Handball:Unter Nordlichtern

IHF Handball World Championship - Germany & Denmark 2019 - Group C - Denmark v Tunisia

Huckepack in die Hauptrunde: Die Dänen (hier Nikolaj Oeris Nielsen) benutzten Gegner wie Tunesien zum lockeren Aufgalopp.

(Foto: Reuters)

Während die Dänen mit ihren Offensivqualitäten hadern, erfreut sich Norwegen, ihr Gegner im Gruppenfinale, an Alexander Blonz - der 18-Jährige gilt als Entdeckung der WM.

Von Carsten Scheele, Herning/München

Diesmal war es der Torwart, der die Jyske Bank Boxen in Herning in einen brodelnden Aggregatzustand versetzte. Die Dänen hatten sich nach missratenem Start im vierten WM-Vorrundenspiel gegen Österreich gerade die Führung erkämpft, als Niklas Landin seinen Auftritt hatte. Der Torwart des THW Kiel parierte erst einen Siebenmeter von Nikola Bilyk - und ließ den Ball wenige Sekunden später einmal über das ganze Feld ins verwaiste Tor der Österreicher zischen. Ein Treffer des Torwarts, auch das noch. Da brüllte die Halle. "Mister 50 Prozent" wird Landin, 30, mittlerweile genannt, weil er zuverlässig die Hälfte aller auf sein Tor geworfenen Bälle pariert. Zum WM-Auftakt, beim 31:19 gegen Chile, waren es sogar 71 Prozent. Ein Wert, der die gängigen Vorstellungen im Handball sprengt.

Am Ende stand ein ordnungsgemäßer 28:17-Erfolg gegen Österreich, doch trotz Landins Taten waren die ersten kritischen Stimmen aus dem dänischen Lager zu vernehmen bei dieser WM. Denn dass der Gegner zwischenzeitlich 7:3 in Führung gehen durfte, hatte doch manchen Dänen in Aufregung versetzt - insbesondere jetzt, vor dem Gruppenfinale an diesem Donnerstag gegen den skandinavischen Rivalen aus Norwegen. Was das Prestige angeht, wäre eine Partie gegen Schweden eine Spur brisanter, sportlich haben die Norweger die Schweden zuletzt allerdings überholt.

Drei Tore in 20 Minuten - das war schon ein Affront für die Männer um Mikkel Hansen

Es wird das Duell zweier potenzieller Halbfinalisten bei dieser Weltmeisterschaft, und da passte es gar nicht ins Bild, dass der dänische Angriff gegen Österreich erstmals schwächelte. Drei Tore in 20 Minuten, das war schon ein Affront für die Männer um Mikkel Hansen, den viele nicht nur für den bestbezahlten, sondern tatsächlich für den besten Handballer dieses Planeten halten. Hansen, 31, und Kollegen hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt locker einwerfen können bei diesem Turnier, mit hohen Siegen gegen Chile, Tunesien und Saudi-Arabien. Doch gegen Österreich war Hansen zunächst nicht wiederzuerkennen: Seine drei ersten Wurfchancen vergab das Muskelpaket, darunter einen Siebenmeter. "Es war unheimlich", schreibt die dänische Zeitung B.T.; das befand auch Hansen selbst. Man habe "viel zu langsam gespielt", dazu "extrem viel verworfen", sagte er. Das müsse sich definitiv ändern. "Um Norwegen zu schlagen, brauchen wir Selbstvertrauen", erklärte Hansen. Dann beginne die WM erst so richtig.

Es werde "ein wenig krachen", glaubt Norwegens Trainer Christian Berge

Die Norweger haben sich noch keinen Wackler erlaubt, im Gegenteil: Sie konnten sich beim 41:20 (21:12) gegen Chile für das Nachbarschaftsduell einwerfen und haben gezeigt, wie federleicht, schnell und attraktiv ihr Handball gerade aussieht. Im internationalen Vergleich spielt Norwegen weniger körperlich als andere Topmannschaften, Trainer Christian Berge hat dafür eine große Anzahl an besonders flinken Spielern um sich versammelt. Eine der Entdeckungen der WM ist bislang der erst 18 Jahre alte Außenspieler Alexander Blonz, der in der norwegischen Liga für Viking HK spielt und gegen Chile achtmal ins Tor traf. Auch ansonsten ist die Mannschaft exquisit besetzt, etwa mit Torhüter Torbjörn Bergerud (SG Flensburg-Handewitt) und Magnus Jöndal (ebenfalls Flensburg), dem bislang besten norwegischen Schützen dieser WM. Stützen sind auch Sander Sagosen, der Mittelmann von Paris Saint-Germain, oder der in Deutschland noch bestens bekannte Kreisläufer Bjarte Myrhol, der mittlerweile in Dänemark spielt, zuvor aber viele Jahre bei den Rhein-Neckar Löwen auf der Platte stand. Zuletzt spielten die Norweger bei großen Turnieren immer eine gute Rolle: Bei der EM 2016 scheiterten sie in einem Halbfinal-Krimi am späteren Europameister Deutschland und bei der WM 2017 erst im Endspiel an Frankreich.

Dort wollen sie wieder hin, doch nun folgt zunächst das Gruppenfinale gegen die Dänen. Zwar ist die Fallhöhe auf den ersten Blick überschaubar, sind doch beide Mannschaften mit 8:0 Punkten und einem Torverhältnis von jeweils plus 60 längst für die Hauptrunde in Herning qualifiziert. Es wird trotzdem der erste ernsthaftere Test für beide Teams, die bei dieser WM in der arg machbaren Gruppe D noch keinen echten Gegner vorgesetzt bekommen haben - anders als die Deutschen, die schon gegen Russland und Weltmeister Frankreich bestehen mussten.

Das Duell der Nordlichter sei deshalb "das, worauf wir alle gewartet haben", sagt Dänemarks Kreisläufer René Toft Hansen, der lange in Kiel gespielt hat und nun in Veszprém aktiv ist. Es werde "ein wenig krachen", glaubt Norwegens Trainer Berge. Wer gewinnt, geht mit zwei Pluspunkten mehr in die Hauptrunde. Dort wartet der nächste Skandinavienschlager: Auch die Schweden wollen dann zeigen, dass sie den Kampf um die Vormachtstellung im Norden noch nicht aufgegeben haben.

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