Handball-Nationalmannschaft:Elf Tore Vorsprung

Handball-Nationalmannschaft: Die Geste, die den Stilwandel von Bundestrainer Prokop dokumentiert. Bei der EM-Pleite 2018 hieß es, er kritisiere zu viel. Nun hat er das Loben gelernt - und lässt sein Team die Dinge auch mal selber regeln.

Die Geste, die den Stilwandel von Bundestrainer Prokop dokumentiert. Bei der EM-Pleite 2018 hieß es, er kritisiere zu viel. Nun hat er das Loben gelernt - und lässt sein Team die Dinge auch mal selber regeln.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Positiv gestimmt zieht die deutsche Handballauswahl von Berlin nach Köln: Das Personal-Puzzle stimmt, der Stilwandel passt.

Von Klaus Hoeltzenbein

Wäre auch noch schöner, wenn alles schon geklappt hätte. Mitten im Spiel gegen Serbien gab es sogar Pfiffe, die ersten und die einzigen fürs deutsche Nationalteam im bisherigen Turnier. Und das liegt an einer relativ neuen Regel, so neu aber auch nicht, dass die Deutschen damit nicht längst hätten klarkommen können. Sie müssen nur noch ein bisschen üben.

Das sah am Donnerstagabend, beim Abschied aus Berlin, so aus: Torhüter Silvio Heinevetter raus, siebter Feldspieler rein. Ein solcher Wechsel ist seit 2016 erlaubt, daraus ergibt sich eine Überzahl im Angriff. Die muss jetzt nur noch clever genutzt werden. Aber es ist auch Zockerei. Geht vorne was schief, Ballverlust, Fehlwurf, Offensivfoul, kommt der Ball in einer Art Bumerangeffekt zurück. Und fliegt ins eigene, leere Tor. Gleich dreimal in Serie konterten so die Serben - und Heinevetter schaute draußen entgeistert zu.

"Wann soll ich das testen, wenn nicht heute?", fragte später Christian Prokop, der Initiator des Versuchs: "Aber so ist es natürlich mehr als ein Eigentor."

Eines, das der Bundestrainer sich leisten wollte. Als er den Befehl zum Experimentieren gab, verwaltete seine Mannschaft einen Zehn-Tore-Vorsprung, am Ende wurde sie mit einem 31:23 und Ovationen aus Berlin zur Hauptrunde nach Köln verabschiedet. Eine Mannschaft, die nun weiß, dass sie ein paar Probleme zu lösen hat, aber weit weniger als vor Turnierstart befürchtet. In die Duelle gegen Island, Kroatien und Spanien zieht sie sogar mit einem Polster: "Wir haben elf Tore Vorsprung", rechnet DHB-Vizepräsident Bob Hanning. Laut der nicht einfachen Turniermathematik werden die Vorrundenergebnisse gegen die ebenfalls qualifizierten Brasilianer (34:21) und Franzosen (25:25) mitgenommen; und da Frankreich Brasilien nur 24:22 bezwingen konnte, liegen die Deutschen im Quervergleich mit dem Titelverteidiger erst mal vorne.

Wenn Prokop jetzt seine Pro-und-Contra-Wertung fortschreibt, so ist da neben der Überzahl-Schlamperei nicht allzu viel zu bekritteln, im Gegenteil. Besonders die Abwehr wird bestätigen wollen, warum sie Bob Hanning schon jetzt als "die beste der Welt" adelt. Es ist selbst für gut geschulte Mauerspechte kein Vergnügen, sich zwischen Lemke (2,10 Meter), Pekeler (2,03), Wiencek (2,01) und Kohlbacher (1,93) durchzwängen zu wollen. Im Angriff gab es noch ein paar Zitterhände zu viel, gegen Frankreich und Russland (22:22) wurden klare Vorsprünge verspielt.

Kapitän Uwe Gensheimer ist bereits ein Hauptdarsteller des Turniers, Steffen Fäth soll noch in eine solche Rolle wachsen. Der Leise im Team (zwölf Vorrunden-tore), der auf der Schlüsselstelle im linken Rückraum spielt, bekommt von Hanning deshalb eine separate Motivationsrede gehalten: "Ich bin felsenfest davon überzeugt: Wenn wir eine Medaille wollen, brauchen wir ihn noch besser, als er schon ist." Fäth müsse "jetzt für uns die Kohlen aus dem Feuer holen - weil er es kann". Vorgeführt beim Gewinn der Europameisterschaft 2016, bei der Fäth als bester deutscher Rückraumspieler galt.

Prokop, 40, aber hat schon heute die Bestätigung, dass nicht nur sein Personal-Puzzle stimmt. Auch sein Stilwandel hat offenbar geklappt. Im Januar 2018 ging er sein erstes Turnier als Bundestrainer so radikal an, als wolle er den Sport neu erfinden. Konzept kam vor Personal, Prokop entging haarscharf der Entlassung. Im Januar 2019 kommt erst die Teampsychologie, dann das passende Konzept dazu. Selten war auf einer Bundestrainer-Planstelle eine interessantere Metamorphose zu bestaunen.

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