Süddeutsche Zeitung

Handball:Große Auswahl zur Premiere

Bundestrainer Alfred Gislason beruft 21 Handballer für die EM-Qualifikation - ein üppiges Aufgebot nach achtmonatiger Länderspiel-Pause. Dabei schwingen auch die Unwägbarkeiten der Virus-Pandemie mit.

Von Joachim Mölter

Acht Monate nach Dienstantritt steht dem Handball-Bundestrainer Alfred Gislason das Länderspiel-Debüt nun tatsächlich bevor: In der Qualifikation für die EM 2022 sind für nächste Woche zwei Partien im Kalender notiert, erst gegen Bosnien-Herzegowina (5. November in Düsseldorf), dann gegen Estland (8. November in Tallinn). Dafür hat Gislason am Montag 21 Spieler nominiert, ungewöhnlich viele. "Es war nicht das Ziel, einen 21er-Kader zu benennen, falls einige aus Corona-Gründen nicht kommen können", beschwichtigte der 61 Jahre alte Isländer. Aber die Unwägbarkeiten der Virus-Pandemie, die bereits seine ursprünglich für Mitte März vorgesehene Premiere in Diensten des Deutschen Handballbundes (DHB) vereitelt hatte, und die von den Bundesligaklubs angefachte Debatte über die Freigabe von Nationalspielern angesichts europaweit steigender Infektionszahlen schwangen durchaus mit, als er die Zusammenstellung seiner Auswahl in einer Videokonferenz erklärte.

Gislason hat einige jüngere Spieler eingeladen, wie Juri Knorr, den Sohn des EM-Torschützenkönigs von 1996, Thomas Knorr, der in Minden bereits die Fäden im Rückraum zieht und nun der erste Nationalspieler aus den 2000er-Jahrgängen werden könnte. Aber hauptsächlich vertraut der neue Bundestrainer auf bewährte Kräfte. "Ich habe wenig Zeit zur Vorbereitung", sagt er, "und ich kann an einem Tag nicht alles auf den Kopf stellen." Genau genommen sind es zwei Trainingstage, die er zur Verfügung hat vor der Begegnung mit Bosnien-Herzegowina am Donnerstag in einer Woche: Am Dienstag will er die Abwehr üben, am Mittwoch den Angriff.

Im Hinblick auf die Defensive hat er zwei von seinem glücklosen Vorgänger Christian Prokop ausgemusterte Europameister von 2016 zurückgeholt: Christian Dissinger und der damalige Abwehrchef Finn Lemke sollen die Lücken schließen, die durch Verletzungen der Kreisläufer Jannik Kohlbacher und Johannes Golla entstanden sind. Der vor zwei Jahren vom THW Kiel zum Champions-League-Gewinner Vardar Skopje gewechselte Dissinger "kennt die Abwehr, wie wir sie in Kiel gespielt haben", sagt der frühere THW-Coach Gislason. Und diese offensive Verteidigungsvariante will er nun auch in der DHB-Auswahl installieren, rund um die Kreisläufer Patrick Wiencek und Henrik Pekeler.

Fürs erste hat Alfred Gislason auf die Berliner Routiniers Paul Drux und Fabian Wiede verzichtet, die nach Verletzungen noch nicht richtig fit sind. Sie stehen aber im erweiterten 35-Mann-Kader, aus dem der Bundestrainer notfalls schöpfen kann, falls in den nächsten Tagen der zweitschlimmste Fall eintritt: dass Klubs ihre angestellten Spieler nicht für ihre Nationalteams freigeben aus Angst vor Corona-Infektionen oder Quarantänen. "Wir haben Verständnis, dass die Klubs und die Bundesliga Sorgen haben", sagt DHB-Vorstandschef Mark Schober und versichert, bei den Verbänden in Europa auf entsprechende Hygienemaßnahmen und Tests zu drängen: "Wir sind dabei, für alle Seiten Lösungen zu finden." Schober ist zuversichtlich, dass es nicht zu einem Boykott der Klubs kommt. Insofern könnte nur der schlimmste Fall, der "worst case", das Länderspiel-Debüt von Alfred Gislason verhindern: ein erneuter Lockdown in Europa, so wie im Frühjahr.

Das Aufgebot für die Handball-Länderspiele

Tor: Wolff (Kielce), Bitter (Stuttgart), Heinevetter (Melsungen)

Linksaußen: Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen), Schiller (Göppingen)

Rechtsaußen: Reichmann, Kastening (beide Melsungen). - Kreis: Pekeler, Wiencek (bd. Kiel), Preuss (Magdeburg)

Rückraum: Weber (Leipzig), Knorr (Minden), Michalczik (Berlin), Kühn, Häfner, Lemke (alle Melsungen), Heymann (Göppingen), Dissinger (Skopje), Böhm (Hannover), Semper (Flensburg), Weinhold (Kiel)

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SZ vom 27.10.2020
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