er vor großen Turnieren, dass er doch nicht teilnehme, nur um dabei zu sein: Eine Medaille war das Ziel, immer. Die gewann er 2016, als Deutschland mit dem Gewinn der Europameisterschaft die große Überraschung schaffte - im Übrigen in Polen. Mit einem jungen Wolff im Tor, der maßgeblichen Anteil an diesem Triumph hatte. Fortan wollten Ziele und Ergebnisse nicht mehr recht korrelieren - und daran hatte Wolff spürbar zu knabbern. Jetzt spricht er vom Spaß am Turnier, vom blendenden Teamgeist, von der Freude, mit den Teamkollegen so furios durch das Turnier zu marschieren.

"Ich habe Misserfolge zu stark bewertet, dann bin ich entsprechend aufgetreten", sagt Wolff zur Vergangenheit

Woran das liegt? "Mir geht es wie jedem anderen auch, ich bin älter geworden und auch ein bisschen gereift. Ich habe ja auch schon das ein oder andere erlebt." Früher sei ihm seine "riesige Erwartungshaltung" im Weg gestanden: "Ich habe Misserfolge zu stark bewertet, war frustriert, dann bin ich entsprechend aufgetreten." Es war nicht immer die reine Freude, sich mit Wolff nach Niederlagen zu unterhalten, er war missmutig, kurz angebunden, wenn er überhaupt etwas sagte. Tiefpunkt war die verkorkste EM in Bratislava vor einem Jahr, als sich der Torhüter nach zwei Partien auch noch mit Corona infizierte. Deutschland wurde Siebter, weit weg von einer Medaille.

Parade-Parade: Andreas Wolff im Stand-Spagat gegen den Niederländer Luc Steins. (Foto: Tilo Wiedensohler/camera4+/Imago)

Alles vergessen. "Ich habe das Thema auch mit einer Sportpsychologin aufgearbeitet", erzählt Wolff. Es habe ihn früher viel Kraft gekostet, negative Erlebnisse zu verarbeiten, er habe sich selbst immer viel zu viel Druck gemacht. Nun habe er seine Herangehensweise geändert, erzählt er, er akzeptiere auch schlechte Leistungen, Misserfolge, er habe gelernt, damit umzugehen: "Ich sehe alles viel lockerer."

Einst war Wolff beim Drittligisten TV Kirchzell ausgebildet worden, sein Wechsel zum TV Großwallstadt brachte ihn erstmals in das Licht einer größeren Öffentlichkeit. Als der Traditionsklub in die Zweitklassigkeit stürzte, wechselte Wolff zur HSG Wetzlar. Dort reifte er zum Nationalspieler, und es folgte der Wechsel zum deutschen Schwergewicht nach Kiel. Sein damaliger Trainer: Alfred Gislason - der heutige Nationalcoach. Die Zusammenarbeit indes gestaltete sich nicht immer reibungslos, zumal er sich die Torhüterposition mit einem gewissen Niklas Landin teilen musste. Der zweimalige Welthandballer gilt vielen seit Jahren als weltbester Schlussmann, er erhielt immer öfter den Vorzug vor Wolff.

"Ich fürchte, ich werde es nicht mehr schaffen, zu null zu spielen", sagt Wolff zur Zukunft

Der nahm schließlich ein lukratives Angebot des polnischen Serienmeisters KS Kielce an, glänzte mit starken Leistungen und musste sich im Vorjahr im Champions-League-Finale dem FC Barcelona erst nach Siebenmeterschießen beugen. Kein Grund, um in ein Loch zu fallen, nicht mehr. Er habe mittlerweile gelernt, das Spiel zu genießen, erzählt Wolff, weitgehend unabhängig vom Ergebnis, wie er lachend anfügt. Die Kieler Zeit hat offensichtlich keine negativen Spuren im Verhältnis zu Gislason hinterlassen. Das ist Vergangenheit, sagt Wolff, in Katowice habe der Isländer großen Anteil am deutschen Höhenflug: "Alfred gibt uns eine gewisse Gelassenheit, er hat unglaublich viel Erfahrung und Kompetenz, er hat alles erlebt, er schafft ein gutes Klima."

Auch die Zusammenarbeit mit seinem Torwartkollegen Joel Birlehm und Torwarttrainer Mattias Andersson trage viel zum Erfolg bei. Die Torhüter sind ja immer eine Gruppe in der Gruppe, Wolff schwärmt von der erstklassigen Stimmung, es gebe keinen Konkurrenzkampf, man ergänze und unterstütze sich vielmehr. Birlehm hat zudem bewiesen, dass er im Bedarfsfall in die Bresche springen kann, der 25-Jährige rettete den Sieg gegen Serbien.

Und noch eine Erkenntnis habe zum neuen, dem entspannten Wolff beigetragen, wie er erzählt: "Ich habe es noch nicht geschafft, zu null zu spielen. Und ich fürchte, das werde ich auch nicht mehr schaffen. Aber ich habe gelernt, den Frust zu bewältigen."

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