Als sich die Nervosität endlich lichtete, hüpften die Flensburger wild durch ihre Halle. 700 Kilometer weiter südlich in Mannheim schlichen die Spieler der Rhein-Neckar Löwen bedröppelt übers Parkett. Die Handball-Bundesliga hat eines der nervlich aufreibendsten Saisonfinals erlebt - mit wilden Wendungen und dem glücklichen Ende für Flensburg, das mit Ach und Krach gegen Frisch Auf Göppingen den zwingend nötigen letzten Sieg sichern konnte. Die Flensburger feiern ihre erste Meisterschaft seit 2004, die Rhein-Neckar Löwen sind entthront.
Es war das würdige Ende einer arg kurzweiligen Saison, denn lange hatte es ausgesehen, als würden die Mannheimer nach 2016 und 2017 den dritten Titel in Serie einheimsen. Sie waren zur Stelle, als das Überraschungsteam Hannover-Burgdorf, das lange die Tabelle angeführt hatte, im Spätwinter absackte. Und als der THW Kiel sich früh selbst aus dem Rennen nahm. Noch Mitte Mai, kurz nach dem Sieg im DHB-Pokal, führten die Mannheimer die Tabelle mit vier Punkten Vorsprung an.
"Es ist total unwirklich, was ich gerade fühle"
Dann reihten sich seltsame Punktverluste aneinander: Niederlage in Berlin, Unentschieden in Erlangen, schließlich die wegweisende und peinliche Heimniederlage gegen Melsungen. "Wie ein Luftballon, der zerplatzt", beschrieb Löwen-Kapitän Andy Schmid das Dilemma seiner Mannschaft. Der Vier-Punkte-Vorsprung war futsch.
Und Flensburg packte zu. Wackelte zwar, fast über 60 Minuten im finalen Heimspiel gegen Göppingen, doch am Ende begann die Party mit den 6000 Zuschauern in der Halle. Die Spieler kugelten nach dem 22:21 (12:12) über den Platz und schrien ihre Nervosität, die sich aufgebaut hatte, frei heraus. Trainer Maik Machulla weinte völlig erschöpft ein paar Tränen. "Es ist total unwirklich, was ich gerade fühle", sagte Machulla beim Sender Sky.
Zwischenzeitlich war es sehr leise geworden in der Arena nahe der dänischen Grenze, weil die Göppinger über 55 Minuten lang als Spielverderber auftraten. Mit bloß sieben Feldspielern und zwei Torstehern war der Tabellenzehnte nach Flensburg gereist, doch Frisch Auf hielt blendend mit, führte zeitweise in den ersten 30 Minuten. Der famose Torhüter Primoz Prost fing mehrere freie Flensburger Würfe weg, SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke sah im Halbzeitinterview überhaupt nicht gut aus. Würde es wieder nicht reichen? Den Flensburgern haftete das böse Image des ewigen Zweiten an. "Vizeburg" wurde der Verein getauft, weil es nach dem Titel 2004 bloß siebenmal zur Vizemeisterschaft gereicht hat (zuletzt 2016 und 2017).
Als Kentin Mahé zu Beginn der zweiten Halbzeit seinen Siebenmeter sehr weit rechts am Tor vorbeisetzte, ahnten viele Zuschauer, dass dieser Tag auch böse enden könnte. Doch irgendwann konnten die dezimierten Göppinger läuferisch nicht mehr ganz gegenhalten. Bis zum 15:15 blieb es eng, dann begannen die Flensburger, ein paar Angriffe meisterlich abzuschließen. Die Göppinger Kräfte ließen nach, sie leisteten sich einen überflüssigen Wechselfehler. Flensburgs Ersatztorhüter Kevin Møller zeigte wichtige Paraden. Die SG erhöhte auf 18:16 und hielt diesen Zwei-Tore-Vorsprung, irgendwie, bis zum Schluss. Die Party konnte beginnen.
Für viele Flensburger ist es ein ganz besonderer Triumph. Für Holger Glandorf etwa, den langjährigen deutschen Nationalspieler, der in seiner 17. Profisaison doch noch deutscher Meister wird. Oder für Mattias Andersson, den schwedischen Torhüter, der seine Karriere nach 529 Bundesligaspielen nun mit dem Titel beendet, ebenso Kreisläufer Jacob Heinl, der den Klub nach 24 Jahren verlässt. Natürlich auch für Trainer Machulla, der in dieser Saison auch kritisiert wurde, als es phasenweise nicht lief. Er hat es nun tatsächlich in seinem ersten Jahr als Cheftrainer geschafft, seinen charismatischen Vorgänger Ljubomir Vranjes zu übertrumpfen.
Die Löwen hingegen müssen einen verpatzten Saisonendspurt betrauern. Zwischenzeitlich schien das Triple möglich, nun ist es "nur" der erstmalige Gewinn des DHB-Pokal geworden, in Meisterschaft und Champions League waren am Ende andere stärker. Das eigene Saisonendspiel gegen Leipzig wurde zwar mit 28:25 (13:12) knapp gewonnen, doch der Blick nach Flensburg zeigte, dass es nicht reichte: Dort gewann die SG, was die Löwen auf den bitteren Rang zwei verbannte.
Am Tabellenende kämpften bis zur letzten Minute die drei Aufsteiger dieser Saison um den Klassenverbleib. Nach dem neuen Modus müssen nur zwei Klubs absteigen, es traf schließlich TuS Nettelstedt-Lübbecke, das in Lemgo verlor, und den TV Hüttenberg, der erwartungsgemäß in Berlin eine Niederlage kassierte. So wurde bei den Eulen Ludwigshafen gefeiert: Das 32:29 (16:15) gegen Erlangen reichte zum Klassenerhalt. Der kleinste Klub der HBL hält die Klasse: Auch diese Geschichte passt wunderbar zu dieser Saison.