Süddeutsche Zeitung

Handball-WM in Ägypten:"Wir waren ein Stück weit erleichtert"

Das ausgefallene Gruppenspiel gegen die Kapverden ermöglicht dem DHB-Team, sich im Training noch besser einzuspielen. Die Kritik der WM-Teilnehmer an den Umständen vor Ort wird leiser.

Von Joachim Mölter

Die deutschen Handballer haben auch ihr zweites Vorrundenspiel bei der Weltmeisterschaft in Ägypten gewonnen, und nach dem mühelosen 43:19 am Freitag über Uruguay mussten sie sich gegen den zweiten WM-Neuling Kapverden noch weniger anstrengen. Weil das kapverdische Team wegen weiterer Corona-Fälle nicht genügend einsatzfähige Spieler zusammenbrachte, sagte der Weltverband IHF am Sonntagvormittag die für den Abend vorgesehene Partie ab: Sie wird nun mit 10:0 Toren sowie 2:0 Punkten für die Auswahl des Deutschen Handballbundes gewertet. Das DHB-Team hat damit bereits vor dem abschließenden Vorrundenduell mit Ungarn am Dienstag (20.15 Uhr, ZDF) die Teilnahme an der Hauptrunde sicher.

Im DHB-Tross waren sie erfreut über die Absage. "Aus rein sportlicher Sicht fehlt uns diese Partie natürlich, weil wir mit unserer neuformierten Nationalmannschaft jede Wettkampfminute benötigen", sagte Sportvorstand Axel Kromer, "aber mit dem Verzicht fühlen wir uns wohler." Kapitän Uwe Gensheimer bestätigte das: "Wir waren ein Stück weit erleichtert." Zwar hätte ein Wettkampf dem Team gut getan, ergänzte der Linksaußen, "aber wir können auf diesem Niveau auch trainieren". Allein die Aussicht auf eine Begegnung mit den Handballern der Kapverden hatte die deutschen Spieler jedenfalls fast mehr ins Schwitzen gebracht, als es ein tatsächliches Kräftemessen hätte tun können.

Am Sonntag standen den Kapverden nur noch neun einsatzfähige Spieler zur Verfügung

Der Afrika-Vertreter hatte bereits während der WM-Vorbereitung sieben Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet, bei der Ankunft des Rest-Kaders in Ägypten am Donnerstag wurden vier weitere entdeckt. Dennoch durfte ein Rumpfteam mit elf verbliebenen gesunden Spielern am Freitagabend sein WM-Debüt geben - es verlor 27:34 gegen Ungarn. Tags darauf fielen dann die Testergebnisse von zwei weiteren Akteuren positiv aus; um die fällige Isolation aufzuheben, sind zwei negative Corona-Tests im Abstand von 48 Stunden nötig. Damit hatten die Kapverden am Sonntag nur noch neun einsatzfähige Spieler, mindestens zehn sind jedoch vorgeschrieben, um eine Partie anzupfeifen.

Die Teamleitung der Kapverden kündigte umgehend an, weitere Spieler nachkommen zu lassen, um wenigstens die Partie gegen Uruguay am Dienstag bestreiten zu können. Im Falle eines gar nicht einmal unwahrscheinlichen Sieges wären die Kapverden sogar für die Hauptrunde qualifiziert - erst drei verpasste Matches führen zum Turnierausschluss.

Dass die Kapverden überhaupt antreten durften, hatte für Unbehagen im deutschen Team gesorgt. "Aus meiner persönlichen Sicht ist das fahrlässig", kritisierte Nationaltorwart Johannes Bitter die WM-Teilnahme der Afrikaner: "Das ist ein zu großes Risiko für das Turnier." Der 38-Jährige gehört zu den vier Nationalspielern, die im November nach der Rückkehr von zwei EM-Qualifikationsspielen an Covid-19 erkrankten; der damalige Gegner Bosnien-Herzegowina hatte zuvor ebenfalls einige Corona-Fälle im Kader verzeichnet. Am deutschen WM-Spielort in Gizeh beschwichtigte Sportvorstand Kromer, dass nicht zweifelsfrei nachgewiesen sei, woher die Infektionen bei der EM-Quali stammten: "Aber wir wissen, dass nirgends eine garantierte Sicherheit besteht."

"Die ersten fünf bis sechs Tage kann man nicht der Organisation in Ägypten anlasten", findet Gesundheitsexperte Kainzinger

In der DHB-Delegation wissen sie natürlich auch, dass jeder neue Corona-Fall in Ägypten die Kritik befeuert, die hierzulande vor allem von Bundesligaklubs an der WM-Austragung und dem zugehörigen Sicherheitskonzept geübt wird. "Wir kriegen momentan immer wieder die Frage von außen: Was wird hier alles falsch gemacht?", berichtete Kromer am Sonntag. Wenn man unabhängigen Beobachtern des WM-Geschehens in der sogenannten Blase glaubt, dann ist dies gar nicht so viel, wie es vielleicht den Anschein hat.

"Die ersten fünf bis sechs Tage kann man nicht der Organisation in Ägypten anlasten. Das sind Fälle, die mitgebracht wurden", erklärt der Gesundheitsökonom Florian Kainzinger, der die Hygienekonzepte für den Neustart der Fußball-Bundesliga und das Finalturnier der Basketball-Bundesliga im vorigen Frühsommer verantwortet hat: "Jeder Fall, der danach kommt, wäre sehr viel stärker auf das lokale Hygienekonzept zu beziehen." Für den Gesundheitsexperten liegen die Schwierigkeiten "zumeist nicht bei den Spielen auf der Platte. Wenn ich die Bereiche im Hotel, in der Umkleidekabine und beim Essen sowie Außenschnittstellen der Blase nicht im Griff habe, wird es problematisch".

Nach anfänglichen Holprigkeiten scheint es diesbezüglich inzwischen runder zu laufen, das berichten zumindest die deutschen WM-Teilnehmer aus ihrem Hotel, und das ist auch aus anderen Mannschafts- und Medienquartieren zu hören. Selbst die Norweger, die sich zunächst lautstark über manche Umstände beschwerten, scheinen sich mittlerweile sicher zu fühlen in der Blase.

Der äußerst pragmatisch veranlagte Bundestrainer Alfred Gislason gewann der Absage des Kapverden-Spiels sogar einen positiven Aspekt ab. Er hat damit einen Tag Zeit gewonnen, um mit seiner Auswahl zu trainieren - und auch, um sie wieder aufzufüllen. Für den heimgereisten Rechtsaußen Tobias Reichmann, der sich im Auftaktspiel eine Knieverletzung zuzog, fliegt nun Patrick Groetzki ein. Mitmachen darf er freilich erst, wenn alle Corona-Tests negativ ausgefallen sind, da ergeht es ihm nicht anders als den Nachzüglern von den Kapverden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5177378
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/klef/bkl/ska
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.