Süddeutsche Zeitung

Handball:Großes Gelächter am Anfang

Der ehemalige Nationalspieler Stefan Kretzschmar kehrt als Sportvorstand der Füchse nach Berlin zurück. Dort muss er sich mit dem Geschäftsführer Bob Hanning arrangieren.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Manchmal starren sie auf den See, stundenlang. Wenn einer anbeißt und die Angelrute zappelt, rasten die Hunde aus. Neulich hat er einen Karpfen gefangen, erzählt Stefan Kretzschmar, "ist nur 'ne Schleie", hat der Nachbar gesagt. Egal. Gefangen ist gefangen und seine zwei Hunde sind ausgerastet. "Hätte nie gedacht, dass ich mich mal für kleine Hunde interessiere", sagt Kretzschmar. Das Undenkbare wird bei ihm oft Realität.

"Kretzsche is coming home", haben die Füchse Berlin Ende August auf ein Banner drucken lassen und auf einer Pressekonferenz präsentiert. Vor 30 Jahren war Kretzschmar in Berlin auf der Sportschule und spielte für Dynamo Berlin, von Januar 2020 an wird der 218-malige Nationalspieler wieder regelmäßig auf dem Gelände unterwegs sein. Dann als Sportvorstand der Füchse Berlin, unter Bob Hanning, dem Geschäftsführer. Das überrascht schon: Wo Hanning auftauchte, der auch Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) ist, ließ früher eine Kritik von Kretzschmar oft nicht lange auf sich warten. Doch im Handball prallen immer wieder die härtesten Brocken aufeinander und geben sich spätestens nach dem Abpfiff meistens trotzdem die Hand.

Es ist einer der Tage, an dem zum letzten Mal in diesem Jahr der Sommer ausgerufen wird in Berlin. Kretzschmar wohnt jetzt am Stadtrand, Idylle am See. Handball-Punk haben sie ihn früher genannt. Jetzt trinkt er Rhabarbersaft-Schorle, Kaffee, der Aschenbecher wird voller. Ein Mitspieler von ganz früher erkennt ihn, erzählt alte Geschichten, sie machen ein Foto. "Es ist schon skurril", sagt Kretzschmar. Dass er jetzt wieder in Hohenschönhausen sein wird, mit 46. Und alte Weggefährten erzählen, sie hätten schon immer gewusst, dass der Kretzsche einer wird. "Man verklärt ja oft die Vergangenheit", sagt er, "aber meine Zeit hier war nicht so schön." Sein Vater hatte ihm den Platz an der Sportschule besorgt, "das wussten alle, und das haben sie mich spüren lassen".

Das neue Berlin-Kapitel im Leben von Stefan Kretzschmar kommt den Füchsen gerade recht: Vorige Saison enttäuschten sie als Bundesliga-Sechste. "Stefan soll uns in den nächsten Jahren dorthin bringen, wo wir uns von unserem Anspruch her sehen", sagte Hanning bei Kretzschmars Vorstellung. "Du musst in einer Stadt wie Berlin Champions League spielen, um die ultimative Wahrnehmung zu bekommen. Solltest du weiter Sechster werden, wird das zum Problem", sagt Kretzschmar. Zwei Fußball-Bundesligisten, Eishockey, Basketball, Volleyball - in Berlin ist die Konkurrenz um Aufmerksamkeit groß, und damit auch um Geld, das nötig ist, um vor allem international mitzuhalten.

"Nach zehn Jahren hatte ich das Gefühl: Ich will mal was Neues machen", sagt Kretzschmar

Geld, Sponsoren, Spieler: Das alles hat Kretzschmar in den vergangenen Jahren für den SC DHfK Leipzig organisiert, von der Oberliga ging es in dieser Zeit rauf in die Bundesliga. Im Sommer verkündete Kretzschmar seinen Abschied aus dem Aufsichtsrat, er wollte seinen Lebensmittelpunkt zu seiner Partnerin nach Berlin verlagern. Die Tochter zog es nach dem Abitur an der Sportschule in Leipzig zum Studium in den Süden, sie spielt jetzt beim Bundesligisten Neckarsulm. "Nach zehn Jahren hatte ich auch das Gefühl: Ich will mal was Neues machen", sagt Kretzschmar. Wegen eines Jobangebots bei einer Rechteagentur telefonierte er schließlich mit Hanning, wollte seine Einschätzung haben. "Dann hat er gesagt: Kretzsche, prinzipiell nicht schlecht. Aber hast du dir schon mal überlegt, für die Füchse zu arbeiten?" Es folgte: "Großes Gelächter." Erst einmal.

Die Wege von Hanning und Kretzschmar haben sich in der Vergangenheit immer wieder gekreuzt, nicht immer herrschte Harmonie. Sie kannten sich von der Nationalmannschaft, 1997 bis 2000 war Hanning Co-Trainer unter Heiner Brand und Kretzschmar der Linksaußen. 2007 wurde Brand mit dem WM-Titel zum liebenswürdigen Brummbär der Nation, doch spätestens als Hanning 2013 zum DHB-Vizepräsidenten gewählt wurde, kam es zu Verwerfung zwischen ihm und Brand - in der Szene machte sich Hanning damit unbeliebt.

Als der damalige Füchse-Coach Dagur Sigurdsson 2015 als Bundestrainer installiert wurde, schrieb Kretzschmar in seiner Sport 1-Kolumne, er finde es "völlig übertrieben", dass man sich in Berlin "zum Retter des deutschen Handballs aufschwingt", die Haltung der Füchse gehe ihm "auf den Sack". Lange hat man ihm das nicht nachgetragen in Berlin. "Auch in der Zeit, als wir uns gestritten haben, hat sich Bob mit mir getroffen und gefragt, ob ich Frauen-Bundestrainer werden will", erzählt Kretzschmar: "Wenn du aus einem Gespräch mit ihm rausgehst, hast du immer das Gefühl: Der Handball steht über allem."

Aus dem Gelächter nach dem ersten Telefonat wurde schließlich Ernst. "Wenn sich Bob was in den Kopf gesetzt hat, hört er nicht mehr auf. Dann ist er wie ein Terrier", sagt der Hundefreund Kretzschmar. Ein Vollzeit-Job kam für ihn freilich auch aufgrund seiner Tätigkeit beim TV-Sender Sky nicht in Frage, die Spiele der Füchse kommentiert er schon jetzt nicht mehr. Im Groben geht es darum, Kretzschmars Kontakte zu Sponsoren und Spielern zu nutzen. Dass Hanning das letzte Wort hat, akzeptiert Kretzschmar: "Demokratie funktioniert im Leistungssport nicht. Da müssen ein, zwei Leute das Sagen haben, und zwei sind manchmal einer zu viel."

Dass die Großen des Geschäfts jetzt nicht automatisch nach Berlin kommen, weiß Kretzschmar schon. Beim Abschiedsspiel von Alfred Gislason habe er sich mit Aron Palmarsson vom FC Barcelona unterhalten, "der hat mich fünf Minuten ausgelacht". Das Budget der Füchse soll bei etwa sechs Millionen Euro liegen, in der Liga ist das im oberen Drittel, aber "auf europäischer Ebene ist das gerade nicht ausreichend", sagt Kretzschmar. Der Weg in die Spitze soll über erfolgreiches Scouting gehen; ein Gerüst ist schon vorhanden. Die Nationalspieler Paul Drux, Fabian Wiede und Simon Ernst sind für Kretzschmar sportlich Säulen der Mannschaft, er will sie mit seiner Popularität auch zu den neuen Gesichtern der Füchse machen.

Dass seine Eltern, beides Größen des deutschen Handballs, seine Rückkehr nicht mehr mitbekommen können, bedauert Kretzschmar. "Die Meinung meines Vaters war mir wichtiger als jede andere", sagt er, "eine ehrlich fundierte Meinung zu hören, das fehlt schon." Das Angeln hat er von ihm gelernt. Teig haben sie damals als Köder benutzt. Doch die Zeiten haben sich geändert. "Mais mit Vanille-Geschmack, da stehen die Fische drauf", sagt Kretzschmar. Mit dem richtigen Köder soll es auch bald mit einem echten Karpfen klappen.

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SZ vom 19.09.2019
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