Handball:Reifeprüfung nicht bestanden

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Jan Gorr. (Foto: pmk/imago)

Die Heimniederlage gegen Nordhorn ist für den Erstliga-Aufsteiger HSC Coburg ein Rückschlag, zumal die Gegner nun schwerer werden.

Von Ralf Tögel

Die SG Flensburg-Handewitt zum Beispiel. Die Nordlichter schlugen am Donnerstag in der Champions League den norwegischen Topklub Elverum, es war der vierte Sieg in der europäischen Königsklasse. Der SC Magdeburg und die Füchse Berlin sind jeweils mit Kantersiegen in die EHF European League gestartet, Wetzlar hat als einziges Team den THW Kiel geschlagen, die wohl derzeit weltbeste Mannschaft. Allesamt Hochkaräter in der weltbesten Liga - und die nächsten Gegner des HSC Coburg. Die Oberfranken sind Aufsteiger, momentan punktloser Tabellenvorletzter und müssen sich angesichts dieses Programms mit dem Gedanken anfreunden, dass sich daran in naher Zukunft wohl wenig ändern wird. Alles andere als eine Niederlage am kommenden Sonntag bei der SG-Flensburg-Handewitt, Zweiter der vorigen abgebrochenen Saison, würde jedenfalls den Bereich einer handfesten Sensation streifen. Für Jan Gorr kommt all dies nicht überraschend, der Coburger Geschäftsführer ist nicht davon ausgegangen, dass seine Mannschaft als Neuling die Liga rocken wird, dafür kennt er das Geschäft viel zu lange.

Die jüngste Niederlage gegen Nordhorn-Lingen allerdings liegt ihm noch schwer im Magen, denn die Niedersachsen sind im Gegensatz zu den Gegnern der nächsten Wochen eine Mannschaft, die leistungsmäßig schon eher im Bereich der Coburger anzusiedeln ist. Zumal es ein Heimspiel war, denn vornehmlich im eigenen Territorium sollten die für den Klassenverbleib notwendigen Punkte gesammelt werden. Angesichts von vier Absteigern eine schwere Übung, entsprechend fällt das Urteil Gorrs zur jüngsten Leistung aus. "Das war die erste echte Reifeprüfung für uns in der neuen Spielklasse, und die haben wir nicht bestanden." Freilich sind erst vier Partien einer voraussichtlich langen Saison gespielt, aber Gorr weiß, dass "wir keine Mannschaft sind, die per se die Klasse halten kann". Es müsse schon "vieles gut laufen und wir müssen viel aus unseren Möglichkeiten machen", glaubt er, um in der Beletage länger zu verbleiben. Vor allem muss der HSC schnell an Stabilität gewinnen, erklärt Gorr, der ja bekanntlich selbst jahrelang Trainer dieser Mannschaft war. Denn einer erstligatauglichen ersten Halbzeit, in der Coburg sogar bis auf 8:2 enteilt war und immerhin einen 14:11-Vorsprung hielt, folgte eine kollektive Fehlleistung im zweiten Abschnitt. Alle Zielstrebigkeit verrann mit den Spielminuten, die Verantwortung wurde mit Querpässen weitergereicht, es fand sich kein Spieler, der in entscheidenden Phasen mit Entschlossenheit voranging. Den Gästen, die in der Vorsaison abgeschlagen Letzter waren und den Klassenverbleib nur dem Corona-Abbruch verdanken, genügte eine allenfalls solide Leistung, um mit dem 29:26-Sieg die ersten Punkte einzufahren.

Gorr sieht darin den entscheidenden Unterschied. Nordhorn habe "vielleicht genau das gelernt: konstant zu spielen und Fehler zu vermeiden". Denn genau die leichten und unnötigen Fehler waren es, gepaart mit einer Vielzahl ausgelassener guter Torchancen, die den Coburgern zusehends Sicherheit und Selbstvertrauen nahmen. Von einem Leader war in diesen kniffligen Situationen ebenfalls nichts zu sehen. Dabei wurden in dem iranischen Nationalspieler Pouya Norouzi Nezhad, der aus Göppingen kam, und Drasko Nenadic, vorher beim spanischen Topklub Granollers unter Vertrag, Spieler mit Führungsqualitäten verpflichtet. Gorr will seinen Topkräften aber Zeit geben: Es sei keine Überraschung, dass es den beiden neuen Rückraumspielern noch an Bindung fehle.

Beide konnten ihre Klasse bislang nur andeuten, bekommen aber wie auch die Kollegen in den anstehenden Spielen genügend Gelegenheit, am Feinschliff zu arbeiten. Gorr ordnet die Partien angesichts der Qualität der Gegner nämlich in die Kategorie "kann, muss aber nicht" ein. Die Spiele gegen diese Spitzenteams seien "extrem gut geeignet" um an der eigenen Stabilität zu arbeiten, sich zu finden und als Kollektiv weiterzuentwickeln, um so "gewappnet zu sein, gegen die Mannschaften in Reichweite zuzuschlagen". Zudem gelte es, eine Lösung zu finden, den verletzten Linkshänder Jakob Knauer zu ersetzen - eventuell mit einem Rechtshänder im rechte Rückraum. Eine Nachverpflichtung sei nicht geplant, was sich aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Corona-Zeiten ohnehin schwierig gestalten würde.

Die Saison sei für den HSC eine riesen Herausforderung, so Gorr, da müsse man der Realität schon ins Auge blicken, man habe weder Weltklassespieler noch ein Topbudget. Letztlich werde sich der HSC in einem "Feld von sechs, sieben Mannschaften" um den Klassenverbleib balgen. Flensburg zählt nicht dazu.

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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