Mathias Gidsel schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Gerade hatte Marek Nissen einen Unterhandwurf ins Berliner Tor gewuchtet, zugegebenermaßen unter gütiger Mithilfe von Füchse-Torhüter Lasse Ludwig, dem der Ball nach dem wuchtigen Wurf durch die Finger flutschte: 31:31. Welthandballer Gidsel konnte es kaum fassen, denn ein Punktverlust beim Tabellen-Vorletzten HC Erlangen hatte der Titelaspirant sicher nicht einkalkuliert. Erlangen spielte allerdings auch nicht wie ein Vorletzter. Die Mittelfranken, in deren Reihen etliche Nationalspieler stehen, offenbarten vielmehr ihre Qualität – was ihnen im Saisonverlauf bisher nicht allzu oft gelungen war.
Die Füchse Berlin blieben dennoch Tabellenführer, weil Hannover-Burgdorf ebenfalls patzte und gegen Göppingen verlor. Jenes Hannover-Burgdorf, dem die Erlanger im Übrigen beim 33:33 vor einem Monat ebenfalls einen Punkt abgetrotzt hatten. Zwei sicher nicht unbedingt einkalkulierte Zähler, die den Rückstand des HCE (9:39 Punkte) auf den ersten Nichtabstiegsplatz, den die SG BBM Bietigheim derzeit einnimmt, auf einen Zähler schrumpfen ließen.
Allerdings sollten die Erlanger langsam erwägen, Punkte gegen weniger exponierte Teams, sprich direkte Konkurrenten, zu sammeln. Der Gegner am Donnerstagabend (19 Uhr) fällt indes wieder in die Kategorie Topklub, Erlangen spielt beim Doublesieger in Magdeburg. Die Sachsen-Anhaltiner sind zwar nur Tabellensechster, haben aber vier Spiele weniger und nur einen Minuspunkt mehr als die Füchse auf dem Konto und mischen folglich aussichtsreich im Titelkampf mit.
Mit Kos und Kristjansson wurde der Kader deutlich verstärkt, Trainer Sellin fordert aber Geduld für „Integrationsarbeit“
Trainer Johannes Sellin weiß indes um den Rückenwind aus der Füchse-Partie, sieht zudem die Zugänge Milos Kos und Viggo Kristjansson zunehmend ins Team wachsen. Der serbische Nationalspieler kam in der EM-Pause, Kristjansson zog sich nach der WM eine Verletzung zu, das Spiel in Magdeburg ist das vierte des isländischen Nationalspielers für Erlangen: „Er ist ein spielstarker Rückraumspieler, aber das benötigt Integrationsarbeit“, sagt Sellin, was auch für den Teamkollegen Kos gelte. Fortschritte sind dennoch zu sehen, vor Wochenfrist gab es den überlebenswichtigen Erfolg bei Schlusslicht Potsdam. Trotz der prekären Situation vermittelt Sellin Ruhe, zumal er sehe, was sein Team im Training leiste: „Die letzten beiden Spiele waren sehr zufriedenstellend, das gibt uns Mut.“ Um den Worst Case zu vermeiden, der Abstieg würde einen ebenfalls nicht einkalkulierten Rückschlag geben.
Denn nicht nur im Kader sind die Erlanger den nächsten Schritt Richtung Professionalisierung gegangen, die Vereinsführung wurde „auf die weiter wachsenden Anforderungen an einen modernen, professionellen Bundesligaklub“ ausgerichtet, wie der Klub mitteilt. Vom Sommer an wird ein Trio den Verein operativ anführen: Dem 34-jährigen André Perzl, der seit Januar als Geschäftsführer den Bereich Organisation verantwortet, wird Daniel Pankofer als Sprecher der Geschäftsführung zur Seite gestellt und die Bereiche Sponsoring und Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. Der 44-Jährige, der derzeit noch Geschäftsführer des Handball-Zweitligisten VfL Lübeck-Schwartau ist, war als Torjäger 2014 maßgeblich am Aufstieg des HCE in die erste Liga beteiligt und wird nach Saisonende in seine Heimat zurückkehren. Dritter im Bunde ist der frühere Nationalspieler Ole Rahmel, der ebenfalls Erlanger Stallgeruch mitbringt. Rahmel wird im Sommer seine aktive Karriere in Lissabon beenden; der 35-Jährige, der mit dem THW Kiel und Benfica Lissabon mehrere Meistertitel sowie den EHF-Pokal gewonnen hat, wird als Sportmanager tätig sein.
Der bisherige Geschäftsführer René Selke wechselt in den Aufsichtsrat und bleibt nach wie vor ein wichtiger Teil der Führung des HC Erlangen. Selke betonte, dass „die Modernisierung der Führungsstruktur schon vor dem ersten Saisonspiel in Flensburg beschlossen wurde und in keinem Zusammenhang mit der aktuellen sportlichen Situation steht“. Initiiert und gestaltet wurde diese Neuausrichtung nämlich vom elfköpfigen Aufsichtsrat, dem zukünftig auch Selke angehören wird.