Trainer Jaron Siewert:Sie nennen ihn den Nagelsmann des Handballs

Füchse Berlin - Gyöngyösi FKK

Jung und gut: Jaron Siewert.

(Foto: dpa)

Es heißt, er sei der Typ mit dem "hohen Handball-IQ": Mit 26 Jahren beginnt Jaron Siewert als Cheftrainer bei den Füchsen Berlin - damit ist er jünger als viele seiner Spieler.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Es könnte sein, dass Jaron Siewert demnächst spitze Zähne wachsen, die Ohren riesige Gestalt annehmen und der Körper ein winterfestes Fell ausbildet. Er ist ja der Inbegriff des Fuchses in Berlin: In Reinickendorf geboren, bei den Füchsen Berlin hat er das Handballspielen gelernt, und an diesem Samstag bricht er - mal wieder - einen Altersrekord: Mit 26 Jahren startet Siewert in seine erste Bundesliga-Saison als Trainer, als jüngster Chefcoach der Liga-Geschichte. Es ist Teil eines Plans, den Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning schon vor langer Zeit ausgeheckt hat.

Ein schlechter Handballer war Siewert früher nicht. Mit Fabian Wiede, der nur acht Tage jünger ist als er, hat er 2012 die U18-Europameisterschaft gewonnen; er kennt die Berliner Nationalspieler Wiede und Paul Drux schon ewig, sie wurden zweimal deutscher Meister in der A-Jugend. "Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde: Ich habe immer schon gewusst, dass ich Trainer werde", sagt Siewert.

2014 half er in der Bundesliga noch als Spieler aus. Doch dann stand Hanning vor ihm, der ihn in der Jugend trainiert hatte, und attestierte ihm Fähigkeiten, die "maximal für die zweite Liga Mittelklasse" reichen würden. "Natürlich tat das weh", sagt Siewert, doch gleichzeitig offenbarte Hanning ihm die Perspektive als Trainer. Ein großes Versprechen an einen 20-Jährigen.

Damit er A-Trainer werden konnte, wurde die Altersgrenze gesenkt

So abwegig war das für Siewert dann nicht, er schlug den zweiten Karriereweg ein. Weil ihm Erfolge als Spieler nicht so leicht zufielen, hatte er schon in den Nachwuchsmannschaften eifrig Videoanalysen betrieben. "Er hat mich damals schon begeistert mit den Diskussionen, die wir über Handball geführt haben", sagt Hanning. Siewert war wissbegieriger als andere, hat die Zusammenhänge im Spiel besser erkannt. Und mit einem Mentor wie Hanning, seit 2013 auch Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), eröffnen sich gute Möglichkeiten, die nächsten Schritte zu gehen. Siewert bekam die A-Jugend der Füchse als erste Trainerstation anvertraut und konnte beim DHB im Nachwuchsbereich hospitieren. Um die A-Trainerlizenz zu erlangen, wurde eigens die Altersgrenze gesenkt. Jüngster Absolvent vor Siewert: Bob Hanning.

Und Hanning schickte seinen Zögling auf Tournee. Beim Zweitligisten TuSEM Essen tauchte Siewert ab 2017 völlig in die neue Rolle ein. Vom Spieler zum Trainer, "das sind zwei unterschiedliche Welten", weiß er heute, "man merkt erst als Trainer, was für ein Aufwand dahintersteckt, Inhalte zu vermitteln". Zum Saisonstart gab es ein deprimierendes 28:42 gegen Balingen, die ersten fünf Spiele gingen verloren.

Doch bei TuSEM Essen, wo Hanning einst selbst Trainer war, bewahrte man die Ruhe, was sich auszahlte: Kurz vor seiner Rückkehr zu den Füchsen konnte Siewert zusammen mit seinem Assistenten Michael Hegemann, ehemals Nationalspieler, den Traditionsverein zurück in die Bundesliga führen. Essen war am Ende weit mehr als nur ein Intermezzo für ihn: Vor zehn Monaten kam dort Sohn Emil zur Welt.

"Siewert denkt Handball", sagt Stefan Kretzschmar

Natürlich geht es heute immer ums Alter, wenn Siewert irgendwo auftaucht. Sein Beiname: der Julian Nagelsmann des Handballs. Als der heutige Fußballtrainer von RB Leipzig einst bei der TSG Hoffenheim an den Bundesliga-Start geschickt wurde, war er allerdings schon 28. Nun steht Siewert in jener Situation, mit der auch Nagelsmann klarkommen musste: Er ist jünger als viele seiner Spieler - bei den Füchsen ist Dänemarks 2019er-Weltmeister Hans Lindberg mit 39 der Älteste im Kader. Autoritätsprobleme fürchtet Siewert dennoch nicht. Er sei ein Trainertyp, der den Dialog fordere. "Ich bin jemand, der offen für Ratschläge ist. Es wäre doch naiv zu sagen: Das brauche ich nicht." Siewert bildet sich gerne weiter. Nebenbei hat er seinen BWL-Bachelor abgeschlossen, privat liest er Biografien anderer Trainer: "Ich versuche, von jedem ein bisschen was mitzunehmen, wenn es zu mir passt."

Siewert kam über eine Handball-AG in der Schule in den Verein, angeleitet von den Füchse-Trainern. "Die Philosophie dieses Vereins ist tief in mir drin", sagt er. Worte, die Hanning gefallen werden, denn der will mit den Füchsen die erste Adresse als Ausbildungsverein sein - wie Ajax Amsterdam oder der FC Barcelona im Fußball. Dass in den Nationalspielern Paul Drux und Fabian Wiede zwei Handballer aus der eigenen Jugend zum Gesicht der Mannschaft wurden, ist bereits eine Erfolgsgeschichte. Mit Siewert und seinem Assistenten Maximilian Rinderle, 33, ebenfalls ein Ur-Fuchs, soll sie fortgeschrieben werden. "Motivation durch Identifikation" nennt Hanning seinen Ansatz.

Klingt nach Start-Up-Mentalität, und die zahlt sich in einer von den Corona-Folgen diktierten Saison in mehrerlei Hinsicht aus. Denn wer emotional stark mit seinem Verein verbunden ist, denkt weniger an größere Klubs und Gehälter. Zudem rentiert sich ein gut ausgebildeter Nachwuchs; Siewert kann aus einem Pool von fast 40 Spielern schöpfen - Bundesligateam, zweite Mannschaft, A-Jugend. Vor dem Ligastart an diesem Samstag bei Aufsteiger HSG Nordhorn-Lingen hat er die Qual der Wahl.

Stefan Kretzschmar, 47, einst Nationalspieler, heute Sportvorstand der Füchse, attestiert dem neuen Trainer "einen hohen Handball-IQ, Siewert denkt Handball". Schnell soll das Spiel sein, flexibel in Abwehr und Angriff, alles mit Spielwitz. Für die neue Saison ist ein Champions-League-Platz das Vereinsziel, die Ansprüche sind hoch. Aber das kennt Siewert: Mit Mittelklasse hat er sich ja schon als Spieler nicht zufrieden gegeben.

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