Handball:Verloren mit Applaus

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Das deutsche Nationalteam unterliegt im ersten Test nach der WM der Schweiz mit 27:29. DHB-Manager Bob Hanning bekommt dabei einen kleinen Wutanfall.

Von Michael Wilkening, Düsseldorf/München

Talent für die Problemposition im linken Rückraum: Der Göppinger Sebastian Heymann traf drei Mal bei seiner Länderspiel-Premiere. (Foto: Marianne Müller/imago)

Immer wieder machte Christian Prokop in den zurückliegenden Wochen Erlebnisse, die er nicht gekannt hatte. "Auf offener Straße", berichtete der 40-Jährige, "bin ich angesprochen und für die Leistungen bei der WM beglückwünscht worden." Der Handball-Bundestrainer zieht seit der Heim-Weltmeisterschaft im Januar viel Aufmerksamkeit auf sich - das war auch am Samstag in der großen Arena in Düsseldorf so, in der Prokop und die Nationalmannschaft von offiziell 11 593 Fans begeistert empfangen wurden. Das erste Länderspiel nach Platz vier bei der WM lieferte sportlich wenige Erkenntnisse, doch das war vom Test gegen die Schweiz kaum zu erwarten gewesen.

Prokop hatte seinen Kader kreativ komponiert, vielen WM-Startern eine Pause gegeben und damit in Kauf genommen, dass die Auswahl des Deutschen Handballbundes verliert, konkret mit 27:29 (10:9). Mitten im Saisonfinale der Klubs in der Bundesliga konzentrieren sich die Athleten auch darauf, die 60 Minuten ohne Blessur und Substanzverlust zu überstehen.

"Natürlich müssen wir testen, aber wir brauchen auch Resultate."

Prokops Vorgesetzter bekam am Spielfeldrand jedoch fast schon einen kleinen Wutanfall: "Das war keine genügende Leistung, das war zu wenig", bilanzierte Bob Hanning, DHB-Vizepräsident: "Natürlich müssen wir testen, aber wir brauchen auch Resultate." 20 Gegentore in der zweiten Halbzeit seien inakzeptabel, egal, wer da auf der Platte stehe. Schließlich habe nicht nur die Abwehr einen Ruf zu wahren - sie galt als eine der besten der WM. Und zentral postiert waren auch in Düsseldorf Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler, die beiden Hünen vom THW Kiel.

Obwohl das Resultat durchaus diskutabel war, so standen die atmosphärischen Bilder in Kontrast zu jenen aus dem Jahr zuvor. Damals war die Mannschaft als Neunter von der Europameisterschaft in Kroatien zurückgekehrt, das Verhältnis zwischen Spielern und Trainer war gestört, der Bundestrainer stand vor der Entlassung. In diesem Wissen signalisierte zumindest der Düsseldorfer Empfang die Botschaft, dass Prokop in relativer Ruhe werkeln kann, damit Halbfinalteilnahmen wie jüngst bei der WM zur Regel werden. Das jedenfalls ist die Erwartungshaltung im größten Handballverband der Welt.

Und der Bundestrainer weiß das: "Unser Ziel wird sein, bei der Europameisterschaft in neun Monaten wieder ins Halbfinale zu kommen", sagt Prokop. Ein halbes Jahr später bei den Olympischen Spielen in Tokio wollen die Deutschen den Gewinn der Bronzemedaille von 2016 in Rio de Janeiro wiederholen, mindestens. In der ausgiebigen WM-Analyse hatte Prokop noch viele positive Dinge entdeckt. "Drei, vier, fünf Prozent aber", so Prokop, würden seinem Kader noch zur absoluten Weltspitze fehlen, die derzeit von den Skandinaviern repräsentiert wird; Dänemark hatte im WM-Finale Norwegen besiegt. Ein Grund dafür, so Prokop: In entscheidenden Phasen habe seinen Spielern bisweilen der Mut zu Risiko und Tempospiel gefehlt.

Schraubt an einer weiter entwickelten Taktik, in der der schnelle Gegenstoß verbessert werden soll: Bundestrainer Christian Prokop. (Foto: imago)

Hinzu kommt, auch wenn Prokop dies in den Düsseldorfer Tagen nicht thematisierte, das Fehlen herausragender Individualisten im Rückraum. Das wurde auch am Samstag deutlich, denn den Deutschen gelang es nur selten, sich durch Leistungen eines Einzelnen aus komplexen Situationen im Angriff zu befreien. Während der Schweizer Regisseur Andy Schmid, der in der Bundesliga die Rhein-Neckar Löwen dirigiert, seine Weltklasse mit neun Toren bestätigte, kamen die Deutschen individuell über gute Ansätze kaum hinaus. Schmid verschwendet mit inzwischen 35 Jahren bereits erste Gedanken ans Karriereende. Im DHB-Team stehen einige Spieler am Anfang ihrer sportlichen Entwicklung: Linkshänder Franz Semper (Leipzig), mit vier Treffern bester Werfer, ist 21 Jahre alt; Spielmacher Tim Suton (Lemgo) ist 22. Und in Sebastian Heymann (Frisch Auf Göppingen, 21) feierte ein großes Talent seine Premiere im A-Team.

Perspektivisch gilt Heymann als Kandidat, der aus der Schaltstelle im linken Rückraum mit harten Würfen für die leichten Tore sorgen kann. In der zweiten Halbzeit eingesetzt, gelangen ihm noch drei Treffer. Er war damit der Auffälligste der Düsseldorfer Debütanten, mehr Startschwierigkeiten hatten Rechtsaußen Timo Kastening (Hannover, 2 Treffer), Kreisläufer Johannes Golla (Flensburg, 1) und Torwart Christopher Rudeck (Bergischer HC).

Rudeck war nach der Pause noch gar nicht richtig ins Tor eingerückt, da hatte es schon viermal eingeschlagen. Stammkraft Andreas Wolff, der zehn Minuten vor dem Ende wieder ins Gehäuse rückte und die Niederlage in Grenzen hielt, gab später den Anwalt für den jungen Kollegen: "Es ist unglücklich für Rudi, dass ihn in seinem ersten Länderspiel die Abwehr so im Stich lässt." Silvio Heinevetter aus Berlin, mit dem der Kieler Wolff das WM-Tor hütete, hatte für den Test wegen einer Knieverletzung absagen müssen. Auch Heinevetters Teamkollege Fabian Wiede musste wegen einer Handblessur kurzfristig passen. Zumindest aber für die Problemposition im linken Rückraum bietet sich eine Lösung an: Heymann gilt als eines der größten Talente, und der wurfgewaltige Julius Kühn (Melsungen), der auch erst 25 Jahre alt ist, kehrt zurück, sobald er seinen Kreuzbandriss überstanden hat. Mitte April wird Kühn allerdings noch nicht dabei sein, wenn es in zwei EM-Qualifikationsspielen gegen Polen geht. Dann kehren auch Topspieler wie Fabian Wiede und Kapitän Uwe Gensheimer zurück, die 42 Tage nach dem unglücklich verlorenen Spiel um WM-Bronze gegen Frankreich schmerzlich vermisst wurden.

In Erinnerung vom Düsseldorfer Test bleibt nicht nur die erst siebte Niederlage gegen die Eidgenossen im 72. Duell, sondern sicher auch die positive Grundstimmung. Das Hallenlicht war längst erloschen, da schrieben die Spieler noch Autogramme, und Trainer Prokop stellte fest: "Die Fans sind echt der Hammer."

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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