Ein Grund, weshalb Juri Knorr im Sommer nach Aalborg wechselt, ist bekanntermaßen, dass dem Mittelmann der Rummel um seine Person in Deutschland gelegentlich etwas viel wird. Also lieber nach Dänemark, in die kleinere Liga, wo weniger Aufregung herrscht; wo auch nicht so viele deutsche Reporter auftauchen, weil es von der Grenze bis nach Aalborg doch fast 300 Kilometer sind. Hochklassig Handball spielen kann Knorr auch in Dänemark, sogar in der Champions League. Nur ist der Alltag beschaulicher.
Mit einer Sache hat Knorr bei seiner Vertragsunterschrift aber nicht gerechnet: dass er in Aalborg auf eine der größten Berühmtheiten der Handballbranche trifft. In einem überraschenden Schritt und unter Verwerfung seines kompletten Karriereplans hat sich der Norweger Sander Sagosen in der vergangenen Woche den Aalborgern angeschlossen. Hinfort aus Kolstad, seinem Jugendverein in Trondheim, der mit Sagosen eigentlich Europas Handballelite aufmischen wollte. Zurück zu Aalborg Handbold, dem beständigen Champions-League-Vertreter, der im vergangenen Sommer das Königsklassenfinale knapp gegen den FC Barcelona verloren hat.

Sander Sagosen:Er sollte doch Welthandballer werden
Sander Sagosen galt als kommender bester Handballer der Welt. Doch sein Wechsel in die Heimat zum Millionenprojekt nach Kolstad hat einiges durcheinander gebracht. Der Norweger beklagt mentale Probleme – und rätselt.
Und wo er im Sommer auf Juri Knorr trifft. Sagosen und Knorr in einer Mannschaft, diese Idee hat sehr viel Charme und ist geradezu verheißungsvoll. Zwei solch kreative und herausragende Handballer in einem Team können viel bewirken, zumal nicht zu befürchten steht, dass sich beide um einen Platz im Rückraum balgen müssen. Sowohl Knorr als auch Sagosen können auf der Mittelposition und im linken Rückraum agieren. Sagosen ist der erfahrenere Mann, der schon in Paris sowie Kiel gespielt hat und einmal die Champions League gewinnen konnte (2020 mit Kiel). Er ist 29 und damit fünf Jahre älter als Knorr, dem Experten wiederum in den kommenden Jahren den großen Durchbruch zutrauen.
Läuft alles optimal, könnten Knorr und Sagosen jeweils einen Teil der Verantwortung schultern, auf und neben dem Platz. Und den anderen auf diese Weise entlasten. „Eine Bombe“, schrieb die schwedische Zeitung Aftonbladet, die als Erste vom Sagosen-Deal berichtet hatte. Ein großer Knall ist es allemal.
Nach vier Tagen gewinnt Sagosen bereits den ersten Titel mit Aalborg
Sagosen hat bereits prompt seinen ersten Titel mit Aalborg gewonnen. Am Donnerstag wurde der Wechsel publik, schon am Sonntag stand das dänische Pokalfinale an. Sagosen hat zwar nicht viel gespielt, wegen seiner bei der Weltmeisterschaft erlittenen Wadenverletzung kam er gegen Silkeborg nur zu Kurzeinsätzen in der Abwehr. Doch er hängte sich rein, setzte für die Siegerehrung sogar einen dieser goldenen Partyzylinder auf. Er ist jetzt Teil von Aalborg.
Für Sagosen ist der Wechsel auch das Eingeständnis, dass er sich in der Wahl seines Karrierewegs verspekuliert hat. Beim THW Kiel, wo Sagosen von 2020 bis 2023 spielte, waren sie gewillt, dem Norweger die Zukunft anzuvertrauen und um ihn herum die neue Mannschaft aufzubauen. Überraschend entschied er sich 2023 aber zur Rückkehr zu seinem Heimatverein, der plötzlich mit den Millionen eines Investors lockte. Nicht nur Sagosen wurde verpflichtet, auch die Branchengrößen Magnus Gullerud, Magnus Röd sowie Janus Smarason. Das Ziel: Erst die Nummer eins in Norwegen werden, dann in Europa. Im Hintergrund agierte der Lebensmittelkonzern Rema 1000, am Kleingeld sollte es nicht scheitern.

Handball-WM:Der neue Juri Knorr
Vor einem Jahr drohte Juri Knorr unter der Last der Verantwortung im Handball-Nationalteam zu zerbrechen. Jetzt geht er die Dinge lockerer an – was auch an einem Teamkollegen liegt.
Doch bald wurde klar, dass sich Kolstad finanziell verspekuliert hatte. Erst kürzte der Klub die Spielergehälter, dann gingen die Spitzenkräfte fort. Der Einzige, der zunächst blieb, war Sagosen, wohl aus einem großen Verantwortungsgefühl heraus. Bis er erkannte, dass seine Karriere zu keinem guten Ende kommen würde, wenn er im kleinen Kolstad versauert, während im Welthandball anderswo die Post abgeht. Zumal Sagosen in Interviews immer wieder von mentalen Problemen berichtete.
In Aalborg konnten sie zunächst nicht glauben, dass eine reelle Option bestehen würde, Sagosen zurückzuholen (er spielte schon von 2014 bis 2017 hier). Doch dann ging alles schnell. Zwar wurde eine Ablöse fällig; wie Aalborgs Klubdirektor Jan Larsen bestätigte, verzichtet Sagosen aber auf einen Teil des Gehalts, um künftig Teil der Aalborger Mannschaft zu sein. Er habe „nie verhehlt, dass ich hier einige der besten Jahre meiner Handballkarriere erlebt habe“, sagte Sagosen. Er wolle nun alles gewinnen, auch die Champions League.
Sogar der Portugiese Miguel Martins ist wieder spielberechtigt
In der Tat muss jeder Klub, der den Sieg in der Königsklasse erreichen möchte, künftig an Aalborg vorbei. Der Klub hat ja nicht nur Sagosen und von Sommer an Juri Knorr unter Vertrag. Im Rückraum spielen die beiden Dänen Thomas Arnoldsen und Mads Hoxter sowie der Schwede Lukas Nilsson; Abwehrchef und Kreisläufer ist der dänische Weltklassemann Simon Hald. Etwas unverhofft kehrt zudem der Portugiese Miguel Martins zurück. Der wurde kurz vor dem WM-Start wegen eines positiven Dopingtests gesperrt, jetzt aber nach negativer B-Probe für spielberechtigt erklärt. Und im Tor steht Niklas Landin, der zweimalige Welthandballer, der auch nach seinem Rücktritt aus dem dänischen Nationalteam zu den weltbesten Torstehern gehört.
Fast hätte bei dem ganzen Starauflauf auch noch ein deutscher Trainer auf der Bank gesessen. Als Knorr in Aalborg unterschrieb, war noch Maik Machulla der Coach der Dänen. Er musste im November aber gehen. Sein Nachfolger auf dem Chefposten ist der erst 33-jährige Däne Simon Dahl, sein früherer Co-Trainer. Ein recht kleiner Name im Welthandball, aber an großen Namen mangelt es dem Klub ja nicht.