Handball-WM:Ab jetzt wird experimentiert

DHB: Alfred Gislason neuer Bundestrainer

Hat seinen ersten Kader für ein großes Turnier nominiert: Alfred Gislason.

(Foto: Ronny Hartmann/dpa)

Mit großen Löchern in der Abwehr und am Kreis geht Alfred Gislason in seine erste WM als Handball-Bundestrainer - es droht ein schweres Turnier.

Von Carsten Scheele

Alfred Gislason hat am Montag aufgezählt, wer bei der Handball-Weltmeisterschaft, die am 13. Januar in Ägypten beginnt, im Zentrum der deutschen Abwehr spielen wird. Der Flensburger Johannes Golla soll im Mittelblock stehen, zudem setzt der Bundestrainer auf Sebastian Firnhaber, den jungen Schlaks des HC Erlangen. Zwei Namen also, dann das Problem: Gislasons Ausführung war damit bereits beendet.

Mehr große, kräftige Männer sind für die beiden zentralen Abwehrpositionen nicht verblieben. Für sein erstes Turnier als Chefcoach hätte Gislason gerne auch Patrick Wiencek (146 Länderspiele) erwähnt, Hendrik Pekeler (109 Länderspiele) oder Finn Lemke (78 Länderspiele) - sie alle aber haben abgesagt, weil sie während der Corona-Pandemie bei ihren Familien bleiben möchten; ein Schritt, für den der Deutsche Handball-Bund (DHB) ausdrücklich Verständnis geäußert hat. Insgesamt acht Spieler fehlen aus persönlichen oder körperlichen Gründen, zuletzt verzichtete der Göppinger Sebastian Heymann. "Wir werden eine komplett neue, teilweise unerfahrene Mannschaft haben", sagte Gislason.

Kann man in einer solchen Situation überhaupt ein WM-Ziel ausrufen, etwa das Erreichen des Halbfinales, wie in den Jahren zuvor? "Tja", sagte Gislason, "in dieser Konstellation glaube ich nicht, dass es realistisch ist erst mal." Mit seinen 20 Spielern trifft er sich am 3. Januar zum Lehrgang in Neuss. Es folgen die EM-Qualifikationsspiele gegen Österreich (6. und 10. Januar), ehe das Team am 12. Januar - unter Einhaltung strenger Hygienevorschriften - in die Blase nach Kairo fliegt, wo die Mannschaft in der leichten Vorrundengruppe A zunächst gegen Uruguay antritt.

Nur im Tor und auf den Außenpositionen ist die Lage nahezu sorgenfrei

Die spannendste Frage wird sein, was in der Abwehr geschieht. Golla hat in Flensburg zuletzt häufig im Angriff gespielt, Firnhaber ist noch ohne Länderspiel. Er sei da gezwungen, "ein bisschen zu experimentieren", sagte Gislason. In Handballerkreisen heißt das normalerweise, dass sich ein Trainer in offensivere Abwehrvarianten flüchtet. Für Gislason ist das grundsätzlich kein Problem, der Isländer hat in Kiel jahrelang mit einer 3-2-1-Formation operiert. Das wird bei der WM aber nicht funktionieren, wie er nun klarstellte. Auch dazu fehlen ihm die Spieler.

Um nicht noch weitere Experimente anzustellen, setzt Gislason im Tor auf das erfahrene Trio aus Andreas Wolff (Vive Kielce), Johannes Bitter (TVB Stuttgart) und Silvio Heinevetter (MT Melsungen). Im Rückraum wird viel davon abhängen, wie sich Julius Kühn (Melsungen) und Paul Drux (Berlin) akklimatisieren, zudem gibt Christian Dissinger (Vardar Skopje) nach vier Jahren sein Comeback im DHB-Team. Auf den Außenpositionen ist die Lage nahezu sorgenfrei, links ist Kapitän Uwe Gensheimer gesetzt, rechts streiten sich die Melsunger Tobias Reichmann und Timo Kastening; da kann Gislason sogar auf einen erfahrenen Mann wie Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) verzichten, dessen Zeit im Nationalteam vorbei zu sein scheint. Am Kreis ist das Feld dagegen ausgedünnt, hier wird offensiv viel von den rasanten Drehungen von Jannik Kohlbacher (Rhein-Neckar Löwen) abhängen.

Als wäre das nicht genug Puzzlearbeit, wird Gislason im Turnierverlauf noch weitere Gelegenheit erhalten, an der Mannschaft herumzubasteln. In der Pandemie darf er fünf Spieler nachnominieren statt bislang drei, aktuelle Corona-Erkrankungen nicht mitgerechnet. Gislason kann dabei nicht nur aus dem erweiterten 35er-Kader schöpfen, sondern darüber hinaus, was bedeutet: Sollte die Not noch größer werden, könnte er bei Wiencek, Pekeler oder Lemke noch einmal anklopfen.

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