Süddeutsche Zeitung

Ukrainischer Handballtorwart:Mit Händen und Füßen

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Der ukrainische Nationaltorwart Gennadiy Komok ist vor dem Krieg geflüchtet, spielt nun in der Bundesliga für die HSG Wetzlar - und startet bei seinem Debüt mit großen Paraden.

Von Nelis Heidemann

Die Sprache des Sports, das gilt selbst oder vor allem in Zeiten wie diesen, ist universell verständlich. Das zeigte sich am Sonntag eindrucksvoll in Wetzlar, beim Heimspiel der Bundesliga-Handballer gegen Tabellenführer SC Magdeburg (26:29). Erst am Freitag hatte die HSG die Verpflichtung des ukrainischen Nationaltorhüters Gennadiy Komok bekannt gegeben, nur zwei Tage später stand er in der stärksten Liga der Welt auf dem Feld. Und bot eine Leistung, als hätten der Kriegsbeginn und die Flucht aus dem eigenen Land keinerlei Spuren bei ihm hinterlassen.

Komok, 34, saß zu Beginn des Spiels noch auf der Bank, kam nach fünfeinhalb Minuten erstmals für einen Siebenmeter aufs Feld. Magdeburgs Schütze Omar Ingi Magnusson stand bereit, der Linkshänder gilt aktuell als wertvollster Spieler des Tabellenführers, wenn nicht gar der ganzen Liga. Magnusson hat aktuell die zweitmeisten Tore erzielt, ist obendrein ein sicherer Siebenmeterverwerter, dann baute Komok, 34, seine 1,97 Meter vor Magnusson auf - und hielt den Ball.

Der Jubel war angesichts der Umstände riesig, und Komoks Parade war der Auftakt in eine Anfangsphase, in der die Hessen (Tabellenplatz sieben) den bislang so souveränen Tabellenführer gehörig ins Wanken brachten. Zwischenzeitlich hütete der deutsche Nationaltorhüter Till Klimpke das Wetzlarer Tor, doch für die Siebenmeter-Strafwürfe kam Komok zurück. Und nachdem Magnusson bei seinem zweiten Versuch getroffen hatte, scheiterte er beim dritten Mal erneut am Ukrainer, der cool stehen blieb, als ihm Magnusson den Ball an den Füßen vorbei ins Tor mogeln wollte.

Ukrainische Spieler dürfen sich auch außerhalb der Transferperiode neuen Vereinen anschließen

So überraschend war die Leistung des Ukrainers aber nicht, Komok spielte auch vorher schon auf Top-Niveau: für den ukrainischen Tabellenführer HC Motor Saporoschje. Im Champions-League-Gruppenspiel Anfang Dezember etwa trieb er die Angreifer der SG Flensburg-Handewitt mit einer Quote von 42 Prozent gehaltener Bälle zur Verzweiflung.

Dass einer wie Komok nun in der Bundesliga pariert, ist für alle Parteien eine glückliche Fügung: Für den HSG-Kader, aber auch für Komok, der weiter seinem Job nachgehen kann und sich und seine Familie in Deutschland in Sicherheit weiß. Nach Kriegsbeginn wurde die ukrainische Liga sofort unterbrochen, die Nationalmannschaft konnte mit einer Sondergenehmigung ausreisen und hielt sich beim Zweitligisten TV Großwallstadt mit einem Trainingslager wettbewerbsfähig. Inzwischen ist die Mannschaft nach Rostock weitergereist, doch erste Spieler wie Komok haben bereits Anstellungen bei Klubs in Europa.

Dank einer Ausnahmeregelung ist es Spielern ukrainischer Vereine gestattet, sich auch außerhalb der Transferperiode anderen Vereinen anzuschließen. Wetzlar bestritt am 1. April ein Benefizspiel gegen die ukrainische Nationalmannschaft und wurde dort auf Komok aufmerksam. Der 34-Jährige war einziger Torwart der Ukrainer an diesem Tag und empfahl sich mit einer guten Leistung. Sein Stammklub Zaporozhye, bei dem das Gros der ukrainischen Auswahlspieler unter Vertrag steht, genehmigte die Leihe nach Wetzlar schnell und ohne große Umstände.

So kommt Komok immer besser in Wetzlar an, die Sprachbarriere ist allerdings noch ein Problem. Deutsch und Englisch spreche der Torwart "nur rudimentär", sagte Wetzlars Geschäftsführer Björn Seipp, momentan werde die Kommunikation häufig per Übersetzungs-App geregelt. Torhüterkollege Klimpke sagte grinsend, er und Komok kommunizierten "mit Händen und Füßen", was aber gut funktioniere. Sportler-Sprache eben: "Er hat sich super eingelebt und ist ein Top-Mann." Und viele Worte benötigen Torhüter auf dem Parkett ohnehin nicht.

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