Handball:Fränkisches Hoch im Norden

Handball: Lust auf mehr: Erlangens Steffen Fäth (Mitte) setzt sich gegen Magdebrugs Magnus Gullerud und Kay Smits (v.li.) durch

Lust auf mehr: Erlangens Steffen Fäth (Mitte) setzt sich gegen Magdebrugs Magnus Gullerud und Kay Smits (v.li.) durch

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Die Handballer des HC Erlangen verlieren zwar ihr Pokal-Halbfinale gegen den designierten Meister Magdeburg, schöpfen aber viel Motivation für den Saisonendspurt - und haben Lust auf mehr.

Von Ralf Tögel, Hamburg

Der Ausblick war atemraubend. Links die Elbphilharmonie, davor das Menschengewusel auf den Landungsbrücken, am Horizont die tiefrot glühende Sonne auf dem Weg in die Nacht und zur Rechten die Reeperbahn. Wer genau hinhörte, konnte ein bisschen Drama mitbekommen, denn dort unten am Millerntor versemmelten die Fußballer vom FC St. Pauli gerade mit dem 1:2 gegen Darmstadt eine große Chance im Bundesliga-Aufstiegskampf. Hier oben, im 20. Stockwerk auf der Panorama-Terrasse des Atlantic-Hauses, war das Drama lange vorbei: Der Handball-Bundesligist HC Erlangen hatte Wegbegleiter und Gönner zu einem kleinen Umtrunk geladen, es galt den größten Erfolg der Vereinsgeschichte zu würdigen - die Teilnahme am Final Four im Pokal-Wettbewerbs.

Das Halbfinale gegen den SC Magdeburg wurde zwar klar verloren, gegen den Tabellenführer und designierten Meister, die Übermannschaft der Saison. Das 22:30 kam aber nicht sehr überraschend. Als die Mannschaft eintraf, waren die Spieler angemessen zerknirscht, die Trübsal verflog aber im Laufe des Abends.

Es blieb trotz der Niederlage Positives festzuhalten: Dass eine Handball-Mannschaft aus Bayern zuletzt im finalen Kampf um den DHB-Pokal mitmischen durfte, war mehr als drei Jahrzehnte her. 1990 gewann der TSV Milbertshofen zwar den Pott, aber unter völlig anderen Voraussetzungen als Erlangen. Der Unternehmer Ulrich Backeshoff hatte Milbertshofen mit viel Geld in die nationale Spitze subventioniert, und unter anderem den früh verstorbenen Jahrhundert-Handballer Erhard Wunderlich aus Barcelona losgeeist. Von derartigem Mäzenatentum sind die Mittelfranken so weit entfernt wie von der Verpflichtung eines Weltklassespielers, Profis dieser Couleur gewannen in den Reihen des THW Kiel den Pokal gegen Magdeburg. In Erlangen wurde in jahrelanger Arbeit ein großes Netz an Sponsoren geflochten, um einem Schicksal, wie es Milbertshofen ereilte, zu entgehen. Dort ging dem Mäzen das Geld aus, der Klub spielt heute in der Bezirksliga. Der HCE dagegen hat mit seiner Struktur auch die Pandemie bisher recht unbeschadet überstanden.

Nun gilt es, noch Punkte in der Liga zu sammeln, um dem Abstiegskampf fernzubleiben

Und er hat nun in der Hamburger Arena vor 12 800 Zuschauern den bisher größten Erfolg der Vereinsgeschichte gefeiert - mit mehr als tausend Fans aus dem Fränkischen. Natürlich reiste der HCE als großer Außenseiter an, der Glaube an die Überraschung war nicht zuletzt nach der knappen Niederlage beim SC Magdeburg in der Liga aber vorhanden, wie der ehemalige Nationalspieler Steffen Fäth nach der Partie zugab. Zumal Erlangen auf dem Weg nach Hamburg unter anderem den viermaligen Pokalsieger SG Flensburg-Handewitt bezwang: "Wir haben uns schon was ausgerechnet"; und in der Tat hielten die Erlanger bis acht Minuten vor Ende der ersten Halbzeit gleichwertig dagegen. Überhastete Würfe und unnötige Fehler wurden von der "Übermannschaft dieser Saison", so Fäth, aber eiskalt bestraft.

So blieben "eine tolle Erfahrung" und die Anerkennung der Konkurrenz, für Trainer Raul Alonso ist das "Ansporn und Motivation" für den Saisonendspurt. Denn im Tagesgeschäft läuft es nach vielen Verletzungen und Corona-Ausfällen nicht nach Wunsch. Wegen der äußerst unsteten Leistungen mit Ausreißern nach oben wie dem Kantersieg gegen die Rhein-Neckar Löwen und nach unten wie den Pleiten in Leipzig und Göppingen wurde Trainer Michael Haaß zur Saisonhalbzeit durch Alonso ersetzt. Nun bedarf es noch ein paar Punkten für den Tabellen-Dreizehnten, um dem Abstiegskampf fernzubleiben.

"Daran habe ich keinen Zweifel", sagt Carsten Bissel, der Aufsichtsratsvorsitzende des HCE. Er ist der Stratege im Hintergrund, der die Fäden zieht und aus dem maroden Klub einen etablierten Erstligisten geformt hat. Das Wochenende habe auch ihm Lust auf mehr gemacht. Die Weichen dafür sind gestellt, die wichtigen Spieler für mindestens eine weitere Saison unter Vertrag. Abwehrchef Petter Overby, der sich Pokalsieger Kiel anschließt, wird durch den isländischen National-Kreisläufer Sveinn Johannsson ersetzt, zudem kommt der dänische Torhüter Bertram Obling vom schwedischen Meister Sävehof. "Wir werden die Saison ordentlich abschließen", sagt Bissel, das Final Four werde dazu beitragen: "Wir sind auf dem richtigen Weg."

Schließlich sollen nicht wieder dreißig Jahre ins Land ziehen, ehe ein bayerischer Handballklub auch bundesweit auf sich aufmerksam macht.

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