Süddeutsche Zeitung

Handball:"Heimat ist ein Gefühl, kein Ort"

Trainer Matthias Obinger muss die Rimparer Handballer verlassen.

Interview von Sebastian Leisgang

"Die Wölfe sind in Würzburg heimisch geworden", sagt Matthias Obinger, "aber ihre Wurzeln liegen in Rimpar." Das Thema Heimat ist ein großes - bei Obinger und bei den Wölfen, die, so sagt es ihr Trainer, "einen wunden Punkt" haben, seit die Mannschaft in Würzburg spielt; schließlich haben einige Anhänger den Umzug in die Stadt mit Argwohn begleitet. Seit 2015 trainiert Obinger, 39, die Wölfe. Da sein Vertrag nicht verlängert wird, muss er sich nach dieser Saison von seinem Heimatverein verabschieden. Schon jetzt weiß Obinger: Er wird seine Tränen nicht unterdrücken können, wenn das letzte Spiel gespielt ist.

SZ: Was bedeutet Heimat für Sie? Matthias Obinger: Heimat ist für mich ein Gefühl, kein Ort. Deshalb kann Heimat auch außerhalb der eigenen vier Wände sein. Wenn ich in Australien in einem nachgebauten Hofbräuhaus ein Bier trinke, schmeckt das vielleicht anders als zu Hause, kann aber Heimat sein.

Ihre Heimat ist also nicht Rimpar, wo Sie aufgewachsen sind? Auch nicht Würzburg, wo Sie inzwischen leben?

Doch. Weil ich das Gefühl von Heimat mit diesen Orten verbinde. Ein Beispiel: Meine Halbschwester wohnt in der Nähe von Darmstadt, meine beiden Halbbrüder leben zwar noch in Rimpar, aber nicht mehr in unserem Elternhaus. Trotzdem steht dort sprichwörtlich immer die Tür offen. Die Küche ist der zentrale Anlaufpunkt für alle verstreuten Kinder. Mein Stiefvater steht den ganzen Tag an der Kaffeemaschine und kocht für jeden, der durch die Tür spaziert, einen Kaffee. Und wenn ich vor einer Trainingseinheit nur zehn Minuten Zeit habe, dann trinke ich eben nur einen Espresso. Auch das ist Heimat für mich.

Ist es etwas anderes, Trainer bei seinem Heimatverein zu sein statt bei einem x-beliebigen Verein?

Der markante Unterschied ist: Die Bindung ist enger. In Rimpar ist es so: Ich bin schon seit Jahrzehnten mit unserem Torwart Max Brustmann befreundet. Mein Stiefvater ist Abteilungsleiter im Verein, mein Bruder hat einen Fanklub der Wölfe mitaufgebaut. Das ist sehr, sehr speziell.

Wie ist Ihre Verbindung zu den Fans?

Ich kann natürlich nicht jedes Gesicht zuordnen, aber es gibt immer wieder lustige Begegnungen. Letztens war ich in der Poststelle, als mich ein Mann angesprochen hat: Er kenne mich, ich sei doch der Rimparer Trainer. Er habe früher mit meinem Vater Fußball gespielt. In dieser Hinsicht ticken die Uhren hier eben anders.

Weil es nach wie vor familiär zugeht, obwohl Rimpar längst im Leistungssport angekommen ist?

Ja. Was in Rimpar passiert, ist eine Ausnahme. Dem Verein gelingt es, Spieler über Jahre, gar über ein Jahrzehnt an sich zu binden. Auch auf der Trainerposition gibt es Kontinuität. Rimpar hatte in den letzten zwölf Jahren nur drei Trainer: Heiko Karrer, Jens Bürkle und mich. Ich bin ja auch keiner, der kurzfristig denkt. Ich will was bewegen, Prozesse einleiten. Auch deshalb hat es so gut gepasst zwischen Rimpar und mir.

Im Sommer müssen Sie Ihre Heimat hinter sich lassen. Zumindest Ihre Heimat als Handball-Trainer. Werden Sie zum Abschied eine Träne vergießen?

Bestimmt. Es ist zwar noch weit weg, weil wir noch neun Spiele vor uns haben, aber es wird sicher sehr emotional werden, weil wir dann in vier Jahren quasi alle vier Jahreszeiten durchgemacht haben: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Wir hatten schwierige Zeiten und Hochzeiten. Das prägt.

Fällt es schwer, Abschied zu nehmen?

Es steht ja schon seit Anfang Oktober fest, dass mein Vertrag nicht verlängert wird. Deshalb ist es für mich ein Abschied auf Raten.

Wie geht es nach dieser Saison weiter?

Ich habe noch keine Entscheidung getroffen. Aber ich habe einen Beruf, der mich ausfüllt, und eine Familie, die mich ausfüllt. Deshalb werde ich im Handball vermutlich erst mal nichts machen. Höchstens wenn noch ein Angebot kommt, das mich besonders reizt.

Kann es auch sein, dass Sie nie wieder eine Mannschaft betreuen?

Wer weiß das schon? Auch das habe ich mir schon überlegt.

Vielleicht kehren Sie eines Tages auch nach Rimpar zurück, in Ihre Heimat.

Man soll im Leben niemals nie sagen, aber ich glaube, dass es das dann gewesen ist mit Rimpar und mir.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2019
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