Süddeutsche Zeitung

Handball:Respekt, keine Punkte

Fürstenfeldbrucks Zweitliga-Handballer verlieren beim ambitionierten HSV Hamburg mit einem Tor. Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit sind verflogen.

Von Ralf Tögel

Um 22.45 Uhr saß Martin Wild wieder im Zug. Dort hatte er schon die meiste Zeit des Tages verbracht, auf dem Weg von München nach Hamburg. Nun ging es zurück, immerhin hatte es zwischenzeitlich etwas Abwechslung gegeben: Das Spiel der zweiten Handball-Bundesliga zwischen dem HSV Hamburg und dem TuS Fürstenfeldbruck - dessen Trainer Wild ist. Die Corona-Pandemie hat den ohnehin schon engen Zeitplan weiter zusammengequetscht, englische Wochen sind die Folge. Für Wild und sein Team nicht so ohne Weiteres zu realisieren, denn der TuS spielt zwar in einer Profiliga, das Gros der Spieler ist aber berufstätig. Wie Wild, deshalb reiste er die Nacht hindurch gen Heimat, um am nächsten Tag rechtzeitig in der Schule zu sein, denn Wild ist Sportlehrer.

Er hatte also viel Zeit, über die unnötige 26:27-Niederlage gegen den HSV nachzudenken. Dessen Trainer musste übrigens am folgenden Tag nicht zur Arbeit, der ehemalige Weltmeister und Nationalspieler Torsten Jansen ist Profi und soll den ehemaligen Meister und Champions-League-Sieger mittelfristig zurück in die Beletage führen. Im Moment sieht es dafür gut aus, Hamburg steht mit 8:2 Zählern auf dem vierten Platz, die einzige Niederlage gab es beim VfL Gummersbach - eine Paarung, die vor nicht allzu langer Zeit Handball auf höchstem Niveau garantierte.

Davon waren die Hanseaten am Mittwochabend ein gutes Stück entfernt, was allerdings auch am Gegner lag. Fürstenfeldbruck, das allerorten willkommen geheißen wurde auf der großen Handballbühne, um den brach liegenden Profihandball aus der Münchner Region zu reanimieren, war dem Ligamitfavoriten ein gleichwertiger Gegner. Mehr sogar: HSV-Trainer Jansen attestierte dem Kollegen absolute Zweitligatauglichkeit, vor allem die gegnerische Abwehrarbeit, die Jansen als "eklig" bezeichnete, hätte seinem Team erhebliche Probleme bereitet. Jene Disziplin gilt auch als das Prunkstück der Oberbayern, nicht nur die Hamburger taten sich mit der offensiven, flexiblen und bissigen Verteidigung der Panther schwer. Allein: Es wollte erneut nicht gelingen, daraus Kapital in Form von dringend benötigten Punkten zu schlagen. Schon Tabellenführer Dessau-Roßlau, Ferndorf (Siebter mit 6:2 Zählern) und nun eben dem HSV unterlag der TuS erst in den Schlusssekunden unglücklich mit einem Tor. Sollte es an der Erkenntnis, dass der Aufsteiger in der Liga konkurrenzfähig ist, noch Zweifel gegeben haben, sind diese nun endgültig verflogen. Denn der TuS musste auf vier Schlüsselspieler verzichten: Johannes Stumpf ist am Knie verletzt und Sebastian Meinzer musste berufsbedingt in München bleiben, damit fehlten die beiden ersten Kräfte im linken Rückraum. Weil Max Horner der Ellbogen zwickt und Alexander Leindl noch an einem Muskelfaserriss laboriert, ließ sich dasselbe für die rechte Seite sagen.

Doch wenn der Trainer in den vergangenen Jahren etwas gelernt hat, dann ist es zu improvisieren. Wild stellte sein 18-jähriges Nachwuchstalent Stephan Seitz auf Halbrechts, der prompt fünfmal traf. Flankiert von Tobias Prestele, der eigentlich Kreisläufer ist. Zusammen mit Yannick Engelmann und Abwehrchef Korbinian Lex auf Halblinks verrichteten die Gäste auch offensiv so gute Arbeit, dass sie den Hamburgern zwischenzeitlich auf 10:6 enteilt und beim 12:14 zur Pause in Schlagdistanz waren. Trotz nachlassender Kräfte gegen den üppig ausgestatteten HSV-Kader blieben die Brucker dran und hatten nach Ansicht von Wild beim 25:26 eigentlich den Ball und damit die Chance zum Ausgleich erobert. Aber statt eines Schrittfehlers gegen den HSV ahndeten die Unparteiischen das folgende Foul, es gab Siebenmeter und eine Zweiminutenstrafe für den TuS, damit war 30 Sekunden vor dem Ende die Entscheidung gefallen. Wild nahm auch positive Erkenntnisse mit: die starke Leistung des Torhüters Stefan Hanemann, der als einziger ehemaliger Erstligaspieler das zeigte, was von ihm erwartet wird. Dass neben Seitz auch der 18-jährige Cedric Riesner keine Scheu in der Liga zeigt. Oder dass er in Falk Kolodziej, mit sechs Treffern bester TuS-Schütze, einen der besten Spielmacher in seinen Reihen hat.

Mit etwas Abstand war auch der Ärger verflogen, vielmehr reifte bei Wild die Einsicht, dass man sich den Respekt in der Liga wohl erst verdienen müsse: "Es wurden schon viele 50:50-Entscheidungen für den HSV gepfiffen." Und auch, dass man zwar angekommen sei in Liga zwei, aber nun bald beginnen sollte, auch mitzumischen. Am besten schon am Samstag daheim gegen Bietigheim, ehemals Erstligist und natürlich Favorit. Dann versuchte Wild, noch etwas zu schlafen. Er musste ja fit sein am nächsten Morgen.

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SZ vom 20.11.2020
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