Die Erfüllung eines Traums kann ganz schön anstrengend sein. An diesem Samstag bestreitet der Handball-Bundesligist VfL Gummersbach sein erstes Europapokal-Spiel seit zwölf Jahren. Auf die norddänische Insel Mors gelangt die Mannschaft tags zuvor per Flug, erst nach Kopenhagen, dann weiter nach Aalborg und schließlich per Bus in das Städtchen Nykøbing Mors. Die Rückreise direkt nach dem Spiel wird komplett im Bus absolviert, die mehr als 800 Kilometer lange Heimfahrt wird deutlich mehr als zehn Stunden Fahrt erfordern. Aber was nimmt man nicht alles auf sich, um den Namen VfL Gummersbach nach Jahren der Tristesse, davon drei in der zweiten Liga, wieder hinauszutragen in die Welt.
Die Handballbegeisterung in der 52 000-Einwohner-Stadt Gummersbach im Oberbergischen Land, eine dreiviertel Autostunde östlich von Köln, ist derzeit enorm. Die ansässige Handballikone Heiner Brand behauptet sogar, sie sei so groß wie nie. „Man muss sich schon manchmal kneifen“, bestätigt der VfL-Geschäftsführer Christoph Schindler, 41, einst sieben Jahre Handballprofi beim VfL und nun seit sieben Jahren dessen Manager. 2019 war der von finanziellen Altlasten geplagte Verein nach vielen Jahren des Überlebenskampfs in die zweite Liga abgestiegen und drei Spielzeiten dort verblieben. Schindler erzählt, er sei damals oft gefragt worden, warum er sich das überhaupt noch antue. Heute antwortet er auf diese alte Frage: „Weil ich auch damals zu einhundert Prozent daran geglaubt habe, dass hier wieder viel mehr möglich ist.“
Die Zahl der Sponsoringpartner hat sich seither auf 400 verdoppelt, die Zahl der Dauerkarten hat sich auf 3000 verdreifacht, seit Oktober vergangenen Jahres waren alle 13 Heimspiele in der Schwalbe-Arena mit 4130 Zuschauern ausverkauft. Dem Manager Schindler ist es in dieser Zeit nicht nur gelungen, den isländischen Trainer Gudjon Valur Sigurdsson und den deutschen Nationalspieler Julian Köster vom Verbleib in Gummersbach zu überzeugen, er hat im Franzosen Kentin Mahé, 33, jetzt sogar einen internationalen Starspieler nach Gummersbach geholt. Mahé wurde Europameister, Weltmeister und Olympiasieger und darf den Ritterorden der französischen Ehrenlegion tragen.
Finanziell ist die Teilnahme am europäischen Wettbewerb für den Klub ein Minusgeschäft
Wenn man Schindler fragt, wie er es geschafft hat, nur zwei Jahre nach dem Bundesliga-Wiederaufstieg 2022 solche Handballhelden in Gummersbach zu versammeln, dann sagt er: „Weil wir ihnen erzählt haben, was wir in Zukunft hier vorhaben.“ Wenn man Schindler dann fragt, was genau er in Zukunft in Gummersbach vorhat, dann spricht er allerdings nicht mit einer einzigen Silbe über Meistertitel oder Champions League, sondern lieber demütig von sukzessiver Verbesserung in allen Bereichen, und davon, dass man sich von Saison zu Saison natürlich nicht verschlechtern wolle. Vorletzte Saison war das Team Zehnter, letzte Saison Sechster. Der VfL Gummersbach ist wieder wer. „Wir haben den Namen und die Marke neu poliert“, sagt Schindler, „aber diese extreme Entwicklung in so kurzer Zeit war natürlich nicht zu erwarten.“
Als Gummersbach im April 2012 im slowenischen Celje zum bislang letzten Mal ein Europapokalspiel im Ausland absolvierte, hat Schindler ebenso noch für den VfL gespielt wie der junge Kentin Mahé, der ein Jahr später vom Oberbergischen aus eine Weltkarriere hinlegte und jetzt nach neun Jahren zurückkehrt, um die VfL-Mannschaft mit Erfahrung und Abgeklärtheit zu bereichern.
Die Chancen, sich in der Qualifikation zur European League in Hin- und Rückspiel gegen Mors-Thy Handbold durchzusetzen und dann in der European League mitzuspielen, stehen nicht schlecht. Aber finanziell, bedauert Schindler, brächte das dem Verein leider gar nichts, weil dieser Wettbewerb nämlich ein Minusgeschäft für jeden Klub sei. „Das ist eigentlich eine Farce“, sagt Schindler, man wolle aber trotzdem gern teilnehmen, „weil im Europapokal zu spielen, ein absolutes Muss ist, wenn man Spieler mit einer gewissen Qualität nach Gummersbach holen und dann auch hier halten möchte“.
Das entspricht übrigens dem Prinzip jener Erfolgsspirale, die der Klub, 1991 letztmals Meister und danach mehrfach in Existenznot, seit nunmehr drei Jahren durchläuft: Bessere Spieler sowie mehr Zuschauer und Partner bringen mehr Erfolg, und mehr Erfolg bringt noch bessere Spieler sowie noch mehr Zuschauer und Partner. „Viel Fleiß von vielen hervorragenden Mitarbeitern in allen Bereichen“, seien die Voraussetzung. Wenn Schindler jetzt sieht, dass die gerade einmal elf Jahre alte Handballarena im Herzen Gummersbachs schon fast zu klein ist für die neue Handballeuphorie, dann findet er die jüngste Entwicklung des VfL schon irgendwie: „Verrückt!“ Am zweiten Weihnachtsfeiertag will der Klub zum Spiel gegen Berlin die riesige Arena in Köln komplett füllen.
Kommenden Donnerstag beginnt für Gummersbach die Bundesliga-Saison mit einem Auswärtsspiel in Hannover. Ligachef Frank Bohmann sagt, Klubs wie Hannover, Melsungen und Gummersbach hätten „riesige Schritte nach vorn“ gemacht und besäßen schon jetzt das Potenzial, in die Phalanx der Spitzenteams aus Magdeburg, Berlin, Flensburg und Kiel einzudringen. So etwas hört Christoph Schindler natürlich gern, er selbst würde das – zumindest öffentlich – aber niemals behaupten.