Handball-Tabellenführer THW Kiel:Überraschend schnell zurück an die Spitze

THW Kiel - HSV Hamburg

Nicht zu stoppen: Der THW Kiel - hier Filip Jicha (links), der von Davor Dominikovic geblockt wird.

(Foto: dpa)

Dem THW Kiel steht ein schweres Jahr bevor, hieß es vor der Saison - nun ist der Handball-Rekordmeister schon wieder das Maß der Dinge. Und zeigt beim überragenden 35:24 gegen Hamburg, was in der neuen Mannschaft steckt.

Von Carsten Eberts

Die Uhr blieb stehen, bei sieben Minuten und 30 Sekunden. Gemurmel war in der Kieler Arena zu vernehmen, die Blicke richteten sich auf den Oberrang: Ein Zuschauer war zusammengebrochen. Der Mann musste reanimiert werden, für zwölf Minuten wurde das Spiel unterbrochen, erst danach ging es weiter. Später die erlösende Nachricht aus dem Krankenwagen: Der Zuschauer hat überlebt, es geht ihm den Umständen entsprechend gut.

Es war kein alltägliches Handballspiel an diesem Donnerstagabend, natürlich nicht, wenn sich zwei Topteams wie der THW Kiel und der HSV Hamburg zum weihnachtlichen Spitzenduell treffen. Und dann auch noch die Dramatik auf der Tribüne, die bangen Momente.

Am Ende hatte Kiel die schwierige Situation besser verkraftet und besiegte den HSV, der immerhin aktueller Champions-League-Sieger ist, in aller Deutlichkeit 35:24 (19:12). "Wahnsinn, was wir heute abgeliefert haben", erklärte Kiels Linksaußen Dominik Klein. Trainer Alfred Gislason gestand: "Vor dem Spiel bin ich fest davon ausgegangen das es sehr knapp wird." Es wurde nicht annähernd knapp.

Eher hingewürgt als vorgetragen

Nervenstark waren die Kieler schon immer, und wer nach Weihnachten auf die Tabelle blickt, der realisiert, dass daran auch das große Umbruchjahr kaum etwas ändert. Vier Weltklassekräfte hatten den THW vor der Saison verlassen, darunter mit Kapitän Marcus Ahlm und Torwart Thierry Omeyer die stilprägenden Spieler des vergangenen Jahrzehnts. Einer der neuen Spieler, Mittelmann Rasmus-Lauge Schmidt, führte sich zudem unglücklich mit einem Kreuzbandriss ein. Die Konkurrenz mutmaßte mit passablen Argumenten, dass die Meisterschaft in diesem Jahr womöglich nicht automatisch über Kiel gehen könnte.

Nun steht der THW wieder oben, überraschend früh, aber dennoch ganz oben. Zwei Punkte Vorsprung sind es nach dem Weihnachtsspieltag auf die SG Flensburg-Handewitt, sogar fünf auf die Rhein-Neckar Löwen und den HSV. "Wir haben gesehen, dass alles von alleine kommt, wenn wir eine gute Leistung bringen", erklärte Klein, der dreimal traf. Das Kieler Selbstverständnis ist schon wieder das Alte.

Gegen den HSV zeigte sich, wie gut sich die neue Mannschaft eingespielt hat. Nicht alles lief perfekt zu Saisonbeginn, manche Spiele wurden eher hingewürgt als vorgetragen. Dann die Auswärtsniederlage in Magdeburg, Anfang Oktober, 31:34. Manche wollten damals schon Flensburg die Favoritenrolle auf die Meisterschaft zutragen.

Über 50 Prozent gehaltene Bälle

Auch an den Kieler Zukäufen gab es manche Kritik, etwa an Keeper Johan Sjöstrand, der Thierry Omeyer zu ersetzen hatte. Einen Omeyer vergessen zu machen, ist natürlich die schwerste Aufgabe, die man einem jungen Kerl wie Sjöstrand mit seinen 26 Jahren zumuten kann. Sjöstrand war tatsächlich etwas wacklig in seinen Leistungen, ließ die Konstanz vermissen, die Omeyer stets ausgezeichnet hatte.

Doch Sjöstrand scheint auf einem sehr guten Weg. Gegen den HSV zeigte er eine Klasseleistung, seine wohl beste im Dress des THW. Er parierte schon in den ersten Minuten knallende Wurfgeschosse von Pascal Hens sowie Joan Canellas und hatte großen Anteil an, dass Kiel auf 6:2 davonziehen konnte. Die Hamburger fanden kein Mittel gegen den Schweden, Sjöstrand hielt und hielt, sogar einen Siebenmeter des sonst so ungemein sicher verwandelnden Hans Lindberg. Am Ende brachte es Sjöstrand auf eine Quote von über 50 Prozent gehaltenen Bällen.

"Wir haben eine super Abwehr gespielt, hinter der ein großartiger Sjöstrand stand", lobte Gislason später. Auch die Zuschauer hatten ein feines Gespür, wer der beste Mann auf der Platte war: Nach einer Viertelstunde hallten "Johan, Johan"-Sprechchöre durch die Arena.

Bis zur Halbzeit rannte Kiel bis auf 19:12 weg, damit war das Spiel natürlich gelaufen. Denn Partien, in denen der THW einen Sieben-Tore-Vorsprung aus der Hand gibt, die gibt es eigentlich nicht. Auch in der zweiten Halbzeit fanden die Hamburger kein Mittel gegen die wuchtgewaltige Defensive, die in der kompakten 6:0-Formation um Patrick Wiencek so formidabel verschob, wie einst zu Zeiten, als Klaus-Dieter Petersen noch das Bollwerk dirigierte.

Für die Hamburger war diese Partie ein zunehmend frustrierendes Erlebnis. Mit dem Champions-League-Titel im Rücken war die Mannschaft mit großen Ambitionen in die Saison gestartet, nun hat das Team von Trainer Martin Schwalb nach 20 Spieltagen bereits neun Minuspunkte gesammelt - viel zu viele. Ausgerechnet zum Spitzentreffen in Kiel zeigte sich die Mannschaft nicht annähernd in bester Verfassung, erhielt nie Zugriff auf das Spiel. "Ein rundum gebrauchter Tag", gab Schwalb später angenervt zu Protokoll.

Diesen nutzten die starken Kieler, um den Rivalen zu demütigen. Elf Tore Vorsprung waren es bei der Schlussirene. Am Ende traf sogar noch Wael Jallouz, der junge Tunesier, der seit Saisonbeginn in Kiel weilt und immer noch ein wenig wirkt, als würde er von seinem Trainer raus auf einen Spielplatz geschickt werden. Ganz cool, mit einem frechen Leger über den Kopf, überwand der 22-Jährige HSV-Keeper Johannes Bitter.

Es hieß ja, die Kieler bräuchten mindestens ein halbes Jahr, um sich nach diesem gewaltigen Umbruch einzuspielen. Wenn der Vorsprung auf den Tabellenersten zu Weihnachten nicht zu groß sei, könne das Team in der Rückrunde vielleicht noch eingreifen, so die Rechnung. Jetzt steht der THW schon viel früher wieder oben. Es ist leicht zu erraten, wie frustrierend dies für die versammelte Gegnerschaft sein muss.

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