Corona-Folgen im Handball:Ein Jahr Kampf, doch die Belohnung fällt aus

Handball Bundesliga

Hannovers Handballer verzichten freiwillig: Auf Europa - und auf viele anstrengende Partien.

(Foto: dpa)

Hannover-Burgdorf trifft einen bisher undenkbaren Beschluss: Obwohl der Bundesligist für den Europapokal qualifiziert ist, will er nicht antreten. Schuld ist der neue Terminplan.

Von Carsten Scheele, Hannover

Seit dieser Woche wird in Deutschland wieder Handball gespielt, oder zumindest Handball trainiert. Die MT Melsungen ist nach vier Monaten Corona-Zwangspause ins Teamtraining gestartet, die Füchse Berlin ziehen an diesem Freitag nach, auch bei der TSV Hannover-Burgdorf werden wieder Bälle geworfen. Nach der ersten Einheit ging es am Dienstag zum Medizincheck, der Internist zeigte sich überrascht und zufrieden: Alle topfit, gute Stimmung also.

Anders als in den Tagen zuvor, da wurde alles überlagert vom Entschluss des Vereins, in der kommenden Saison - trotz erfolgreicher Qualifikation - nicht für die neue European Handball League (EHL) zu melden. Ein Schritt, der vereinsintern für Unruhe sorgte, denn die Mannschaft des Überraschungsvierten der Bundesliga hätte sehr wohl gerne europäisch gespielt. Und hat dies der Vereinsführung auch mitgeteilt.

Dort wurde das Wagnis allerdings als zu groß eingestuft. "Dass wir nicht antreten, ist sportlich sehr, sehr bitter", sagt Fabian Böhm, Nationalspieler und Mannschaftskapitän. Die Spieler hätten ein Jahr für dieses Ziel gekämpft, nun fällt die Belohnung aus. Böhm sagt, er habe Mitspieler, "die vielleicht nie wieder international spielen. Wir sind ja nicht beim THW Kiel, wo man jedes Jahr damit rechnen kann".

Eine Mannschaft, die ihr großes Ziel erreicht, dann aber zurückzieht, sollte es im Profisport eigentlich nicht geben. Aber so ist es in diesen Corona-Zeiten: Es geschieht vieles, das vor Kurzem undenkbar war. Im Fall Hannover war es letztlich die Frage, wie viel den eigenen Spielern zugemutet werden kann. Der Klub steht, wie die gesamte Liga, vor der schwersten Spielzeit der Geschichte: Weil es keine Absteiger gab, wird die Liga auf 20 Mannschaften aufgestockt.

Das bedeutet: 38 Spiele, diesmal in nur acht Monaten, weil die Saison erst im Oktober beginnt; ob vor Zuschauern oder nicht, ist offen. Spiele im Dreitagesrhythmus werden Dauerzustand sein, Hannover ist zudem für das Finalturnier des DHB-Pokals qualifiziert, das im Februar 2021 nachgeholt wird. Zwischendurch wird im Januar die Handball-WM in Ägypten ausgetragen (bei der der ein oder andere Hannoveraner dabei sein wird). Ach ja, gleich nach der Spielzeit folgt, sofern die Qualifikation erfolgreich verläuft, Olympia in Tokio.

Zu viele Termine, zu viele Reisen

Von ausgereizten Monaten zu sprechen, ist untertrieben. Von Monaten also, in die Hannovers Geschäftsführer Eike Korsen und der Sportliche Leiter Sven-Sören Christophersen nicht auch noch die vielen Termine im Europapokal, die tagelangen Reisen nach Polen, Ungarn, Portugal, womöglich in Länder mit aufflammendem Infektionsgeschehen, packen wollten. Korsen bezeichnet den Ausflug nach Europa als "nicht-tragbares Wagnis". Für Christophersen, früher selbst erfolgreicher Nationalspieler, wäre ein solcher Beschluss bis vor Kurzem undenkbar gewesen. Man habe eine Entscheidung treffen müssen, die "entgegen unserem sportlichen Naturell steht".

Für die Spieler ist der Entschluss dennoch schwer zu greifen. Sie haben bis zum Saisonabbruch im April eine herausragende Spielzeit hingelegt, zweimal binnen acht Tagen das Spitzenteam aus Flensburg geschlagen, den Rhein-Neckar Löwen in den Schlusssekunden ein Remis abgetrotzt, die Füchse Berlin ebenfalls besiegt. Platz vier ist die beste Bundesliga-Platzierung der Vereinsgeschichte. Ob so eine Saison noch einmal gelingt? "Es ist eine große Enttäuschung für mich persönlich", sagt Rückraumspieler Ivan Martinovic, "im Europapokal zu spielen, ist eine Extraerfahrung. Wir verpassen da jetzt einiges."

Gerade der Blick auf Böhm, 31, und den Kroaten Martinovic, 22, zeigt aber, dass ein Verein, der es mit seiner Fürsorgepflicht ernst nimmt, durchaus auf eine Idee wie den Europapokal-Verzicht kommen kann. Böhm und Martinovic sind Vielspieler, Nationalspieler, die locker auf 60 bis 70 Saisonspiele kommen können: fast 40 in der Liga, zwei in der Pokalendrunde, bis zu neun WM-Spiele in Ägypten, dazu Olympia-Qualifikation samt Olympia. "Belastungstechnisch", sagt Böhm deshalb, "ist der Verzicht vielleicht eine ganz gute Maßnahme." So kann Hannover ein paar freie Tage einstreuen, während Topklubs wie Kiel und Flensburg durch Europa reisen. Zumal der Kader dünner besetzt sein wird - noch eine Corona-Auswirkung.

Aktuell fühlt sich Böhm körperlich "sehr, sehr gut", seit Abbruch der Saison stand der Rückraumspieler nur für zweimal 40 Minuten in der Halle. Doch die Monate ab Saisonstart im Oktober werden extrem und kraftraubend. "Wir hoffen, dass es kein Jahr der Verletzungen wird", sagt Böhm. Denn eines wird kaum funktionieren: sich Auszeiten nehmen, sobald die Saison läuft. "Schonen kann man sich nicht", sagt Böhm, "das liegt nicht im Naturell eines Handballers."

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