SC Magdeburg in der Handball-Bundesliga:Die Frühblüher sind da

Lesezeit: 4 Min.

Bennet Wiegert (re.) und Co-Trainer Yves Grafenhorst: Schon als Spieler waren sie mit dem SC Magdeburg erfolgreich, nun sind sie an der Seitenlinie ein eingespieltes Team (Foto: Schulz/Eibner/Imago)

Weder Kiel noch Flensburg, sondern Magdeburg: Im Handball eilt der Deutsche Meister von 2001 gerade von Sieg zu Sieg. Mitverantwortlich dafür sind ein bemerkenswert harmonischer Kader - und Glücksgriffe beim Scouting.

Von Saskia Aleythe, Magdeburg/München

Wo der Pokal jetzt steht? Bennet Wiegert hat keine Ahnung. Es interessiert den Trainer des SC Magdeburg auch nur marginal. Gut, der Pokal war vor zwei Wochen noch zentrales Objekt ausgedehnter Kuscheleinheiten seiner Spieler, als man sich nach einem Sieg gegen den FC Barcelona erstmals Klub-Weltmeister nennen konnte. Und klar, auch Wiegert hat damit vor den Kameras posiert. Aber sich jetzt vor eine Vitrine zu stellen und Pokale anzugucken, sei nicht sein Ding. Dafür bleibt auch gar keine Zeit: Dienstag European League in Slowenien, Donnerstag DHB-Pokal in Nordrhein-Westfalen bei Nettelstedt-Lübbecke, Sonntag Bundesliga beim THW Kiel. Das Gute bei all dem Reisestress ist allerdings das Etikett, das am Klub gerade haftet: Magdeburg, das sind jetzt die Überflieger, die Unbesiegbaren - oder nicht?

Die Saison in der Handball-Bundesliga ist noch jung, sieben Partien sind gespielt, sieben Erfolge für Magdeburg. Kein Grund, gleich die Erinnerungen an die Meisterschaft 2001 und den Champions-League-Titel im Folgejahr hervorzukramen. Aber 14:0 Punkte hat eben kein anderes Team in der Tabelle stehen und die Gegner waren bisher auch nicht nur Leichtgewichte. Woran liegt es also, Herr Wiegert? "Wir haben Glück, dass der Kader gesund ist", sagt er knapp. Zur Wahrheit gehört aber auch: In Magdeburg blüht gerade einiges auf, was in den vergangenen Jahren gepflanzt wurde.

Der Blick fällt nicht auf Weltklasse-, sondern auf Entwicklungsspieler

Man kann beim Trainer anfangen, der Name Wiegert ist in Magdeburg ein großer. Oder man beginnt bei den Spielern, es sind momentan immer wieder andere, die die Partien prägen, oft mehrere zusammen. Mal ist Rechtsaußen Tim Hornke der erfolgreichste Werfer wie gegen die Rhein-Neckar Löwen, dann Rückraumspieler Michael Damgaard wie gegen Flensburg. An einem anderen Tag kommt Linksaußen Lukas Mertens groß raus, und dann sind es wieder die Torhüter. Von den Neuen noch gar nicht zu sprechen. Jeder hat Verantwortung. Und es erleichtert es dem Trainer, die Einsatzzeiten in den vielen Wettbewerben zu variieren. Magdeburg ist schlecht auszurechnen für seine Gegner, weil auf jeder Position mehrere starke - und gerade auch fitte - Spieler bereitstehen. Ein Zustand, von dem jeder Verein träumt. Aber auffällig ist auch, dass sich einige Verpflichtungen zuletzt als wahre Glücksgriffe erwiesen haben.

Von Aalborg an die Elbe: Omar Ingi Magnusson (li.) und Magnus Saugstrup (re.) verteidigen jetzt für den SCM. (Foto: Franziska Gora/Jan Huebner/Imago)

Im Sommer 2020 kam Omar Ingi Magnusson vom dänischen Klub Aalborg an die Elbe, er wurde mit 274 Treffern gleich Torschützenkönig der Bundesliga. Nichts, womit man in Deutschland berühmt wird, aber ein Beleg dafür, wie schnell der 24-jährige Isländer im Team Anschluss fand. Und auch in diesem Transfersommer scheint man in Sachsen-Anhalt einiges richtig gemacht zu haben: In Kay Smits, Mike Jensen, Magnus Saugstrup und Philipp Weber kamen vier Neue, die sich "nahtlos eingefügt haben", wie Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt sagt. Kreisläufer Saugstrup, 25, kam wie Magnusson aus Aalborg, in den europäischen Ligen guckt man sich gerne um. "Das ist auch ein Schlüssel zum Erfolg", sagt Schmedt, "weil wir wirtschaftlich nicht in der Lage sind, einfach mal das Scheckbuch aufzuschlagen und den fertigen Weltklassespieler zu holen."

Erfolgreiches Rekrutieren ist eine eigenständige Disziplin, die finanziell besser aufgestellten Rhein-Neckar Löwen haben zuletzt ihr Scheitern darin öffentlich gemacht und Oliver Roggisch zum Sportkoordinator degradiert. Die Kaderzusammensetzung soll nun strategischer angegangen werden. In Magdeburg ist man da offensichtlich ein paar Schritte weiter. Den Vergleich scheut Bennet Wiegert, auch die Konkurrenz verfüge über breite und starke Kader, natürlich: Die großen Namen spielen woanders. Aber, so Wiegert, er habe seine Lehren gezogen aus Phasen in den vergangenen Jahren, in denen es für ihn "sehr viele schlaflose Nächte gab, wenn ein Spieler mal angeschlagen oder fraglich war. Jetzt können wir das innerhalb unseres Kaders auffangen".

Handball
:Den großen Knall abgewendet

Niederlagen in der Liga, Fehler in der Kaderplanung, international raus: Die einst so erfolgreichen Rhein-Neckar Löwen erleben eine schwierige Phase - da tut bereits ein Sieg im DHB-Pokal gut.

Von Michael Wilkening

Über Handball redet Wiegert mit seinem Vater nicht mehr, "um das familiäre Verhältnis" zu entlasten

Natürlich müssen auch Nationalspieler wie Magnusson und Saugstrup erstmal von Magdeburg überzeugt werden. Da helfen dann die gesammelten Trümpfe: Zuletzt dreimal Gesamtdritter in der Bundesliga, dazu der Gewinn der European League, ehemals EHF-Cup, im Mai. "Wenn du Tabellenzehnter bist, ist es schwieriger, die Topentwicklungsspieler zu bekommen", sagt Schmedt, "es wird wahrgenommen, dass wir uns in der Spitzengruppe etabliert haben." Auch die Corona-Krise hat man bisher ganz gut überstanden; Gehaltsverzichte, staatliche Förderung bei Ticketausfällen und Treue von Sponsoren und Fans haben geholfen. "Wir konnten dadurch auch Spieler bei uns halten", sagt Schmedt. Mit den 400 000 Dollar für den Gewinn der Klub-WM lassen sich indes keine wilden Dinge veranstalten, "das haben wir im vergangenen Jahr fast für die nötigen PCR-Tests ausgegeben".

Die Tabellenspitze gehörte zuletzt immer Flensburg oder Kiel, aktuell ist aber einiges durcheinander geraten. Die Füchse Berlin sind mit 13:1 Punkten dem SCM dicht auf den Fersen, Flensburg aber hat eine Verletzungsmisere zugesetzt. Gerade ist man nur Tabellensiebter, und im DHB-Pokal schied die SG überraschend gegen Erlangen aus. Der Tabellendritte Kiel hat mit zwei Unentschieden auch schon Punkte gelassen, beim Champions-League-Auftakt am Mittwoch verspielte das Team von Filip Jicha einen Sieg gegen Ungarns Meister Pick Szeged. Die Impfdurchbrüche bei Steffen Weinhold und Sander Sagosen schwächen das Team, sie mussten zuletzt in Quarantäne. Auch Torwart Niklas Landin ist angeschlagen. Und dennoch, in Kiel punkte man nicht einfach so, sagt Wiegert, "egal, in welcher Form man ist".

Für viele der beste Handballer der Welt: Sander Sagosen (mit Ball) kann den THW Kiel zurzeit nicht unterstützen. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Im Dezember ist Wiegert sechs Jahre Trainer in Magdeburg, es war ja überhaupt seine erste Station nach der Karriere als Spieler. Mit 19 gewann er den Meistertitel, mit 20 die Champions League, auf seiner Position hatte er stets Stefan Kretzschmar vor der Nase. Vater Ingolf Wiegert war erfolgreicher DDR-Nationalspieler, Olympiasieger, Europa-Pokalgewinner mit Magdeburg. Ihn als Spieler zu übertreffen, konnte der Sohn nicht schaffen, überhaupt hat das Thema Handball zu Hause oft zu Streit geführt. "Wir hatten eine andere Auffassung dieses Spiels", sagt Wiegert, das habe sich auch nie geändert. "Heute reden wir nicht mehr über Handball, weil ich das familiäre Verhältnis nicht mehr auf die Probe stellen will."

Der 39-Jährige will nun seine eigenen Spuren hinterlassen, drei Pokale hat er als Trainer schon gesammelt; ganz egal, wo sie jetzt stehen. Aber wie konserviert man nun die Erfolge für die restliche Saison? "Das Blümchen, das wir gesät haben, müssen wir pflegen", sagt Wiegert. Die Gießkanne ist gut gefüllt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Handballer Sander Sagosen
:Superheld vor dem Absprung

Der THW Kiel will um Sander Sagosen seine Mannschaft der Zukunft bauen - doch der weltberühmte Norweger hat ein verlockendes Angebot aus seiner Heimat vorliegen.

Von Carsten Scheele

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: