Deutschlands Handball-Gegner Korea:Den politischen Träumen voraus

Handball: Korea - SC Oranienburg

Im abschließenden Testspiel Koreas beim Oranienburger HC in Berlin setzt sich Seo Seung-hyun beim Wurf durch.

(Foto: dpa)
  • Bei der Handball-WM fordert das vereinigte Team aus Korea an diesem Abend zum Auftakt die deutsche Mannschaft.
  • Der Politik kann sich das Team aus Asien kaum entziehen - die Symbolik spielt mit.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Nach Berlin schickt Kim Jong-un keine Armee, jedenfalls ist keine angekündigt. Auch in Pyeongchang, bei den Olympischen Winterspielen vor einem Jahr, war keine angekündigt, aber dann ist doch eine gekommen. Die Army of Beauties, die Armee der Schönheiten. Nordkoreas Machthaber hatte eine Cheerleadertruppe in den Süden delegiert. Nicht zum Medaillensammeln, sondern um den Sportlern ein paar Bilder und auch ein wenig die Show zu stehlen. Kein Olympiasieger wurde häufiger ins Bild gerückt als die mehr als 200 Frauen, alle um die zwanzig, alle größer als 1,65 Meter, alle im selben Outfit: rote Mäntel mit schwarzem Fell, halbhohe Schuhe, rote Rollkoffer als Gepäck. Kims Rote Armee. Schräge Propaganda.

Auch Cho Young-shin hat für die nächsten Tage "ein paar schöne Bilder" versprochen. Er tat dies am Freitagmorgen im Berliner Horst-Korber-Sportzentrum gleich neben dem Olympiastadion vor wenigen Kameras und wenigen Reportern, aber Cheftrainer Cho weiß, dass sich die Welt in den nächsten Tagen für sein Projekt interessieren wird. Spätestens dann, wenn Korea am Donnerstag bei der Handball-WM das Auftaktspiel gegen Deutschland bestreitet. Erstmals seit Olympia geht wieder ein koreanisches Vereinigungsteam an den Start.

Eine Mannschaft, die den politischen Träumen vorauseilen soll. Kein leichtes Unterfangen, eher ein Experiment. Und da Kims Rote Beauty-Armee wohl zu Hause bleibt, also auch nicht ablenken kann, werden viele sehr genau hingucken, ob das denn funktioniert, was da beschlossen wurde: 16 Südkoreaner spielen bei der WM mit vier Nordkoreanern - mit Pak Jong-gon, Ri Kyong-song, Ri Yong-myong und Ri Song-jin.

Beim Handball müssen die Bewegungsabläufe über Wochen und Monate einstudiert werden, um erfolgreich zu sein. Das inner-koreanische Kennenlernen aber hat erst vor wenigen Tagen begonnen, und die einzigen beiden Testspiele, die sie vor dem WM-Start überhaupt bestreiten, finden gegen niederklassige Teams in Potsdam und Oranienburg statt. Es ist dort eine Art Generalprobe, erklärt Trainer Cho: "Wir wollen da sehen, ob wir den richtigen Weg für dieses Team gefunden haben. Wir wollen zeigen, dass wir als Korea diesen Weg gehen können. Wir werden eine einheitliche Mannschaft der Welt zeigen." Und Cho verspricht für die WM: "In jedem Spiel wird mindestens ein Spieler aus Nordkorea auf dem Parkett zu sehen sein."

Das Problem ist das Niveau-Gefälle. Zwar erzählt der Spieler Ri Song-jin, der Nordkorea am Freitag am Mikrofon vertrat, dass Oberbefehlshaber Kim Jong-un schon zweimal ein Handballspiel besucht habe und dabei versprach, die Sportart zu fördern, trotzdem: Es ist jetzt ungefähr so, als würden die Füchse Berlin, das deutsche Spitzenteam, mal kurz für einen Europapokal-Abend mit einem Oberligisten fusionieren. Da weiß auch jeder, wer spielt.

Südkorea ist zwar bei den Männern längst nicht mehr Weltklasse (das sind aber noch immer die Frauen), und auch die Zeiten von Yoon Kyung-shin liegen lange zurück. Der Linkshänder warf von 1996 bis 2008 für den VfL Gummersbach und den HSV Hamburg und ist mit 2905 Treffern der erfolgreichste Bundesliga-Torschütze. Später stellte auch er fest, seine Landsleute seien insgesamt einfach zu klein, um in der Weltspitze auf Dauer mitzuhalten. Yoon maß 2,04 Meter, in Koreas WM-Aufgebot findet man jetzt nicht viele, die die 1,90 Meter übertreffen. Die einzige Lösung ist dann: Tempohandball.

Die Idee, Korea für voraussichtlich nur fünf Vorrundenspiele auf dem Parkett zu vereinen, hat sich der Ägypter Hassan Moustafa, Chef des Handball-Weltverbandes IHF, bei Olympia abgeschaut. Dafür wurden die Regeln ein wenig gebeugt: Südkorea war für die Weltmeisterschaft qualifiziert, die vier Nordkoreaner kamen hinzu, jedes andere Team bleibt auf 16 Akteure begrenzt. Auch Trainer Cho war bereit zum Kompromiss. Da alle Nordkoreaner Soldaten sind, nominierte er keinen Spieler aus jenem Militärklub, den er sonst trainiert. Soldaten sollen sich in diesem Team nicht begegnen, beide Länder befinden sich trotz dezenter Annäherung weiter formal im Kriegszustand.

Begünstigt aber wurde der Einstieg in die Handball-Politik durch den Ort, an dem man sich nun trifft: "Gerade Berlin ist ein Symbol für Friede und Einheit", führt Cho aus. Die Assoziation drängt sich auf: In Berlin fiel 1989 eine Grenzmauer, die abschreckend und unüberwindlich war wie jene, die Korea bis heute trennt.

Soeben hat sich Thomas Bach in einer längeren Neujahrsbotschaft an die Sportwelt gewandt. Ein Drittel seines Briefes widmet der deutsche Chef des Internationalen Olympischen Komitees der Rolle des IOC als Mittler zwischen beiden Koreas im Vorjahr in Pyeongchang: "Wir haben gesehen, wie die Olympischen Spiele einen Weg zum Dialog öffnen können, wie olympische Werte den Weg öffnen können zu einer friedlichen Zukunft."

Trainer Cho vermittelt den Eindruck, dass es ihm sehr ernst mit seiner Aufgabe ist

Es geht aber auch eine Nummer kleiner, wurden doch sofort nach der Schlussfeier alle Nordkoreaner wieder zurück hinter die Grenze befohlen - in eine ungewisse Zukunft. Und so bietet der Sport auch jetzt, beim Handball-Turnier in Berlin, nur die Kulisse fürs Welttheater. Die Bühne für eine Geste, die man allerdings auch nicht zu gering schätzen sollte. Nicht nur Trainer Cho vermittelt den Eindruck, dass es ihm sehr ernst mit seiner Aufgabe ist. Diplomatisch eine heikle Mission: Sportlich erfolgreich zu sein, und dabei allen gerecht werden zu müssen. Jeder Spieler soll schließlich bei diesem Abenteuer das Gesicht wahren können.

Aber treffsicherer als Koreas vereintes Eishockeyteam der Frauen, das bei den Winterspielen 2018 im Fokus stand, werden die Handballer wohl sein können; auch ohne Weltklasse-Werfer in den Reihen. Bei Olympia kassierte das Frauen-Team in fünf Spielen 28 Gegentore und erzielte selbst lediglich zwei. Anschließend sagte die Kanadierin Sarah Murray, die eine Mannschaft aus 23 Süd- und zwölf Nordkoreanerinnen zu formen hatte, über ihre Spielerinnen: "Die Politiker haben die Entscheidung gefällt, sie haben sie mit Leben gefüllt." Sicher hofft auch der Handball-Trainer Cho auf ein ähnliches Fazit. Und dass er helfen kann, den Eisernen Vorhang zumindest mal wieder einen Spalt breit zu öffnen.

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