Handball-Bundesliga:Eine Tabelle zum Augenreiben

Füchse Berlin - SC Magdeburg

Michael Damgaard (Mitte) hebt ab - und half den Magdeburgern, auch das Topspiel gegen die Füchse Berlin zu gewinnen.

(Foto: Andreas Gora/dpa)

Kommt der nächste deutsche Meister aus Magdeburg? Im Handball scheinen die Zeiten vorbei zu sein, in denen der Titel automatisch nach Kiel oder Flensburg geht. Für die Liga ist dies ein Segen.

Von Carsten Scheele

Das Leben als verlustpunktfreier Tabellenführer ist hart. Was man da alles über sich lesen muss: Sie seien nach nur 11 von 38 Spieltagen "auf Meisterkurs", stand bereits über die Handballer des SC Magdeburg geschrieben. Von den "Unschlagbaren" war in einem anderen die Rede. Vor dem Topspiel gegen die Füchse Berlin titelte zudem die Berliner Zeitung: "Sitzt der SC Magdeburg schon im Meister-Bus?" Immerhin versehen mit einem Fragezeichen.

Auch das Aufeinandertreffen mit den Füchsen hat das Team von Trainer Bennet Wiegert anschließend gewonnen: 33:29 beim Tabellenzweiten, die nächste Demonstration der Magdeburger Stärke. Jetzt sind es 22:0 Punkte nach elf Spieltagen, fünf Punkte Vorsprung vor den Füchsen. Vor allem die Magdeburger sind dafür verantwortlich, dass sich jeder, der derzeit einen Blick auf die Bundesliga-Tabelle wirft, kurz die Augen reibt: Standen da zuletzt nicht immer andere vorne? Der THW Kiel? Die SG Flensburg-Handewitt?

Die Erfolgsverwöhnten sind aktuell nur Dritter und Vierter, sechs beziehungsweise acht Punkte zurück. Magdeburg hat gegen alle anderen Topteams schon gewonnen, die nächsten Gegner heißen: Nettelstedt, Minden, Lemgo. Gut möglich, dass der SCM danach noch wildere Schlagzeilen lesen muss.

Überraschungsteams gibt es im Handball immer mal. Zuletzt im Herbst 2019: Hannover-Burgdorf, sieben Siege zum Start - bis der erwartbare Einbruch kam. Doch Magdeburg ist kein Team, das aus dem Nichts eine Siegesserie gestartet hat. Meister war der Klub zuletzt 2001, hat sich in den vergangenen Jahren aber erkennbar an die beiden großen, der Liga scheinbar enteilten Nordklubs herangerobbt. Dritter wurde der SC Magdeburg in der vergangenen Saison, knapp vor Berlin.

Jetzt stehen die beiden Klubs ganz vorne. Eine Momentaufnahme? Es ist eher der Beleg, wie breit die Spitze geworden ist. Das liegt natürlich nicht zuletzt am Kieler Tief rund um den angekündigten Abschied von Spitzenspieler Sander Sagosen; oder am überbordenden Flensburger Verletzungspech. Aber eben auch an der guten Arbeit, die in Magdeburg, Berlin oder anderswo geleistet wird. "Für die Liga ist das alles super positiv", sagt Uwe Schwenker, der Präsident der Bundesliga (HBL).

Schwenker ist normalerweise unverdächtig, dass ihm die Dominanz der Nordklubs - seit der Saison 2003/04 gab es nur zweimal einen Meister aus dem Süden - gegen den Strich gehen könnte. 295 eigene Bundesligaspiele für Kiel und etliche Jahre als THW-Funktionär haben Schwenker geprägt.

Der größte Fehler wäre aber, die Kieler und Flensburger vorzeitig abzuschreiben

Für die Bundesliga jedoch, das weiß auch Schwenker, ist dieser Saisonverlauf unglaublich wertvoll. Nichts ist bedrückender als ein Szenario, in dem nur zwei Teams die Meisterschaft unter sich ausmachen. Dass jetzt zwei ganz andere vorne stehen, sei ein "Beleg für die Stärke und Ausgeglichenheit" der deutschen Liga, sagt Schwenker. Eine spannende Bundesliga ist umso wertvoller, weil sich das größte Zugpferd der Sportart, die Nationalmannschaft, in einem ernst zu nehmenden Umbruch befindet. Es ist kaum absehbar, wann das deutsche Team wieder in der Weltspitze angreifen kann, bei der EM im Januar in Ungarn und der Slowakei eher nicht.

Den Magdeburgern, die im Oktober sogar den FC Barcelona besiegten und überraschend Klub-Weltmeister wurden, ist es zuzutrauen, dass sie auf absehbare Zeit in der Spitzengruppe verbleiben. Trainer Bennet Wiegert, 39, leistet seit sechs Jahren herausragende Arbeit, ebenso Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt, der den Kader gezielt in der Breite gestärkt hat. In Rückraumspieler Omar Ingi Magnusson hat die Mannschaft den überragenden Akteur der Liga, um ihn herum schart sich viel Qualität, von Nationalmannschafts-Mittelmann Philipp Weber über den Dänen Michael Damgaard bis zu Neu-Nationalspieler Lukas Mertens. Überhaupt gehen die am höchsten gehandelten Spieler nicht mehr automatisch nach Kiel oder Flensburg: Die Füchse Berlin haben kürzlich das Rennen um Toptalent Mathias Gidsel gemacht, der Linkshänder kommt zur Saison 2022/23 aus Dänemark. Flensburg hatte ebenfalls Interesse.

13.11.2021, xgox, Handball - Liqui Moly HBL, Fuechse Berlin - SC Magdeburg emspor, v.l. Omar Ingi Magnusson (Magdeburg,

Ist aufgrund seiner Körpertäuschung kaum zu halten: Ómar Ingi Magnússon im Spiel gegen die Füchse Berlin.

(Foto: Franziska Gora/Jan Huebner/imago)

Es wirkt, als erfahre die ganze Liga gerade eine Frischzellenkur. "Das ist eine sehr gute und interessante Entwicklung", sagt Präsident Schwenker. Er sieht in dieser Saison vier Teams, die den Titel unter sich ausmachen werden: Magdeburg, Berlin, Kiel, Flensburg. Der frühere Nationalspieler und heutige Berliner Sportvorstand Stefan Kretzschmar geht noch einen Schritt weiter, er rechnet perspektivisch die Rhein-Neckar Löwen, Leipzig, Melsungen und vielleicht Erlangen mit dazu - ganz neue Perspektiven also.

Eine Saison ohne Punktverlust? Man möge doch bitte demütig bleiben, sagt Wiegert

Wobei es vermutlich der größte Fehler wäre, Kiel und Flensburg vorzeitig abzuschreiben. Sind alle Spieler gesund, haben beide Vereine die stärksten Kader, das kann sich im Saisonverlauf auszahlen. Im Januar, wenn die EM gespielt wird, werden die Karten ohnehin neu gemischt. Dann entscheidet sich, welcher Klub wie viele verletzte Spieler wiederbekommt und ob dann auch die Magdeburger wichtige Stützen ersetzen müssen.

Zu große Erwartungen werden von Trainer Wiegert deshalb energisch zurückgewiesen. Das bislang stets vermiedene M-Wort sei zwar "nicht mehr wegzureden"; die Einlassung von Bundestrainer Alfred Gislason, der den Magdeburgern eine perfekte Saison ohne Punktverlust zutraut, passte ihm jedoch gar nicht. Man möge bitte demütig bleiben, sagte Wiegert da. In dieser Woche folgte tatsächlich der erste Mini-Rückschlag der Saison, im Europapokal, nur 29:29 beim spanischen Klub BM Logrono La Rioja, trotz zwischenzeitlicher Vier-Tore-Führung. Ärgerlich. Aber verloren hat Magdeburg immer noch nicht.

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GER, Handball Maenner, 1. Bundesliga, 2021/2022, 7. Spieltag, SC Magdeburg - SG Flensburg-Handewitt, 17.10.2021, vl.: C; Bennet Wiegert

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