Süddeutsche Zeitung

Handball-Meister THW Kiel:Der Mann vom Knattspyrnufelag

In den Wirren der Manipulationsaffäre hat der Isländer Alfred Gislason den THW Kiel zu einem beeindruckenden Meistertitel gelenkt.

Christian Zaschke

Es ist in jeder Hinsicht die seltsamste Meisterschaft, die der THW bisher errungen hat: Früher als je ein Klub in der Geschichte der Handball-Liga hat der THW den Titel gewonnen, in einer Saison, die seit Wochen von Manipulationsvorwürfen überschattet wird. Von Rekord zu Rekord eilte die Mannschaft, und um die fünfte Meisterschaft in Serie (auch das ein Rekord) perfekt zu machen, musste das Team nicht einmal antreten.

Durch das 32:28 der SG Flensburg gegen den HSV Hamburg vom Dienstagabend ist der Vorsprung der Kieler auf Platz zwei an den fünf noch ausstehenden Spieltagen nicht mehr aufzuholen. Die Partie gegen Wetzlar am Mittwochabend diente der Einleitung der Feierlichkeiten und der Vorbereitung auf die Partien in Pokal und Champions League.

Es passt zu dieser seltsamen Meisterschaft, dass es die Flensburger waren, die den Kielern den Titel sicherten. Nicht nur sind die beiden Nordklubs die größten Rivalen der Liga - der THW soll sich den Sieg gegen die Flensburger im Champions-League-Endspiel 2007 gekauft haben. Derzeit prüfen die Flensburger, ob sie eine Klage gegen den THW vorbereiten können - es geht unter anderem um die entgangene Siegprämie für die Champions League von 160.000 Euro. Und es passt auch zu dieser seltsamen Meisterschaft, dass sie von einem Trainer gewonnen wurde, der zu Beginn dieser Saison das schwerste im Handball vorstellbare Erbe angetreten hat und nach dem ersten Punktspiel bereits in der Kritik stand.

Der Isländer Alfred Gislason löste zu Saisonbeginn Noka Serdarusic auf der Trainerbank ab, der mit dem THW mehr Titel gewonnen hatte, als man ohne Mathematik-Studium zählen kann. Im ersten Heimspiel unter Gislasons Leitung erreicht der THW Kiel ein 28:28 gegen Dormagen, was an der Förde als Blamage gewertet und in der Liga belächelt wurde. Das wird wohl nichts, frohlockten nicht wenige. Doch es wurde etwas, weil Gislason gute Arbeit lieferte.

Sein größtes Verdienst ist es, dass die Mannschaft weiter funktionierte, als die Manipulationsvorwürfe öffentlich wurden. "Es ist wichtig, dass die Erfolgsgeschichte auch mit mir fortgesetzt wird", sagte er - und schottete die Mannschaft von dem Trubel ab, so weit das möglich war. Er selbst beschäftigte sich kaum mit den Vorwürfen. Und wenn er das doch einmal tat, dann wiegelte er meistens ab.

"Kiel ruft nur einmal an"

Für das fehlende Geld in der Kasse - für 152.000 Euro gibt es bisher keine Belege - hat er sich die Erklärung überlegt, dass sie als Provisionen gezahlt wurden, um Spieler verpflichten zu können. Zu den Vorwürfen von Jesper Nielsen, einem Gesellschafter der Rhein-Neckar-Löwen, der insbesondere den ehemaligen THW-Geschäftsführer Uwe Schwenker belastet, sagte Gislason: "Es ist lächerlich, was dieser Däne so von sich gibt. Er ist ein kleiner Selbstdarsteller. Er ist gerade nach Deutschland gekommen, weil ihm in Dänemark keiner mehr zuhört."

Auch wenn er es offenbar nicht wahrhaben will, wird Gislason damit leben müssen, dass seine bemerkenswerte Arbeit von der Affäre um den Klub überschattet wird. Der Job in Kiel war sein Traum. Nach der Anfrage im Sommer 2008 sagte er: "Kiel ruft nur einmal an." Für 700.000 Euro kaufte ihn der THW aus einem bis 2010 laufenden Vertrag mit dem VfL Gummersbach heraus. Einen kompetenteren Nachfolger für Serdarusic hätte der Klub kaum finden können. Die Zuschauer in der Ostseehalle feierten ihn kürzlich mit Sprechchören. "Alfred", skandierten sie, und Gislason verstand lange: "Abwehr." Als er bemerkte, dass er gemeint war, war es ihm peinlich.

Der 49-Jährige kann auf eine bewegte Karriere im Handball zurückblicken. Seit 1975 war er aktiv, erst spielte er für KA Akureyri und dann für einen Klub in Reykjavik, der den zweifellos schönsten Namen der Welt führt: Knattspyrnufelag. Mit Tusem Essen wurde er 1986 und 1987 deutscher Meister, dann kehrte er zurück zu Knattspyrnufelag. Einem Abstecher nach Spanien ließ er eine Phase als Spielertrainer in Island folgen, bevor er sich ganz aufs Trainieren verlegte.

Der fauchende Geysir

1997 kam er wieder nach Deutschland, erst als Trainer in Hameln, wo er erst abstieg und dann den Aufstieg nicht schaffte. Dennoch verpflichtete ihn 1999 der SC Magdeburg. Eine damals erstaunliche Entscheidung, die sich als richtig erwies. 2001 wurde Gislason mit dem Klub deutscher Meister, 2002 gewann er die Champions League. Immer ist Gislason abseits des Spielfeldes - an dessen Rand er während der Partien stets eine Performance zeigt, die mit dem Titel "Fauchender Geysir" passend beschrieben ist - ein ruhiger und besonnener Mann. Nach dem Sieg im Jahr 2002 war der Hobby-Angler und Historiker außer sich vor Freude: Er schrie, tanzte und sang.

Ab 2006 war Gislason Nationaltrainer Islands und Coach in Gummersbach, bevor er 2008 nach Kiel kam. Ob er die Serie der Erfolge dort wird fortsetzen können, erscheint derzeit fraglich. Nicht nur ist unklar, ob die Manipulationsvorwürfe Konsequenzen haben werden, auch will Starspieler Nikola Karabatic den Verein verlassen. Zudem beendet Kapitän Stefan Lövgren - Kopf und Herz der Mannschaft - seine Karriere. Den Pokal und die Champions League kann Gislason in dieser Saison noch gewinnen. Es ist gut möglich, dass er ab der kommenden Saison eher Aufbauarbeit leisten muss.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2009
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