Handball:Gen-Kur gegen den Schnupfen

Der THW Kiel gilt wieder als Titelkandidat. Das seit drei Jahren schwächelnde Team wird nun von interessanten Spielern verstärkt.

Von Jörg Marwedel, Kiel

Der Handball-Coach Alfred Gislason hat ein paar Träume. Zum Beispiel, mehr Zeit in seinem Haus und Garten nahe Magdeburg zu verbringen. Oder häufiger in seine Heimat Island zu reisen. Die Träume sind längst greifbar. 2019 wird der 58-Jährige seinen Vertrag beim THW Kiel nach dann elf Jahren nicht mehr verlängern. Davor hat er noch ein großes Ziel: Er will den Rekordmeister, mit dem er sechs Meisterschaften, fünf DHB-Pokale und zweimal die Champions League gewonnen hatte, wieder auf das Niveau bringen, das er gewohnt war. Denn die vergangenen drei Jahre waren nicht seine besten. Zweimal mussten die Kieler den Rhein Neckar Löwen zum Titel gratulieren und zuletzt gar dem schleswig-holsteinischen Rivalen SG Flensburg-Handewitt die Ehre erweisen. Sein Team dagegen konnte sich als Tabellenfünfter erstmals nicht für die Champions League qualifizieren.

Die Chancen für einen neuen Aufschwung stehen gut. Obwohl am Mittwochabend Meister Flensburg und die Löwen als aktueller Pokalsieger in Düsseldorf den Supercup ausspielen, sind die Kieler bei den Experten die erste Wahl für die kommende Saison, deren erste Punktspiele am Donnerstag ausgetragen werden. Die Mehrheit von Gislasons Kollegen sagt das, ebenso Bundestrainer Christian Prokop. Für ihn hat der THW "die stärkste Mannschaft beisammen". Wenn die Kieler von langwierigen Verletzungen verschont blieben, seien sie der erste Titelkandidat. Der Branchenführer hat eine Menge dafür getan, dass die jüngsten Dellen ausgebügelt werden. Was die Kieler frohgemut stimmt, sind nicht nur Verstärkungen wie Nationalspieler Hendrik Pekeler, der wie der rechte Rückraumspieler Harald Reinkind von den Löwen gekommen ist. Es sind vor allem drei ehemalige THW-Profis, die Mut machen: der ehemalige Kapitän Filip Jicha, 36, der frühere Keeper Mattias Andersson, 40, und der einstige Rückraumspieler Viktor Szilagyi, 39.

DHB Final Four - German Cup Final

Mit neuen Kräften: Alfred Gislason wird von Assistent Filip Jicha, Torwart-Coach Mattias Andersson und Viktor Szilagyi (Technischer Leiter) unterstützt.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Kieler bedienen sich also bei ihren Altmeistern, die das sogenannte THW-Gen in sich tragen, das zuletzt etwas verloren gegangen war. Andersson, der noch im Juni seine letzte Meisterschaft mit Flensburg feierte, soll nun als Torwarttrainer die Weltklasse-Keeper Niklas Landin und Andreas Wolff weiter verbessern. Szilagyi wird als "empathischer" (so Jicha) Sportlicher Leiter das Team begleiten wie schon seit Beginn des Jahres. Und mit Jicha wird die Zukunft verbunden. Der ehemalige Welthandballer, der seine aktive Karriere vor einem Jahr beim FC Barcelona beendete, wird der wohl einflussreichste Co-Trainer der Liga sein und soll nach Gislasons Abschied der Chef werden.

"Filip und Viktor sind ja deutlich jünger als ich und bringen mich wieder in die Gänge", flachste der Noch-Coach, der es "logisch" findet, dass Jicha sein Nachfolger wird. Der hat schon ein paar "Visionen" eingebracht, wie er selbst sagt. Auf Gislasons Wunsch hat der gebürtige Tscheche sich schon vor seiner Anstellung damit beschäftigt, wie die schwächelnde Abwehr wieder aggressiver wird. Auch die Idee, künftig drei Kapitäne zu benennen, kam von ihm. Neben Domagoj Duvnjak sollen Keeper Landin und Patrick Wiencek als Vorbilder Aufgaben neben dem Feld übernehmen. Gislason glaubt, dass auch Jicha als Trainer Karriere machen wird, sie beide hätten sich ja schon als Spieler geähnelt: "Ich konnte nie meine Schnauze halten. Auch Filip hat seine eigene Meinung."

Kiel wartet seit drei Jahren

Die deutschen Handball-Meister seit 2005

2005 THW Kiel

2006 THW Kiel

2007 THW Kiel

2008 THW Kiel

2009 THW Kiel

2010 THW Kiel

2011 SG Flensburg-Handewitt

2012 THW Kiel

2013 THW Kiel

2014 THW Kiel

2015 THW Kiel

2016 Rhein-Neckar Löwen

2017 Rhein-Neckar Löwen

2018 SG Flensburg-Handewitt

Vor allem will Jicha daran arbeiten, "dass wir uns als geschlossene Einheit nach vorn bewegen". So ähnlich wie zu seiner aktiven Zeit zwischen 2007 und 2015, als er noch einen Meistertitel mehr mit dem THW gewann als Gislason. Die Zusammenarbeit mit dem Team wird durch seine Ideen vermutlich besser, auch wenn er sagt: "Nur weil ich bei Instagram bin und Alfred nicht, ist er noch kein Oldschool-Trainer." Aber natürlich hat Jicha eine größere Nähe zu den Profis, mit denen oder gegen die er ja noch gespielt hat.

Dass die Kieler nach der Dürrephase "den Kader nicht runterfahren, sondern das Gegenteil machen", wie Geschäftsführer Thorsten Storm sagt, hat auch mit den Gesellschaftern zu tun. "Wenn meine Frau Schnupfen hat, gehe ich auch nicht gleich zu einer anderen", begründete Wieslaw Milkiewicz, der Geschäftsführer des THW-Hauptsponsors Star, das weitere Engagement. Um den Spitzenetat der Bundesliga von zehn Millionen Euro zu halten, beschlossen die Gesellschafter eine Kapitalerhöhung von drei auf vier Millionen Euro. Aufsichtsratschef Reinhard Ziegenbein ist sicher, dass mit weiteren Verbesserungen wie der Fertigstellung des Trainingszentrums in Altenholz alles dafür bereitet ist, "dass wir wieder in den nationalen und internationalen Topbereich vordringen".

Neben Kreisläufer Pekeler und Reinkind kommen Linksaußen Magnus Landin, 23 (der Bruder des Torwarts, der seinen Chefs sagte, er kenne da einen guten Linksaußen), und das große isländische Kreisläufer-Talent Gisli Kristiansson, 19, dazu. Dagegen haben nur René Toft Hansen (Veszprem) und Raul Santos (Leipzig) den Klub verlassen. Weltmeister Christian Zeitz, 37, der künftig für den Drittligisten SG Nußloch spielt, war ohnehin keine Stammkraft mehr.

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