Handball:Vakanz auf der Königsposition

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Trefferqualitäten, die den DHB-Handballern fehlen werden: Julius Kühn fällt rund ein halbes Jahr aus. (Foto: Silas Stein/dpa)

Der Ausfall von Torjäger Julius Kühn für die anstehende WM trifft die deutsche Handball-Nationalmannschaft hart.

Von Joachim Mölter, München

Von einem Tag auf den anderen ist der Optimismus der deutschen Handballer für die Heim-WM im Januar schwer gedämpft worden. Nach dem zweiten gewonnenen Qualifikationsspiel für die EM 2020, dem 30:14 über Kosovo, freuten sich Bundestrainer Christian Prokop und seine Akteure am Sonntagabend noch darüber, dass die taktischen Züge funktioniert hatten, die sie im Hinblick auf das globale Turnier zuletzt einstudiert hatten. Am Montagabend war Prokop dann klar, dass er sich wohl ganz was Neues ausdenken muss, wenn er mit der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) auch nur in die Nähe der angestrebten Medaille kommen will. Da wurde nämlich die Verletzung von Julius Kühn, wegen der er tags zuvor in Pristina vom Parkett gehumpelt war, als Kreuzbandriss diagnostiziert. Der Profi vom Bundesligisten MT Melsungen muss mindestens ein halbes Jahr aussetzen.

"Ein Drama" sei das, sagte der DHB-Vizepräsident Bob Hanning dem Sport-Informations-Dienst, für Kühn selbst, für seinen Klub, für das Nationalteam. Der bullige Rechtshänder sei ein "wesentlicher Baustein" in der WM-Planung gewesen, erklärte Hanning, sein Ausfall "hat auf unser Spiel erhebliche Auswirkungen". Trainer Prokop sagte: "Uns bricht eine feste Größe mit Shooterqualität weg."

Kühns Revier ist der linke Rückraum, dort, wo die Handballer gemeinhin ihre Königsposition ansiedeln; wo die wurfgewaltigen Torjäger regieren, die Shooter eben. Hierzulande war Kühn zuletzt der erfolgreichste. In der vergangenen Bundesligasaison warf keiner mehr Feldtore als er (215), in der aktuellen Spielzeit steht nur Magdeburgs Linksaußen Matthias Musche in der Torjägerliste vor ihm (mit 65 Treffern gegenüber 62) - aber der hat auch schon eine Partie mehr absolviert. Schon an diesen Zahlen lässt sich ermessen, wie hart Kühns Ausfall die DHB-Auswahl trifft. Und es ist sogar noch schlimmer, wenn man sich seine strategische Bedeutung anschaut: Ohne Kühn gerät das ganze Angriffsgefüge ins Stocken.

Dank seiner Wucht war Kühn immer in der Lage, sogenannte "einfache Tore" aus der zweiten Reihe zu werfen und die gegnerische Abwehr dadurch auseinander zu ziehen. Fehlt so ein gefährlicher Distanzschütze, können sich die Verteidiger an den Kreis zurückziehen und dort die Räume eng machen - die Durchschlagskraft der Offensive leidet.

Das ist ein Aspekt, den Kühns Vakanz hinterlässt; ein anderer ist der Umstand, dass sein Fehlen eine Rotation bremst, mit der die DHB-Auswahl zuletzt ihre Schwachstelle im zentralen Rückraum überspielt hat. Die deutsche Mannschaft hat ja nicht einmal 2016 einen Spielmacher von Weltklasse gehabt, als sie den EM-Titel und Olympia-Bronze gewann. Der damalige Bundestrainer Dagur Sigurdsson wechselte die klassischen Mittelmänner Martin Strobel und Niclas Pieczkowski auf der Spielmacherposition ebenso munter wie kreativ mit den eher auf Halblinks oder Halbrechts etablierten Steffen Fäth, Christian Dissinger, Steffen Weinhold und Fabian Wiede. Dass er dabei phasenweise mit zwei Linkshändern gleichzeitig agierte, mit Weinhold und Wiede nämlich, sorgte bei den Gegnern häufig für Verwirrung und schuf Freiräume für die Kollegen.

Für den damals 22 Jahre alten Kühn war die EM der Durchbruch auf internationaler Bühne, der Debütant war im Turnierverlauf für den verletzten Dissinger nachgeholt worden und hatte seitdem einen Stammplatz in der DHB-Auswahl. Wenn der Zwei-Meter-Mann dabei war, konnte immer ein Kollege von halblinks in die Mitte rücken und das Spiel gestalten - so wie in der EM-Qualifikation zuletzt der junge Tim Suton oder eben erneut Steffen Fäth. Wenn die Halblinken aber wieder auf ihrer angestammten Position gebraucht werden, wird das Zentrum geschwächt. Und für diese Position ist ja schon der ehemalige Europameister Martin Strobel, 32, reaktiviert worden: Der etatmäßige Regisseur Paul Drux ist nämlich auch wieder verletzt.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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