Süddeutsche Zeitung

Handball:Umbruch nach dem Absturz

Der HSC Coburg verjüngt nach dem Abstieg in die zweite Bundesliga seinen Kader, die neue Mannschaft bekommt Zeit, sich zu finden - der Wiederaufstieg ist vorerst kein Ziel.

Von Ralf Tögel

Schön ist es hier am Albertsplatz in Coburg. Aufwendig sanierte Gebäude im gotischen Stil, auf dem Platz sprudeln ein paar kleine Wasserfontänen aus dem ebenerdigen Brunnen, und im Kaffeehaus Queens kann man sich einen Cappuccino schmecken lassen. Jan Gorr kommt gerne her, oft hat er seinen Laptop dabei, denn es gibt für ihn in diesen Zeiten einiges zu tun. Gorr ist Geschäftsführer des Profi-Handballklubs HSC Coburg, der in der vergangenen Saison als abgeschlagener Letzter den Klassenverbleib verpasst hat. Nun hat der 43-Jährige federführend eine neue Mannschaft zusammenzubauen. Idealerweise eine, die schon in der kommenden Spielzeit, die aller Voraussicht nach am zweiten September-Wochenende beginnen wird, im Kampf um die Rückkehr in die Erstklassigkeit mitmischen kann. Das könnte allerdings schwer werden, entsprechend zurückhaltend formuliert Gorr die Zielsetzung: "Wir wollen uns ambitioniert positionieren."

Für einen Absteiger aus der anerkannt besten Liga der Welt fast schon ein bisschen viel Understatement, das der HSC-Geschäftsführer so begründet: Gegen einen Ex-Erstligisten seien die Gegner nun mal besonders motiviert, zudem gibt es in den Eulen Ludwigshafen, Nordhorn-Lingen und TuSEM Essen gleich drei Mitabsteiger - nach der Corona-Saison ohne Absteiger wurde das Klassement wieder auf Normalgröße gebracht. Zudem gibt es ein paar Klubs, die unbedingt zurück wollen in die Beletage, der VfL Gummersbach ist hier an erster Stelle zu nennen. Letztlich sind Prognosen ohnehin schwer, denn die pandemischen Unwägbarkeiten werden sich bis Herbst sicher nicht in Luft aufgelöst haben - das Gegenteil ist zu erwarten.

Eine Unbekannte ist natürlich auch die Mannschaft, zahlreiche Spieler haben den HSC verlassen: Die prominentesten sind Drasko Nenadic und Spielmacher Pouya Norouzi Nezhad, für beide war die Zweitklassigkeit keine Option. Der Serbe hatte noch einen Vertrag, der aber ist einvernehmlich aufgelöst, zumal man sich mehr erwartet habe vom ehemaligen Champions-League-Sieger. Auch bei Pouya Norouzi Nezhad gestalteten sich die Coburger Bemühungen überschaubar, der iranische Nationalspieler war oft verletzt und blieb einiges schuldig. Kreisläufer Stepan Zeman hätte Gorr dagegen gerne gehalten, aber der tschechische Nationalspieler hatte noch vor der Weltmeisterschaft in Ägypten bei Traditionsklub Gummersbach unterschrieben. Doch weil die Oberbergischen den fest angepeilten Aufstieg verpasst haben, sieht man sich in der kommenden Saison in Liga zwei wieder.

Zwei Nationalspieler kommen: der Tscheche Dieudonne Mubenzem für den rechten Rückraum und der Este Karl Toom auf Halblinks

Kein Wiedersehen gibt es auch mit Torhüter Konstantin Poltrum (aus Studiengründen nach Bietigheim), Felix Sproß (zum schwedischen Topklub IFK Ystad), Christoph Neuhold (zum finanzstarken Zweitligisten Elbflorenz Dresden) und Pontus Zetterman (BSV Bern). Immerhin wurde der Vertrag mit Kapitän Andreas Schröder um zwei Jahre verlängert und Torwart-Oldie Jan Kulhanek für eine weitere Spielzeit gebunden. In Urgestein Florian Billek, dem serbischen National-Linksaußen Milos Grozdanic und dem schwedischen Spielgestalter Tobias Varvne bleiben weitere Schlüsselspieler im Oberfränkischen, dieses Gerüst wird um vornehmlich junge Spieler ergänzt.

Etwa um die beiden Junioren-Nationalspieler Marlin Fuß und Jan Jochens: Linkshänder Fuß soll mit Jakob Knauer, der noch verletzt ist, ein Duo im rechten Rückraum bilden, Jochens vom 40-jährigen ehemaligen tschechischen Nationalkeeper Kulhanek lernen. Ein bisschen Aufbauhilfe kommt aus Mittelfranken, im Kreisläufer-Duo Jan Schäffer und Stefan Bauer gibt Erlangen einen Routinier und einen sehr talentierten Nachwuchsmann ab. Und schließlich freut sich der HSC-Geschäftsführer noch über zwei weitere Nationalspieler: den Tschechen Dieudonne Mubenzem für den rechten Rückraum und den Esten Karl Toom auf Halblinks. Zwei Akteure, die das Manko der fehlenden Durchschlagskraft aus dem Rückraum beheben sollen.

Gorr bezeichnet das in Summe als "nächstes Kapitel im begonnenen Umbruch", Trainer Alois Mraz bekommt in seinem zweiten Jahr mehr Zeit, um ein stimmiges Kollektiv zu formen. Das ist ihm in seinem ersten Jahr - freilich unter verschärften Corona-Bedingungen - nicht gelungen. Fehlende Konstanz wurde als die größte Schwäche analysiert, es sei nicht gelungen, "die Stärken der einzelnen Spieler zum Vorteil der Mannschaft einzubringen", erklärt Gorr: "Wir haben unsere Ressourcen zu wenig genutzt." Vor allem in den Spielen gegen die direkten Konkurrenten habe das Team kein gutes Bild abgegeben. Deshalb soll nun "ein homogenes Gebilde" entwickelt werden, der "Wiederaufstieg ist daher kein Muss-Ziel".

Dies könne weitgehend in Ruhe geschehen, so Gorr, der Etat werde zwar sinken, aber "wenigstens wirtschaftlich haben wir den Klassenerhalt geschafft". Was vornehmlich an Einsparmaßnahmen und Gehaltsverzichten gelegen habe, sein erstes Jahr nach dem Wechsel von der sportlichen Leitung auf den Geschäftsführerposten war für Gorr kein schönes. "Wir sind alle zusammengerückt, es gab eine große Bereitschaft, aber das war eine aufreibende Zeit." Immerhin zeitigte der Sparkurs sogar die Möglichkeit einer kleinen Rückzahlung an das genügsame Personal, "das war nicht viel, aber ein schönes Zeichen".

Nun geht der Blick nach vorne, das Team soll breiter aufgestellt, die Basis soll stabilisiert werden. Die Motivation jedenfalls sei "enorm", so Gorr, wie die Hoffnung, dass Corona vielleicht doch bald Vergangenheit ist, "damit wir wieder all das genießen können, was den Handball so schön macht". Er spricht von gutem Sport in vollen Hallen, Enthusiasmus und dem Feiern mit den Fans. Ein weiter Weg, das ist ihm klar. Vorerst muss sich Jan Gorr mit einer Tasse Cappuccino auf dem Albertsplatz begnügen.

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