Süddeutsche Zeitung

Handball:Irgendwie verkrampft

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Der HC Erlangen unterliegt Lemgo 24:28 und muss die dritte Niederlage in Serie anerkennen. Das Spiel wirft die Frage auf, ob der Handball-Bundesligist doch noch nicht so weit ist, wie man zuletzt vermutet hat.

Von Sebastian Leisgang

So ganz sicher kann man sich da jetzt nicht mehr sein. Vor dem Spiel war die Sache ja eigentlich klar. Der HC Erlangen hatte am Mittwochabend im Pokal gegen die SG Flensburg-Handewitt gewonnen, es war eine große Leistung, was sollte jetzt also passieren, wenn der TBV Lemgo Lippe in die Nürnberger Halle kommt? Klemen Ferlin würde in der ersten Hälfte keinen einzigen Gegentreffer zulassen und Christoph Steinert würde mindestens zwölf Tore werfen. Ein zweistelliger, vielleicht auch dreistelliger Vorsprung zur Halbzeit, das sollte doch das Mindeste sein, was von diesen Erlangern nach ihrem Triumph gegen Flensburg zu erwarten wäre.

Oder etwa doch nicht?

Als Raul Alonso am späten Samstagabend nach dem 24:28 im Presseraum saß, konnte er nicht verbergen, wie ernüchtert er war. Erlangens Sportdirektor meinte: "Wir sind enttäuscht, weil wir in den letzten Wochen gezeigt haben, dass wir auf einem anderen Level spielen können."

In den ersten Saisonwochen hatten die Erlanger ja nicht nur gegen Leipzig und Minden gewonnen - sie waren vor dem Pokalcoup gegen Flensburg selbst bei einem Auswärtsspiel gegen den Champions-League-Teilnehmer ohne Niederlage davonkommen. Weil die beiden Duelle erkennen ließen, zu welch großen Taten die Mannschaft in der Lage ist, warfen die 40 Minuten am Samstagabend vor allem diese Frage auf: Was ist jetzt eigentlich der Maßstab, der anzulegen ist? Sind die überwältigenden Vorträge gegen Flensburg die Referenzgröße? Oder waren die Resultate gegen den Meisterschaftszweiten der Vorsaison nur darauf zurückzuführen, dass Erlangen bei beiden Vergleichen einfach außergewöhnlich gute Tage hatte und über sich hinausgewachsen war?

Erlangen will nicht länger eine Was-wäre-wenn-Mannschaft sein

Michael Haaß findet: Es ist weder das eine noch das andere. "Wir haben Flensburg zwei Spiele auf Augenhöhe geliefert", sagt Erlangens Trainer, "deshalb neigt man jetzt vielleicht dazu, zu sagen, dass das der Standard sein muss - ich bin da aber vorsichtig. Es ist nicht normal, gegen Flensburg zu gewinnen, es ist aber auch keine Katastrophe, gegen Lemgo zu verlieren."

Seine Mannschaft, und auch das gehörte ja zur Wahrheit, hatte am Samstagabend Charakter gezeigt. Sie hatte sich weder davon unterkriegen lassen, dass sie nach sieben Minuten 1:6 zurücklag - noch davon, dass es fünf Minuten vor der Halbzeit sechs Tore waren, die die beiden Teams trennten. Am Sonntagvormittag schaute sich Haaß noch einmal eine Aufzeichnung des Spiels an. Sein Eindruck mit einer Nacht Abstand: "Wir waren irgendwie verkrampft."

Ferlin hatte dann doch etwas mehr als keinen einzigen Gegentreffer zugelassen, und Steinert war nicht über sechs Tore hinausgekommen. Am Ende blieb Haaß nichts anderes übrig, als die dritte Bundesliga-Niederlage nacheinander anzuerkennen. "Ich muss zugeben, dass wir von Anfang an nicht den gleichen Biss und den gleichen Mut wie gegen Flensburg hatten", sagte Erlangens Trainer und war auch deshalb geknickt, weil er im Spiel gegen Lemgo eine große Chance gesehen hatte. "Wir hätten den Saisonstart veredeln können", meinte er, "wenn wir gewonnen hätten, wären das mehr als zwei Punkte gewesen, weil ein Sieg uns das Gefühl gegeben hätte, dass wir einen Schritt gemacht haben."

Das ist es ja, was alle in diesem Jahr erwarten: dass die Erlanger nicht länger eine Was-wäre-wenn-Mannschaft sind. Dass sie also ihre Klasse regelmäßiger zeigen und nicht zugeben müssen, in den vergangenen Wochen auf einem anderen Level gespielt zu haben.

Bereits an diesem Donnerstag ist der HCE wieder im Einsatz. Dann steht ein Auswärtsspiel beim TuS N-Lübbecke an, bei einem Gegner also, gegen den man einen zweistelligen, vielleicht sogar dreistelligen Erlanger Vorsprung zur Halbzeit erwarten darf. Schon jetzt schickt Haaß mit Blick auf die 60 Minuten voraus: "Da wird man sehen, wohin unsere Reise geht." Erlangens Trainer weiß: Verliert seine Mannschaft zum vierten Mal, treten selbst die überwältigenden Vorträge gegen Flensburg in den Hintergrund.

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