Handball bei Olympia:Die Grande Nation staunt

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Nikola Karabatic (Mitte) will bei seinem letzten großen Turnier eigentlich den Olympiasieg holen – aber es läuft bislang nicht. (Foto: Bernadett Szabo/Reuters)

Normalerweise gewinnen Frankreichs Handballer immer und überall – doch bei diesen Sommerspielen im eigenen Land noch kein einziges Spiel. Weil das frühe Aus droht, gab es im Team eine ernste Aussprache.

Von Carsten Scheele

Im Januar in Köln war das besondere Gefühl noch spürbar. Wer sollte dieses französische Handballteam eigentlich besiegen? Zwei Mannschaften waren während der Handball-EM in Deutschland verdammt nah dran, erst die Schweden im Halbfinale, dann die Dänen im Finale. In beiden Spielen ging es extrem knapp zu, zweimal geriet der große Favorit in große Bedrängnis, die Entscheidung fiel jeweils in der Verlängerung.

Doch beide Male siegte: Frankreich, natürlich.

Nach dem Endspiel tanzten und jubilierten die Männer durch die Kölner Katakomben, einige Spieler hatten ihre Kinder dabei, es war ein ordentliches Gewusel. Etwas abseits stand Nikola Karabatic, 40, der vielfache Welthandballer, dreimalige Olympiasieger und jeweils vierfache Welt- und Europameister. Er kratzte sich am Bart und lächelte. Karabatic sah, dass seine persönliche Abschiedstour nach 22 Profijahren absolut nach Plan lief. Zwei Titel wollte er noch holen, der EM-Sieg war schon eingeheimst, der Erfolg bei Olympia im Sommer in Paris fest eingeplant. Niemand zweifelte daran, dass es so kommen würde.

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Sechs Monate später aber feiern nur die anderen. Die Franzosen hatten sich fest vorgenommen, ihrem Chef Karabatic zum Karrierefinale den Olympiasieg im eigenen Land zu schenken, doch dann so ein Start: drei Spiele, noch kein Sieg. Erst das krachende 29:37 gegen diesmal deutlich zu starke Dänen, dann das nicht minder deprimierende 22:27 gegen Norwegen, in der Arena Paris Sud vor den eigenen, ganz in bleue getünchten Fans, die reichlich staunten ob der Chancenlosigkeit ihrer erfolgsverwöhnten Équipe.

„Die Fehler, die wir gemacht haben, sind unglaublich“, sagt Karabatic

Danach waren Sätze zu bestaunen, die französische Handballer eigentlich nicht formulieren müssen. „Wir nutzen unsere Stärken nicht. Wir können es nicht schlimmer machen“, sagte der nie um klare Worte verlegene Rückraumwerfer Elohim Prandi. Er erging sich in einer Art Fundamentalkritik: „Ich sage Ihnen die Wahrheit, ich bin ehrlich“, erklärte Prandi den Journalisten: „Ich verspüre keine Freude an unserem Spiel.“

Auch der Chef beschwerte sich. „Die Fehler, die wir gemacht haben, sind unglaublich“, sagte Karabatic: „Wir hetzen, es mangelt uns an Disziplin. Es mangelt an Selbstvertrauen, es ist eklatant.“ Dies ist ein entscheidender Punkt, noch vor wenigen Monaten hatten die Franzosen die Gabe, schwierige Spiele kraft ihres Selbstvertrauens hinzubiegen, auch wenn handballerisch mal Probleme auftauchten. Plötzlich ist dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit passé, als wäre es irgendwo auf dem Weg von Köln nach Paris aus dem Gepäckfach geplumpst.

In dieser explosiven Gemengelage wäre am Mittwoch sogar fast die dritte Partie gegen Ägypten verloren gegangen, hätte Kreisläufer Ludovic Fabregas in letzter Sekunde nicht noch den Ball zum Ausgleich (26:26) ins Netz gewuchtet. Dieser Moment war der erste Lichtblick für die Franzosen beim olympischen Turnier – an ihm will sich das Team nun aufrichten. „Wir werden nicht von null auf hundert kommen, aber wir haben Charakter gezeigt“, sagte Rückraumspieler Dika Mem, der bei diesem Turnier bislang als einer der wenigen Normalform beweist. Auch Prandi äußerte sich etwas positiver gestimmt: „Man kann nicht alles über Nacht ändern, es gibt kein Fingerschnippen. Aber ich bin sicher, dass es jetzt immer besser wird.“

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Jetzt müssen gegen Argentinien und Ungarn unbedingt zwei Siege her

Das muss es auch, sonst kann die Mission Olympiasieg schnell vorbei sein. Platz vier in der Vorrundengruppe, der zum Einzug ins Viertelfinale berechtigt, ist noch drin, dafür müssen aber zwei Siege her: am Freitag gegen Argentinien (Anpfiff elf Uhr) und am Sonntag gegen starke Ungarn, die nur mit einem Tor Unterschied gegen Norwegen verloren haben. Geht nur ein Spiel schief, hätte das olympische Handballturnier seine größtmögliche Überraschung. Mit Platz vier in Vorrundengruppe B stünde auch sofort im ersten K.-o.-Spiel ein Duell mit dem Ersten der Gruppe A an, gegen die Spanier, Kroaten oder die Deutschen. Es gibt angenehmere Aussichten.

Offenkundig sind im französischen Team nach dem Norwegen-Spiel Worte der härteren Sorte gefallen. Man habe sich „48 Stunden wie Männer in die Augen geschaut“, sagte Torhüter Rémi Desbonnet. Auch Coach Guillaume Gille deutete an, die Mannschaft müsse „intern Lösungen finden“, damit es besser wird. Womöglich hat Gille bei der Auswahl seiner 14 Spieler (plus drei Ersatzkräfte) für das Turnier auch nicht die beste Wahl getroffen. Selbstverständlich hat er ein Überangebot an hochqualifizierten Spielern, da sind harte Entscheidungen für einen Olympiakader normal; dass er jedoch erstmals seit zehn Jahren bei einem großen Turnier auf Mittelmann Kentin Mahé verzichtete, der in wichtigen Momenten eine besondere Nervenstärke beweist, war vielleicht nicht Gilles bester Zug. So wie das Turnier bislang lief, hätte er Mahés Fähigkeiten gebrauchen können.

Regeln müssen es jetzt die 14 Spieler, die in Paris versammelt sind. Und die scheinen verstanden zu haben, worum es nun geht. „Wir müssen gewinnen“, sagte Dika Mem: „Wir haben keine Wahl.“

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