Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Die Handball-Saison steht vor dem Abbruch

  • Es deutet immer mehr darauf hin, dass die Handball-Bundesliga abgebrochen wird.
  • Viele Klubs hätten die Saison bereits "gedanklich abgehakt", sagt HBL-Präsident Uwe Schwenker.
  • Die Frage ist, welche Abschlusstabelle dann zählen soll - wer wird Meister, wer steigt auf und ab?

Von Carsten Scheele

Der 20. April ist das Fixdatum, dann muss Klarheit her. Bis in die kommende Woche hat die Bundesliga die Entscheidung über das Schicksal der aktuell laufenden Spielzeit offiziell vertagt - doch alles deutet darauf hin, dass die beste Handball-Liga der Welt in diesem Frühjahr nicht noch einmal angepfiffen wird. "Ganz ehrlich, das wird immer unwahrscheinlicher", sagt Uwe Schwenker, der Präsident der HBL. Man halte sich zwar alle Optionen noch ein paar Tage offen, vom Restart spätestens zum 16. Mai bis hin zu Geisterspielen. Doch viele Klubvertreter hätten die Saison bereits "gedanklich abgehakt".

Bevor ein HBL-Mitgliederentscheid das Saisonende besiegeln dürfte, müssen etliche Fragen geklärt werden. Da die Spielzeit nicht annulliert wird, wird es eine gültige Abschlusstabelle geben - doch nach welchem Stand? Nach der aktuellen, teilweise absolvierten 27. Runde? Oder nach der Hinrunde, dem 17. Spieltag? Deutscher Meister wäre so oder so der THW Kiel, der das Tableau zu beiden Zeitpunkten anführte; problematischer wird, wer sich für den Europapokal qualifiziert, ganz zu schweigen von den Szenarien am Tabellenende.

Absteiger soll es nicht geben, so dürfte der abgeschlagene Tabellenletzte HSG Nordhorn-Lingen ein weiteres Jahr Bundesliga spielen; Aufsteiger aber schon. Nur wer darf hoch? In der zweiten Bundesliga stehen aktuell HSC 2000 Coburg und TuSEM Essen auf den Aufstiegsrängen. Im Winter waren es jedoch Coburg und der jetzt fünftplatzierte ASV Hamm-Westfalen. Hier müssen am Ende wohl Juristen Lösungen finden.

Die Klubs wollen keine Geisterspiele

Der Justiziar der HBL, der frühere Weltklassetorhüter und deshalb "Hexer" genannte Andreas Thiel, 60, rechnet ebenfalls nicht mehr mit einer Wiederaufnahme der Saison. "Ich gehöre zur Gilde der Schwarzseher und hoffe, dass es anders kommt", sagte Thiel dem Sport-Informationsdienst, "aber ich kann mir angesichts der aktuellen Situation eine Fortsetzung nicht vorstellen." Ein Problem sei, dass Handballer als Vollkontaktsportler "mindestens drei Wochen volle Trainingsbelastung mit Körperkontakt" benötigten, bevor an Spiele überhaupt gedacht werden könne. Andernfalls sei das Verletzungsrisiko für Spieler, die teilweise aus der häuslichen Quarantäne kommen, viel zu hoch. Thiels Rechnung lautet: Entweder kann ab dem 20. April bei allen Mannschaften der ersten und zweiten Liga wieder trainiert werden, oder es steht die Saisonabsage.

Die Gedanken der Klub-Geschäftsführer drehen sich ohnehin schon verstärkt um die kommende Spielzeit. Den Abbruch der aktuellen Saison würden die meisten Klubs wohl gerade noch verkraften, wenn auch unter starken Beschwerden; viele Vereine haben Gehaltsreduzierungen verkündet oder Kurzarbeit angemeldet, darunter der THW Kiel, die SG Flensburg-Handewitt, Hannover-Burgdorf und HSG Wetzlar. Aktuell werden Gespräche mit Fans und Sponsoren geführt, um möglichst vielen Regressforderungen zu entgehen, sobald die Saison abgebrochen wird.

Die Möglichkeit, Geisterspiele auszutragen, steht bei den Klubs ganz niedrig im Kurs - sie sind zu sehr auf Zuschauereinnahmen angewiesen, die mancherorts 80 bis 90 Prozent des Etats ausmachen. In Teilen Deutschlands kann aktuell ohnehin nicht gespielt werden: Die Handballer des HBW Balingen-Weilstetten kommen auf absehbare Zeit nicht in ihre Arena hinein, die wurde zur Corona-Ambulanz umfunktioniert.

Im Herbst soll dagegen unbedingt wieder angepfiffen werden. "Die Klubs machen sich viel mehr Gedanken um die nächste Saison", bestätigt Schwenker. Die Spielzeit 2019/20 bis in den August hinein auszudehnen, hat die HBL frühzeitig ausgeschlossen; das wäre rechtlich kaum machbar, wegen auslaufender Spielerverträge, Doppelspielrechten, dem internationalen Spielkalender. Deshalb präferieren die meisten den geordneten Neustart im Herbst. "Sonst macht man eine zweite Saison mit kaputt", sagt Schwenker.

Ob die Beschränkungen des öffentlichen Lebens bis dahin in ausreichendem Maße zurückgefahren werden, um an Hallensport mit Zuschauern überhaupt zu denken, ist jedoch ungewiss. So muss die Liga um Geschäftsführer Frank Bohmann und Präsident Schwenker ins Nebulöse planen. "Wir haben andere Voraussetzungen als alles, was im Freien stattfindet", sagt Schwenker, und spricht damit für gleichsam betroffene Basketball-, Volleyball- und Eishockeyvereine. Die Handballer stehen dann vor der Herausforderung einer Saison mit 20 statt 18 Klubs, an deren Ende es wohl vier Absteiger geben wird. Um Spielraum im ohnehin proppenvollen Handballkalender zu schaffen, könnte der DHB-Pokal in der kommenden Saison ausfallen - doch das sind Gedankenspiele.

Besonders bitter könnte es hochverdienten Nationalspielern wie Flensburgs Holger Glandorf, 37, oder Balingens Spielmacher Martin Strobel, 33, ergehen, die das Geschehen in der Bundesliga über Jahrzehnte hinweg geprägt haben und nun vor ihrem Karriereende stehen - nicht auf einer zu Tränen rührenden Ehrenrunde vor ihren Fans, sondern still und leise daheim auf dem Sofa. Strobel glaubt nicht daran, in dieser Saison noch einmal aufs Parkett zu kommen: Er geht davon aus, dass "das Spiel gegen Minden mein letztes war". Dieses war am 7. März.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2020/ebc
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