Handball:Der ausgebremste Bundestrainer

Bundestrainer Alfred Gislason in Einzelgesprächen mit den Spielern DHB - Lehrgang zur Vorbereitung des Länderspiels geg

Kurzes Kennenlernen: Der neue Bundestrainer Alfred Gislason (rechts) konnte wenigstens ein paar Tage mit seiner Auswahl üben.

(Foto: Holger John/Imago)
  • Voller Tatendrang startete Handball-Bundestrainer Alfred Gislason im Februar in sein Amt - doch angesichts der Corona-Entwicklung kann er derzeit kaum etwas tun.
  • Wie viele andere will sich der Trainer in den aktuellen Zeiten aber selbst nicht zu wichtig nehmen: "Wir sehen ja, was in der Welt los ist."
  • Im Verband ist aktuell Krisenmanagement gefragt. Im Ligaverband, der HBL, ist der finanzielle Leistungsdruck sogar noch größer.

Von Carsten Scheele, Hannover

Ausgebremst ist das Wort, das die Lage von Alfred Gislason am besten beschreibt. Er würde gerne so viel tun, kann aber nicht, darf nicht. "Ich habe momentan keine rechten Aufgaben", erzählte der Handball-Bundestrainer am Sonntag in der Sendung "Sportclub" des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Ob er sich noch als Bundestrainer fühlt? Gislason lacht. Ein bisschen vielleicht.

Seit Februar ist Gislason, 60, neuer Coach der deutschen Handballer. Dafür hatte der Isländer seine selbstverordnete Auszeit unterbrochen, die er vor allem auf seinem Bauernhof in der Nähe von Magdeburg verbracht hat - unter anderem mit der Pflege seltener Obstbäume. Der langjährige Erfolgscoach des THW Kiel merkte jedoch, wie sehr ihm der Sport fehlte, also sagte er umgehend zu, als ihm der Deutsche Handballbund (DHB) im Februar den Posten von Christian Prokop anbot. Der Leipziger wurde daraufhin trotz einer Job-Garantie nach der mittelprächtigen Europameisterschaft mit Platz fünf und trotz eines noch bis 2022 gültigen Vertrages entlassen.

Gislason startete jedenfalls voller Tatendrang, besuchte die Nationalspieler quer durchs ganze Land, nominierte einen Kader, der sich nur an wenigen Punkten von dem seines Vorgängers unterschied. Und bereitete die Mannschaft beim einwöchigen Lehrgang in Aschersleben vor auf das einzige Testspiel, das ihm vor dem so wichtigen Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele in Tokio bleiben sollte: in Magdeburg, nicht weit weg vom Obstbauerhof, gegen die Niederlande.

Doch dann kam alles ganz anders. Das für Sonntag geplante Spiel gegen die Niederlande wurde wegen der dynamischen Corona-Entwicklung abgesagt, im letzten Moment. Das vom 15. bis 17. April in Berlin terminierte Quali-Turnier: in den Juni verschoben. Ob es dann stattfinden kann, weiß niemand. Gleiches gilt für die Sommerspiele, deren reguläre Austragung immer unwahrscheinlicher wird.

Gislason hat gerade nicht einmal Kontakt zu seinen Nationalspielern

Es sei "beruflich sehr eigenartig, wenn man nicht weiß, wann die nächsten Aufgaben kommen", sagt Gislason. Wie viele andere will sich der Trainer in den aktuellen Zeiten aber selbst nicht zu wichtig nehmen: "Wir sehen ja, was in der Welt los ist." Gislason hat gerade nicht einmal Kontakt zu seinen Nationalspielern: "Die lasse ich in Ruhe, die haben andere Sorgen."

So empfindet es auch Axel Kromer, der Sport-Vorstand im DHB. "Wir hätten es liebend gerne anders", sagte Kromer am Montag, "aber wir müssen anerkennen, dass viele Dinge in der Gesellschaft gerade brisanter sind." Die Situation sei für den deutschen Handball insgesamt und speziell für Gislason unbefriedigend, der habe aber immerhin eine Lehrgangswoche in Aschersleben gehabt. Wäre Corona etwas früher über Deutschland hereingebrochen, wäre auch diese Woche weggewesen. So hätten sich Trainer und Mannschaft immerhin kennenlernen können. "Glück im Unglück", nennt es Kromer.

Im Verband ist aktuell Krisenmanagement gefragt. Mitarbeitern muss ermöglicht werden, ihre Aufgaben im Homeoffice zu erledigen. Genug Arbeit für die kommenden Tage ist liegen geblieben, danach ist Kreativität gefragt. Kromer hat sich ohnehin abgewöhnt, zu weit voraus zu planen. Die Halbwertszeit der Entscheidungen ist in Coronazeiten nicht sonderlich hoch, "manchmal sind alle Planungen nach zwei Stunden wieder über den Haufen geworfen".

Die Vereine wollen ihre Profis zum Gehaltsverzicht bewegen

Dem Ligaverband, der HBL, ergeht es kaum besser: Dort ist der finanzielle Leidensdruck sogar noch größer. Am vergangenen Montag hielten die Vertreter der 18 Klubs eine mehrstündige Telefonkonferenz ab, das Ergebnis: Die Bundesliga-Spielzeit bleibt bis mindestens zum 22. April ausgesetzt, abgesagt wurde sie ausdrücklich nicht. "Wir haben immer noch die Hoffnung, egal wann, dass wir die Saison zu Ende spielen", sagt Bob Hanning, der DHB-Vizepräsident und Geschäftsführer der Füchse Berlin. Um zu überleben, haben die Klubs erste Solidarmaßnahmen verabredet. So wollen die Vereine ihre Profis zum Gehaltsverzicht bewegen, "ohne das ist es, glaube ich, kaum darstellbar", sagt Hanning. Zudem hätten die ersten Klubs das von der Politik offerierte Kurzarbeitergeld beantragt, weitere dürften dem Beispiel folgen.

Schon am Wochenende hatte HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann die Lage als "dramatisch" bezeichnet. Die Klubs könnten weder die kommende Spielzeit planen, noch Dauerkarten verkaufen oder seriös mit den Sponsoren verhandeln. "Ich hoffe, dass wir alle Klubs im Herbst wiedersehen", sagte Bohmann. Eine fast schon unheil-schwangere Prognose.

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Am Montag wurde zudem bekannt, dass es im deutschen Profi-Handball den ersten bestätigten Coronafall gibt: Der Däne Mads Mensah von den Rhein-Neckar Löwen wurde positiv getestet, woraufhin der Klub seine Trainingsaktivitäten eingestellt hat. Der Rückraumspieler, seines Zeichens immerhin Mitglied von Dänemarks Weltmeister-Mannschaft, hatte grippeähnliche Symptome beklagt, fühlt sich mittlerweile aber wieder "fit und belastbar". Die nächsten 14 Tage muss er mit seiner Familie in häuslicher Quarantäne verbringen.

So ist der deutsche Handball in den Wartemodus verbannt - nicht nur der Bundestrainer. Gislason hat immerhin doch etwas gefunden, um sich sinnvoll zu beschäftigen. Er will die Gegner analysieren, auf die das Nationalteam bei der Olympia-Qualifikation in Berlin treffen soll: Schweden, Slowenien, Algerien. In der Hoffnung, dass er von diesem Wissen im Sommer noch einmal profitieren kann.

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