Handball:Meisterschale am neutralen Ablageort

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Das letzte Bundesliga-Duell: Nikola Bilyk (Kiel) zieht im September 2019 vorbei an Johannes Golla (Flensburg) - der THW siegte 28:24. (Foto: Jörg Lühn/Holsteinoffice/Imago)

Die Flensburger Handballer lassen den ungeliebten Nachbarn aus Kiel die Schale zukommen - eine faire Geste, die nicht ohne Hintergedanken ist.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der Teambus der SG Flensburg-Handewitt wird derzeit selten gebraucht. An diesem Donnerstag aber kommt eine höchst ehrenvolle Aufgabe auf ihn zu. Der Bus fährt mit Geschäftsführer Dierk Schmäschke, Weltmeister Holger Glandorf, Beiratschef Boy Meesenburg und Ministerpräsident Daniel Günther ins 63 Kilometer entfernte Eckernförde. Dort wird der Handball-Meister von 2019 die Meisterschale am Hafen auf einer Stele abstellen. Der Geschäftsführer des neuen Titelträgers THW Kiel, Viktor Szilagyi, wird sie abholen und in die 29 Kilometer entfernte Kieler Arena bringen. Denn der Nord-Rivale war 44 Tage zuvor am sogenannten Grünen Tisch als Tabellenführer nach 26 von 34 Spieltagen zum Meister ausgerufen worden, weil die Saison wegen der Corona-Pandemie abgebrochen wurde.

Die Trophäe wird der Bundesliga-Präsident Uwe Schwenker, der selbst 17 Jahre lang Manager der Kieler war, mit Maske und Handschuhen offiziell übergeben. Die Halle wird ebenso leer sein, wie es die Fußball-Stadien während der Geisterspiele sind. Aber auch "wenn uns das Herz blutet, diesen Titel nicht mit unseren Fans und auf dem Rathausplatz feiern zu können, freuen wir uns riesig darauf, endlich die Meisterschale wieder in Kiel zu haben", sagte Szilagyi. Es ist die erste Meisterschaft des Rekordmeisters THW seit fünf Jahren - und die ungewöhnlichste in der 70-jährigen Titel-Geschichte des Handballs.

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Zu erzählen ist aber auch von der Rivalität der beiden Klubs aus dem Norden, deren Anhänger sich zum Teil so spinnefeind sind wie die Dortmunder und Schalker Ultras oder die Werder- und HSV-Fans. Man ist sich in gegenseitiger Abneigung tief verbunden. Die Idee zu dieser fairen Übergabe-Geste hatten die Flensburger. Deren Sportchef Schmäschke hatte schon gleich nach der Entscheidung, den THW zum Meister zu küren, erklärt, es sei zwar "bitter", den Titel nicht doch noch sportlich verteidigen zu können, "aber solche Gedanken sollten höchstens an dritter oder vierter Stelle stehen". Hier gehe es "um die Existenz der Vereine, um den Handball schlechthin. Wir müssen einheitlich solidarisch auftreten und unsere Strukturen bewahren". Das gilt besonders für jene Sportarten, die derzeit komplett pausieren.

Die Aktion hat einen Hintergedanken

"Die Rivalität soll bleiben", sagte Schmäschke, "aber wir müssen auch anerkennen, dass der THW eine starke Saison gespielt hat und mit vier Punkte vor uns lag." Er habe sich in der schwierigen Zeit nach dem Saison-Aus mit Viktor Szilagyi wie mit vielen anderen Kollegen der Konkurrenz "gut ausgetauscht". Nur das Kieler Hoheitsgebiet bei dieser Ehrung direkt zu betreten, das gehe dann doch zu weit. Deshalb habe man das zwischen Flensburg und Kiel liegende Eckernförde ausgesucht. Ein bisschen kann Schmäschke trotz der derzeit großen wirtschaftlichen Sorgen den sportlichen Wettstreit nicht vergessen. "Wir leihen die Schale nur aus", sagt er und verweist darauf, dass man von der gepflegten Rivalität "in den letzten Jahrzehnten gut gelebt" habe.

Ein Hintergedanke bei dieser Aktion ist auch, den Handball nicht ganz von der Bildfläche verschwinden zu lassen - und anders als zum Beispiel die dritte Fußball-Liga, die erst nach wüsten Debatten wieder an den Start ging, so etwas wie Gemeinschaftsgeist zu demonstrieren. Zudem könne man auf diese Weise für die "beiden besten Mannschaften Deutschlands" zusammen Werbung betreiben. Immerhin haben die beiden Schleswig-Holsteiner Klubs zusammen mehr als 60 nationale und internationale Pokale gewonnen.

Wichtiger ist, wie man den Leistungssport wieder aufnehmen kann

Selbst im politischen Schleswig-Holstein spielt Handball eine viel größere Rolle als in anderen Bundesländern. Aus dem dortigen Kabinett ist zwar mit dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck der leidenschaftlichste Flensburger Fan ausgeschieden, aber die unterschiedlichen Handball-Vorlieben ziehen sich durchs Kabinett. Dass bei Ministerpräsident Günther von der CDU, ehemals selbst Handballer, das Herz beim THW höher schlägt, können sie in Flensburg verschmerzen. Es ändert ja auch nichts in den schweren Zeiten.

Wichtiger ist, wie man den Leistungssport wieder aufnehmen kann - sowohl trainingstechnisch als auch punktspielmäßig. Die Hoffnung ist derzeit, ab Oktober womöglich wieder mit einem Bruchteil der normalen Zuschauerzahlen in die neue Spielzeit zu starten. Bisher sind noch keine Dauerkarten verkauft, weil man noch gar nicht weiß, ob es wirklich so kommt. Der DHB und die Bundesliga entwickeln gerade eine Richtschnur für einen möglichen Neustart, der Plan soll Mitte dieses Monats veröffentlicht werden.

Die Meisterehrung in Kiel aber setzt sich vor allem mit der Vergangenheit auseinander. Die Kieler Domagoj Duvnjak, 32, und Filip Jicha, 38, werden in diesem Rahmen gesondert ausgezeichnet: THW-Kapitän Duvnjak als Spieler der Saison; der Tscheche Jicha als Trainer der Saison. Und das, obwohl Jicha gerade sein erstes Jahr als Chefcoach hinter sich hat. Jicha ist zudem der Erste, dem sowohl als Spieler (2010) und Trainer diese Ehre zuteil wird.

© SZ vom 04.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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