Handball:"Halbprofis gewinnen keine Medaillen"

Deutsche Handballerinnen

Bundestrainer Henk Groener (im roten Hemd) spricht mit Linksaußen Ina Großmann.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Vor der WM-Qualifikation gegen Kroatien spricht Bundestrainer Henk Groener darüber, was sich an der Einstellung der Spielerinnen ändern muss.

Von Ulrich Hartmann

An diesem Sonntag und am Mittwoch darauf spielen die deutschen Handballerinnen gegen Kroatien, erst in Koprivnica, dann in Hamm/Westfalen. In diesem Playoff-Duell geht es um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft im Dezember in Japan. Falls die deutschen Frauen verlieren, fahren sie nicht zur WM, und dann fahren sie auch nicht zu den Olympischen Spielen 2020 nach Tokio. Eine Herausforderung für den Bundestrainer Henk Groener, 58, aus den Niederlanden.

SZ: Herr Groener, es geht in zweimal 60 Minuten um die Perspektive des deutschen Frauenhandballs: Zwei Stunden entscheiden über Jahre.

Henk Groener: Stimmt. Aber so ist das Geschäft. Das gilt für alle Nationen.

Wie bereitet man die Spielerinnen auf so eine ultimative Konstellation vor?

Indem man verständlich macht, dass es immer nur um einen einzigen Angriff geht: um den nächsten.

Sie sprechen in der Vorbereitung auf diese Spiele nicht über WM und Olympia?

Das weiß doch eh jede.Man muss sich das Leben nicht komplizierter machen, als es ohnehin schon ist.

Sie sind seit eineinhalb Jahren Bundestrainer. Wie nah sind die deutschen Frauen in dieser Zeit ihrem Maximum gekommen?

Ich bin ganz zufrieden. Nach der Heim-WM 2017 haben viele Spielerinnen aufgehört, das Team war großteils neu. Wir haben 2018 eine gute EM gespielt und hatten bis zum letzten Spiel Chancen aufs Halbfinale.

Trotzdem stand am Ende nur der zehnte Platz, Sie mussten dieselbe Erfahrung machen wie Ihre Vorgänger: Den deutschen Handballfrauen fehlen in entscheidenden Spielen die Nerven.

Das hat weniger mit Nerven zu tun als mit Erfahrung. Für einige war es das erste große Turnier. Die Mannschaft war nicht stabil, das konnte sie gar nicht sein. Wir hatten netto nur einen Monat Vorbereitung.

Sind Sie unzufrieden mit der Kooperationsbereitschaft der Klubs?

Nein, mehr Zeit für Maßnahmen der Nationalmannschaft bleibt gar nicht. Wir haben sogar ein bisschen mehr als andere Nationen, weil wir noch Regionallehrgänge mit Teilen der Mannschaft machen. Und wir haben den Vorteil, dass in Xenia Smits in Metz nur eine einzige Spielerin im Ausland aktiv ist und alle anderen in der Bundesliga sind. Das wird anders, wenn Julia Behnke nach Rostow wechselt. Vielleicht kommen irgendwann noch ein paar mehr dazu.

Auch wenn es aus organisatorischer Sicht hilfreich sein mag, dass fast alle im Kader in Deutschland spielen: Würden Sie sich aus sportlicher Sicht nicht wünschen, dass mehr Nationalspielerinnen bei ausländischen Spitzenklubs aktiv sind?

Es wäre tatsächlich wichtig, dass Spielerinnen bei Vereinen Erfahrung sammeln, die auf dem gleichen sportlichen Niveau sind wie eine EM oder eine WM. Die großen Turniere sind ungefähr auf dem Niveau wie der Vereinshandball ab dem Viertelfinale der Champions League. Die besten Mannschaften der Bundesliga, Bietigheim und Thüringen, tun sich schwer, in der Champions League so weit zu kommen. Auch an so etwas merkt man den Abstand einer Nation zur Weltspitze. Das Wichtigste ist, dass Spielerinnen sich sagen: Da will ich hin, und ich suche mir meinen Weg selbst.

War das Ihr Trumpf, als Sie die Niederländerinnen zwischen 2009 und 2016 aus dem Nichts ins WM-Finale und ins Olympia-Halbfinale geführt haben?

Der Unterschied ist, dass Deutschland eine Frauen-Liga hat, die es in Holland auf diesem Niveau nicht gibt. Die Spielerinnen dort gehen deshalb früh ins Ausland. Profisport ist aber auch bei den Frauen in Deutschland kaum vertreten - die Frage ist: Sind die Spielerinnen bereit, diesen Schritt zu gehen? Profisport heißt nicht: Ich schmeiße alles hin und mache nur noch Handball. Natürlich muss man mit Vernunft an Studium und Ausbildung arbeiten. Aber: 30 Stunden pro Woche arbeiten und nebenher Handball spielen? Damit kann ich Frauen, die nur Handball spielen, auf Dauer nicht besiegen.

Würde es helfen, wenn die Bundesliga stärker und ausgeglichener wäre?

Ja, aber das kann ich nicht beeinflussen. Entscheidend ist, dass Spielerinnen für sich beschließen: Ich will in die absolute Spitze. Die einen sagen vielleicht, sie wollen das mit Training und Nationalmannschaft bei einem deutschen Verein schaffen. Julia Behnke hat beschlossen, ein Angebot aus Rostow anzunehmen. Das wird auch finanziell interessant sein. Man muss nicht unbedingt ins Ausland gehen, die Spielerinnen müssen sich aber bewusst machen, dass sie von der Trainingsintensität und der Selbststeuerung auf Spitzen- Niveau arbeiten müssen. Es geht um die Einstellung. Dann meldet sich auch der Markt. Anna Loerper und Anja Althaus haben im Ausland gespielt, Emily Bölk ist die nächste Kandidatin. Ich habe den Spielerinnen klar gemacht: Halbprofis gewinnen keine Medaillen.

Eine unmissverständliche Ansage!

Ich weiß es aus eigener Erfahrung, ich war als Spieler selbst Halbprofi. Ich habe Sport und Marketing studiert, in einer PR-Agentur gearbeitet. Ich war nebenher Trainer und habe im Verkauf gearbeitet. Es gab damals im Handball nichts zu verdienen. 2002 bin ich in Holland Männer-Bundestrainer geworden mit einem ähnlichen Ziel wie später bei den Frauen. Wir haben drei Jahre gearbeitet mit vielen jungen Spielern, dann kam der Punkt, an dem sich diese Spieler entscheiden mussten, ob sie auf die Karte Handball setzen. Viele haben sich dagegen entschieden, da habe ich gesagt: Okay, dann bin ich der falsche Mann am falschen Ort. Ich möchte nach oben, das Gleiche erwarte ich jetzt auch von den Spielerinnen. Wenn die sagen, "gute Idee, aber ich mache nicht mit", dann sage ich: Wenn es in Deutschland keine Spielerinnen gibt, die in die absolute Spitze wollen, dann verabschiede ich mich wieder.

Haben Sie denn dieses Gefühl?

Ich glaube schon, dass immer mehr Spielerinnen begreifen, dass sie sich ihren Weg suchen müssen.

Sie fordern die Spielerinnen heraus. Sie wollen, dass sie eigenverantwortlich handeln, kritisch denken, ihr Schicksal in die Hand nehmen. Bilden Sie als Chefausbilder die Trainer am Johan-Cruyff-Institut in Amsterdam nach dieser Vorgabe aus?

Wenn es einen Spieler gab, der kritisch war, dann war das Johan Cruyff. Er hatte immer nur das absolute Maximum vor Augen. Er war hochintelligent, strategisch denkend, sehr kreativ - aber auch unbequem. Wir haben vor ungefähr zehn Jahren in seinem Namen ein Coaching-Programm entwickelt. Ich habe damals mit ihm gesprochen. Er hat mir gesagt: Das Wichtigste beim Coaching ist immer der Mensch mit seinen individuellen Qualitäten. Das muss gefördert werden.

Und Sie fördern bei Ihren Handballerinnen besonders den Willen.

Die Voraussetzung, in die Weltspitze zu kommen, ist, mindestens das zu machen, was die Weltspitze macht. Dazu brauchen wir Spielerinnen, die das selbst wollen; nicht, weil ich sie durch die Halle jage.

Ist das, was Ihnen mit Holland gelungen ist, auch mit den Deutschen möglich?

Natürlich! Wenn man sieht, wie viele Talente es hier gibt und wie breit Handball in Deutschland vertreten ist, muss es möglich sein. Es erfordert aber von allen Beteiligten, dass sie es ernst meinen.

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