Handball: Silvio Heinevetter:Marder unter Füchsen

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Die Füchse Berlin haben ein erstaunliches Jahr hinter sich, das liegt zu großen Stücken an Silvio Heinevetter. Der Nationaltorwart gibt der Handball-Überraschung ein Gesicht - auf und neben dem Feld.

Boris Herrmann

Silvio Heinevetter bestellt sich Kaffee, Spezi und eine Portion Senfeier. Es ist kurz nach 13 Uhr an einem jener Tage im Dezember, an denen Berlin so aussieht wie Archangelsk. Heinevetter hat sein Flanellhemd trotzdem sommerlich geknöpft, er sagt: "Ich muss was frühstücken, bin gerade erst aus dem Bett gefallen."

"Ich kann auf dem Feld schon mal fuchsig werden": Berlins Nationaltorwart Silvio Heinevetter. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Der Mann, der im Januar das deutsche Tor bei der Handball-WM in Schweden bewachen soll, nimmt seinen Job in jeder Hinsicht ernst. Aber dazu gehört eben auch, Siege angemessen zu feiern und freie Tage zu genießen. Seit eineinhalb Jahren steht Heinevetter bei den Füchsen Berlin unter Vertrag und seit dieser Saison gibt es dort eine ganze Reihe Siege zu feiern.

Der Hauptstadtklub ist das Überraschungsteam der zweiten Jahreshälfte, in der er erstmals den großen THW Kiel und den derzeit noch größeren HSV Hamburg in die Knie zwang. Wer vor Saisonbeginn darauf gewettet hat, dass die Füchse das Weihnachtsfest auf dem zweiten Platz der stärksten Liga der Welt begehen würden, kann sich jetzt eine sehr große Portion Senfeier leisten.

Silvio Heinevetter hat keinen geringen Anteil an diesem kleinen Handballwunder, das war auch am Dienstagabend in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle wieder zu spüren. Jeder Normalsterbliche wäre in seinem Grippestatus im Bett geblieben, Heinevetter aber setzte sich gegen seine früheren Kollegen aus Magdeburg tapfer auf die Ersatzbank. Und als die Füchse nach einer Viertelstunde fast aussichtslos zurücklagen, hampelte er plötzlich doch wieder auf der Torlinie herum und hielt einen schwierigen Ball nach dem nächsten. Am Ende stand es 27:26 für Berlin.

Die aktuelle Bundesligatabelle ist aber nur ein Teil der Erfolgsgeschichte. Der andere Teil besteht darin, dass die Menschen in der deutschen Ereignis-Hauptstadt ganz allmählich eine Sportart entdecken, die sie früher bestenfalls unter Exotik verbucht hätten. Silvio Heinevetter hat dem Handball in Berlin ein Gesicht gegeben.

Zugegeben, das Gesicht sieht an diesem arktischen Nachmittag noch ein wenig zerknautscht aus. An der langen Mähne und dem Dreitagebart ist Heinevetter trotzdem gut zu erkennen. Selbst hier in einem der feinen Cafés am Kurfürstendamm klopft ihm alle paar Minuten jemand auf die Schulter, schüttelt ihm die Hand, lächelt ihm zu oder sagt: Weiter so, Heine!

Es gibt Sportler, die sich lieber in ihrer Parallelgesellschaft einigeln, als sich beim öffentlichen Frühstück stören zu lassen. Und es gibt Sportler wie Heinevetter, die sagen: "Typen haben noch nie geschadet. In keiner Sportart." Ein Typ wie er weiß, dass sein Verein ein wenig Rummel gut gebrauchen kann. In einer Stadt der unbegrenzten Unterhaltungsmöglichkeiten kämpfen die großen Sportvereine mit aller Macht um die Restaufmerksamkeit des Publikums.

Die Füchse haben sich in dieser Saison endgültig im Kreis der direkten Fußballverfolger etabliert, den die Eisbären vom Eishockey und die Basketballer von Alba bislang für sich alleine beansprucht hatten. "Egal, wo man in Berlin hinkommt, du wirst inzwischen angesprochen. Das ist eine Entwicklung, die für uns ideal ist", sagt Heinevetter.

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Wenn sich im Berliner Handballbetrieb bislang etwas entwickelte, dann ging es stets um Bob Hanning. Er, der nicht nur Geschäftsführer dieses Vereins ist, sondern auch Vaterfigur, Nachwuchstrainer, Medienprellbock und Chef-Blogger, war lange Zeit bekannter als alle Spieler zusammen. Bis Silvio Heinevetter kam.

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Es klingt nach einer kleinen Handballrevolution, wenn der Torhüter nun über sein Spezi hinwegzischt: "Ich will Bob Hanning ja nicht zu nahe treten, aber irgendwann kannst du dann auch keinen Manager mehr als Gesicht haben. Da brauchst du Sportler." Man kann Hanning in dieser Sache allerdings gar nicht nahe genug treten, weil selbstverständlich auch diese Strategie am Schreibtisch des Chefs geboren wurde. Er hat rechtzeitig erkannt, dass seine Omnipräsenz der Entwicklung des Klubs auch im Wege stehen kann. Auch deshalb hat er Heinevetter verpflichtet. "Jetzt geht es darum, Namen und Gesichter in der Stadt zu positionieren", sagt Bob Hanning.

Im Fall von Heinevetter geht diese Positionierung mit dem öffentlichkeitswirksamen Umstand einher, dass inzwischen in schöner Regelmäßigkeit auch eine Tatort-Kommissarin unter den 9000 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle weilt. Die Beziehung zwischen dem 26-jährigen Ballfänger und der 45-jährigen Schauspielerin Simone Thomalla war ausnahmsweise wohl nicht von Hanning geplant, genützt hat sie ihm trotzdem: "Da musste ich plötzlich 50 Pressekarten mehr ausgeben. Auf einmal wollten Gala und Bunte auch Handball sehen."

Gleichwohl greift es zu kurz, wenn man Heinevetters Ausnahmestellung im Berliner Sportbetrieb darauf reduziert, dass seine Freundin früher so gerne frisches Bier mit Rudi Assauer trank. Es ist seine Art, ein Tor zu hüten. Jeder Komödiant würde an einer Imitation verzweifeln, weil es nichts gibt, was man an diesem Mann noch übertriebener darstellen könnte, als es ohnehin schon ist.

Bisweilen hüpft Heinevetter auf allen Vieren wie ein tollwütiger Marder auf dem Parkett herum, nur um Sekunden später schon wieder in seinem Tor zu sitzen, als nehme er gerade ein Erkältungsbad. Wenn er sich ärgert, verprügelt er die Torpfosten, wenn er sich freut, streichelt er seine Rückraumspieler.

"Ich kann auf dem Feld schon mal fuchsig werden", gesteht Heinevetter, allerdings nicht ohne den Hinweis, dass es schon wesentlich besser geworden sei mit ihm und seinem Gemüt: "Im Endeffekt kannst du nicht jeden Ball halten. Das habe ich inzwischen eingesehen."

Dass Silvio Heinevetter zwar nicht alle, aber doch überdurchschnittlich viele Bälle hält, bekommen natürlich auch andere mit. Die neureichen Rhein-Neckar-Löwen wollten ihn unlängst mit der Aussicht auf eine deutliche Gehaltserhöhung nach Mannheim locken. Bob Hanning hatte sich in Gedanken schon von seinem wertvollsten Gesicht verabschiedet, dann verlängerte Heinevetter plötzlich doch in Berlin. Er findet, dass es interessanter ist, bei einem kleineren Klub wie den Füchsen etwas aufzubauen, als sich irgendwo einzugliedern, wo schon alles aufgebaut ist. Damit, das spürt er in diesen Tagen, kann man sich verewigen.

© SZ vom 23.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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