Handball:Räumfahrzeug auf dem Gehsteig

Handball: Ein Grund zum Jubeln: Steffen Fäth spielt wieder, wie Steffen Fäth spielen kann.

Ein Grund zum Jubeln: Steffen Fäth spielt wieder, wie Steffen Fäth spielen kann.

(Foto: Wolfgang Zink/imago images)

In den letzten Zügen eines durchwachsenen Handballjahres beeindruckt der HC Erlangen mit einem 36:26 gegen die Rhein-Neckar Löwen. Was überwiegt jetzt? Das Gute - oder das Gefühl des Unerfüllt-Seins?

Von Sebastian Leisgang

Es war das 4:2, doch das war nicht wichtig. Es hätte auch das erste oder das letzte Tor sein können, der Spielstand tat nichts zur Sache, wichtig war nur: wer das Tor erzielte - und wie er es erzielte.

Manchmal lässt sich ein Spiel auf eine einzelne Szene runterbrechen, auf ein paar Sekunden, auf ein einziges Tor. Ein Tor hat ja gerade dann eine Bedeutung, wenn es einem im Kopf bleibt, wenn es sich nicht mitreißen lässt von der Flut an Toren, gerade in einem Handballspiel, in dem auch mal 62 Tore fallen wie am Mittwochabend. Da besiegte der HC Erlangen die Rhein-Neckar Löwen 36:26, am Ende aber war es ein einziger Wurf, ein kleiner Auszug aus dem Spiel, an dem sich etwas Größeres erzählen ließ als nur: Steffen Fäth erzielt das 4:2 gegen die Rhein-Neckar Löwen.

Fäth, 31, bekam den Ball am eigenen Kreis, er sah, dass Nikolas Katsigiannis am anderen Ende des Spielfelds nicht in seinem Tor stand, er nahm Maß, er probierte es, und er traf. Ein Wurf wie ein Kunstwerk; ein Kunstwurf, der eine Menge erzählte. Fäth hat in dieser Saison erst zehn Spiele bestritten, er war lange verletzt, und als er zurückkam, spielte er nicht, wie er spielen kann. Jetzt aber, in den letzten Zügen des Jahres, da wirkt Fäth irgendwie befreit, locker - und dann gelingen ihm sogar solche Tore wie am Mittwochabend.

"Dass die Mannschaft so explodiert, das war schon beeindruckend", findet Trainer Haas

"Steffen spielt momentan auf einem sehr, sehr hohen Niveau", lobt Michael Haaß. Erlangens Trainer weiß, dass seine Mannschaft gerade dann besonders gut ist, wenn Fäth besonders gut ist. Weil der Rückraumspieler aber erst außen vor war und dann nicht in Tritt kam, musste der HCE, wie Haaß sagt, "eine Mini-Krise" mit vier Niederlagen am Stück durchmachen.

Das war also die Geschichte des Mittwochabends: Der HC Erlangen spielt jetzt, wie der HC Erlangen spielen kann, weil Fäth spielt, wie Fäth spielen kann. Jetzt läuft es, jetzt fügt es sich. "Für mich ist das keine Überraschung", betont Haaß, "nur dass die Mannschaft so explodiert, das war schon beeindruckend." Aber, und auch das ist Teil der Halbzeitbilanz, mit der Haaß und seine Spieler an diesem Freitag unter dem Weihnachtsbaum sitzen: Der HC Erlangen hat lange nicht so gespielt, wie der HC Erlangen spielen kann. "Wir haben viele Punkte geholt, von denen wir letztes Jahr weit weg waren", sagt Haaß, "es waren aber auch ein paar Auftritte dabei, die absolut nicht zufriedenstellend waren."

Klar also, dass sich jetzt auch diese Frage stellt: Was überwiegt? Auf welcher Seite steht das Aber? Ist Erlangen zwar auf einem guten Weg, hat aber deutlich zu wenig Punkte? Oder hat Erlangen bloß zu wenig Punkte, ist grundsätzlich aber auf einem guten Weg?

Einmal müssen sie noch ran in diesem Jahr, am Dienstag in Leipzig. Dann ist Pause

Wer Haaß genau zuhört, merkt, dass es nicht die Freude über die Erfolge ist, die über allem steht - es sind eher die vertanen Chancen, die ihm noch nachhängen. Als Erlangens Trainer sein Zwischenfazit zieht, steht er zwar unter dem Eindruck eines Spiels, in dem seine Mannschaft über die Rhein-Neckar Löwen hinweggefegt ist wie ein Räumfahrzeug über die Gehsteige - so manche Niederlage, die Erlangen in dieser Saison bezogen hat, treibt Haaß aber auch jetzt noch um. Das 31:35 Ende Oktober gegen Hannover sitzt selbst nach ein paar Wochen ebenso tief wie das 27:32 Ende November gegen Stuttgart und das 25:34 Anfang Dezember in Göppingen.

"So richtig abschalten werde ich an Weihnachten nicht", sagt Haaß, schließlich ist der HCE am Dienstag noch einmal in Leipzig gefordert. Es sind die abschließenden 60 Minuten eines langen Jahres, und das ist es ja, was dann erst mal bleibt: das letzte Bild, der letzte Eindruck, den die Mannschaft auf dem Platz und bei den Leuten hinterlässt.

Einmal noch abliefern, einmal noch zeigen, was mit diesem Team geht und nach dem Jahreswechsel gehen könnte, das ist Haaß' Plan. Im Januar wird nicht gespielt, die Bundesliga nimmt sich eine Auszeit, weil in Ungarn und der Slowakei ein Europameister ermittelt wird. In Leipzig zählt's also. Für Erlangen, für Haaß und auch für die Frage, auf welcher Seite das Aber steht.

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