Süddeutsche Zeitung

Handball:Ein Wagnis der guten Sorte

Der ukrainische Meister Motor Saporoschje soll für ein Jahr in der zweiten deutschen Liga mitspielen. Es ist ein helfender Akt - der ein paar Probleme löst und Wege ebnet für ein möglicherweise kurioses Szenario.

Von Carsten Scheele

Die Scouts von Motor Saporoschje haben ab jetzt alle Hände voll zu tun, es gilt ja einiges herauszufinden: Wie spielen die Rimparer Wölfe ihren schnellen Tempogegenstoß? Wie massiv steht Coburg im Abwehrblock, was waren noch mal die Stärken des HC Elbflorenz? Der ukrainische Serienmeister bekommt es ab September mit einer Reihe bis dato unbekannter Gegner zu tun, denn der Klub wird für ein Jahr in der zweiten deutschen Handball-Liga mitspielen.

Klingt wie ein gewagtes Experiment - und das ist es auch, und zwar eines der guten Sorte.

Es ist vor allem ein helfender Akt, ganz anders, als der Fußball vor ein paar Jahren sinnierte, ein chinesisches Team in der deutschen Fußball-Regionalliga mitkicken zu lassen (und sich im Gegenzug wertvolle Vermarktungsrechte in Fernost zu sichern). Seit Kriegsausbruch ist an einen Handball-Spielbetrieb in der Ukraine nicht zu denken. Wann es wieder losgehen kann, weiß niemand; die Spieler von Saporoschje und ihre Familien haben nun zumindest eine Perspektive: Das Team bekommt von der Stadt Düsseldorf eine Heimspielstätte gestellt, auch für Unterbringung und Verpflegung wird gesorgt. Der Hauptsponsor, ein ukrainischer Motorenhersteller, bleibt dem Klub erhalten. Sollte dessen Werk angegriffen werden, wollen die deutsche Bundesliga (HBL) und die internationalen Verbände mit Hilfsgeldern einspringen.

Als Flensburg im Dezember nach Saporoschje reiste, war die SG chancenlos

Zwar werden die Partien von Saporoschje aus dem Aufstiegs- und Abstiegskampf herausgerechnet, ansonsten überwiegen die positiven Aspekte: Die deutschen Vereine haben ein Heimspiel mehr - und das gegen ein hochkarätiges Team, das sonst in ganz anderen Sphären agiert. Und Saporoschje? Kann einfach Handball spielen. Als einer von vielen ukrainischen Klubs, die gerade um ihre Existenz bangen. Ist das ungerecht? Man könnte auch sagen: Immerhin ein bisschen Normalität für eine Auswahl.

Ein paar offene Fragen gibt es noch, etwa: Was passiert, sollte die ukrainische Liga zwischenzeitlich wieder starten - täte sie das dann mit oder ohne Saporoschje? Auch könnte diskutiert werden, ob die Eingruppierung in der Bundesliga nicht sportlich sinnvoller gewesen wäre. Saporoschje ist das Schwergewicht im ukrainischen Handball; seit 2013 war das Team nationaler Meister, die Mannschaft ist nahezu identisch mit dem Nationalteam. Saporoschje ist zudem Stammgast in der Champions League, auch mit deutschen Teams hat sich der Weg häufiger gekreuzt: Für die SG Flensburg-Handewitt setzte es im Dezember eine satte 22:31-Auswärtsniederlage.

Doch nein, keine Chance in der Bundesliga. Zu eng seien die Spielpläne getaktet, kaum umsetzbar bei den internationalen Verpflichtungen vieler Vereine, hat die HBL verkündet. Ein solcher Schritt wäre dann doch zu viel des Experiments gewesen, zumal in Liga zwei sogar ein kleines Problem gelöst wird. Da wegen Corona der Abstieg ausgesetzt wurde, wird die Zahl der Klubs erst langsam reduziert. Für die kommende Saison waren 19 Teams vorgesehen - ein Klub hätte pro Spieltag pausieren müssen. Dank Saporoschje starten nun 20 Teams, das vereinfacht die Spielplangestaltung.

Es ist sogar ein noch kurioseres Szenario möglich: Erhält Motor Saporoschje vom europäischen Verband (EHF) eine Wildcard für die Champions League, würde ein Team aus der zweiten deutschen Liga in der Königsklasse starten. Dann könnte es sogar heißen: Saporoschje spielt sich gegen Rimpar für die Champions League warm.

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