Süddeutsche Zeitung

Handball:Ein sehr stolzer Trainer

Maik Machulla dirigiert Flensburgs Handballer als Tabellenführer durch die Pandemie-Saison. Er ist beeindruckt von seinen Spielern - und der Klub von seinem Trainer.

Von Carsten Scheele

Maik Machulla ist aktuell nicht gerade stolz auf seine Spieler. Er ist megastolz, mindestens! Und das hört man, in jedem Wort, das den Mund des Trainers verlässt. In dieser an Unwägbarkeiten stinkreichen Corona-Saison, in der so häufig Pläne über den Haufen geworfen werden müssen, ist die SG Flensburg-Handewitt an der Tabellenspitze der Handball-Bundesliga (HBL) angelangt. Trotz großer Personalsorgen und etlicher verletzter Nationalspieler hat die Mannschaft zuletzt beide Spitzenspiele gewonnen, erst gegen den THW Kiel, dann beim SC Magdeburg, und das, obwohl einige Profis längst am Ende ihrer Kräfte angelangt sein müssten.

Alle zwei bis drei Tage eine Partie, da ein Spielausfall, dort ein Nachholtermin, dazu die vielen Reisen, quer durch Europa: Die Nationalspieler sind noch mehr beansprucht, haben eine Weltmeisterschaft hinter sich, Olympia im Sommer vor der Brust. "Die Jungs stecken bislang alles weg, wir jammern nicht", sagt Machulla, "davor habe ich riesigen Respekt."

Dass der Trainer Zeit hat für ein Telefonat, liegt auch daran, dass in dieser Woche wieder alles anders läuft als geplant. Ursprünglich waren zwei Achtelfinal-Partien in der Champions League angesetzt, am Mittwoch und Donnerstag gegen HC Zagreb, Hin-und Rückspiel binnen 24 Stunden. Ein Wahnsinn, mal wieder. Doch die Europäische Handballföderation (EHF) hat alles abgesagt, beim Gegner gab es Corona-Fälle, Nachholtermine passten nicht mehr in den Kalender. Also ist Flensburg kampflos ins Viertelfinale eingezogen. Schade für Zagreb, gut für die strapazierten Flensburger. "Jeder freie Tag bringt den Spielern gerade mehr als alles andere", sagt Machulla.

Bei Golla gehen Machulla die Superlative aus

Machulla, 44, geboren in Greifswald, gehört längst zu den prägenden Trainern der HBL, speziell in dieser Saison. Er lotst das Flensburger Team durch die Pandemie, dosiert die Belastung, wo es nur geht - und müht sich, auch dann die Ruhe zu wahren, wenn es um ihn herum besonders wild zugeht. Während andere Mannschaften auf dem Spielfeld allmählich abbauen, hat sich Machullas Team seit Monaten keinen Aussetzer geleistet. "Flensburg spielt eine extrem stabile Saison", sagt Bundestrainer Alfred Gislason. Das ist auch Machullas Verdienst, und umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der Coach den Handball an der Förde ein bisschen neu erfinden musste.

Die Zäsur war groß nach dem Karriereende von Holger Glandorf im Sommer und dem Abschied von Tobias Karlsson im Jahr zuvor. Also hat Machulla das Angriffsspiel flexibler gestaltet; er hat Jim Gottfridsson, den starken Schweden auf der Mittelposition, zu seiner rechten Hand auf dem Spielfeld ernannt. Er hat Mads Mensah Larsen, dem Weltmeister aus Dänemark, nach einem Karriereknick neues Leben eingehaucht. Und er hat Johannes Golla... ach ja, Golla. Auf den 23-Jährigen ist Machulla gerade besonders stolz. "Bei Johannes gehen mir langsam die Superlative aus", sagt er über seinen jungen Abwehrchef, der häufig 60 Minuten lang den Laden beisammenhält, weil die Personaldecke so dünn ist. Und der sich nebenbei zu einem der am schwersten zu fassenden Kreisläufer der Liga entwickelt.

Die Flensburger wissen freilich auch, welch Glücksgriff ihnen auf der Trainerposition gelungen ist. Es gab ja durchaus Stimmen, die den Entschluss mutig fanden, dem mäßig erfahrenen Co-Trainer 2017 den Chefposten zu übergeben. Doch Machulla, der 2014 seine Karriere als Spieler beendet hat, benötigte keinerlei Anlaufzeit. Er steht mit derselben Energie am Spielfeldrand, mit der er früher als Mittelmann das Geschehen dirigiert hat. Zweimal hat Machulla die Meisterschaft gewonnen, 2018 und 2019. Es ist ein packender Zweikampf, den sich die SG mit den Nachbarn aus Kiel liefert: 2020, nach dem Saisonabbruch, ging die Schale an den Rivalen, jetzt steht Flensburg wieder vorne. Ein Punkt vor dem THW, das direkte Duell vor zwei Wochen war vielleicht schon richtungsweisend für die Meisterschaft: Machullas Truppe siegte 31:28. Weil das halbe Team in Quarantäne festsaß oder verletzt war, hatte er nur acht Feldspieler zur Verfügung gehabt.

Eine Situation, in der man als Trainer schon mal in Panik geraten könnte, nicht so Machulla. "Seine große Stärke ist, dass er immer ruhig bleibt", sagt Dierk Schmäschke, der Geschäftsführer der SG Flensburg-Handewitt. Er erlebt seinen Trainer als "akribischen Arbeiter, der trotzdem kreativ bleibt"; etwa zum Saisonstart in der Champions League, als gegen Kielce alle Kreisläufer ausfielen und Machulla mit Mensah Larsen am Kreis experimentierte, mit gutem Erfolg. Oder kürzlich gegen Magdeburg, als sich Simon Hald kurz vor dem Spiel krank abmeldete, dann Gottfridsson die rote Karte sah, die SG sich schüttelte und trotzdem noch gewann. Wie zielgerichtet Machulla das Team trotz aller Rückschläge durch die Pandemie steuert, "da fehlen mir manchmal die Worte", gesteht Schmäschke. Dass die SG mit dem Trainer verlängern will, ist logisch.

Zunächst könnte Machulla zum dritten Mal mit Flensburg deutscher Meister werden - in seiner vierten Saison als Chefcoach. Das ist das Ziel, dafür will Flensburg kämpfen - und nicht jammern, bis zum letzten Spieltag. "Klar, die Saison ist extrem", sagt Machulla, er denkt aber bereits weiter: "Von dem, was wir gerade lernen, werden wir in den nächsten Jahren auch extrem profitieren."

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