Handball-EM:Warum die deutschen Angriffe versanden

  • Die deutschen Handballer treffen am Mittwoch (20.30 Uhr) bei der Handball-EM im entscheidenden Spiel um den Halbfinal-Einzug auf Spanien.
  • Sorgen bereitet der deutsche Angriff, der im Gegensatz zur Abwehr immer noch keine verlässliche Leistung zeigt.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Handball-EM.

Von Ralf Tögel, Varazdin

Ob er sich auf das Finale freue? Uwe Gensheimer muss kurz lachen, dann finden seine Gesichtszüge umgehend wieder in einen fokussierten Modus zurück. Der Kapitän der deutschen Handball-Nationalmannschaft wirkt ernst, konzentriert, angespannt. Und ja, es wäre zwar noch nicht das Finale um den EM-Titel, aber es ist für die deutsche Mannschaft das Finale ums Weiterkommen.

Am Mittwochabend (20.30 Uhr/ZDF) im letzten Hauptrundenspiel gegen Spanien zählt nur ein Sieg, Gensheimer kann sich schon allein darüber freuen: "Es ist ja nicht gerade optimal für uns gelaufen, aber wir haben trotzdem noch die Chance auf das Halbfinale - das ist doch ein Riesending für uns." Auch die Tatsache, dass die Spanier einen Tag weniger Zeit hatten, um zu regenerieren, könnte dem Titelverteidiger in die Karten spielen. Gensheimer hofft, dass "wir ein paar Prozent mehr Frische reinlegen können". Und dass die Mannschaft nach der starken Leistung im vergangenen Spiel gegen Olympiasieger Dänemark (25:26) etwas lockerer auftreten werde.

Zuletzt hat ihn sogar der Bundestrainer Prokop öffentlich kritisiert

Mit Lockerheit und Frische ist es ja so eine Sache im deutschen Spiel: Während die Abwehr mit jedem Einsatz besser zusammenfindet, schwächelt der Angriff. Gensheimer dient da als gutes Beispiel, er hat sich als trickreicher und vor allem sicherer Vollstrecker auf Linksaußen und vom Siebenmeterstrich international einen Namen gemacht, im EM-Turnier haben ihm bislang aber bei einem Drittel aller Strafwürfe die Nerven versagt. Die Quote bei Gegenstößen und von außen "ist auch nicht die beste", sagt der 31-Jährige, "das weiß ich schon."

Gerade das Tempospiel, ein Eckpfeiler im System der Deutschen, lässt zu wünschen übrig. Oft wird das Risiko des langen Zuspiels gescheut, manchmal sind die Spieler zu langsam unterwegs, und wenn das doch mal klappt, vergeben sie frei vor dem gegnerischen Tor. Dem Spiel des Europameisters fehlt die Überzeugung, die es beim Triumph in Polen noch ausgezeichnet hat.

Gensheimer will trotz aller Kritik ruhig bleiben. Zuletzt hatte sogar Bundestrainer Christian Prokop seine Angriffsleistung öffentlich moniert, doch im Vieraugengespräch habe sich das "ganz anders angehört", sagt der Kapitän: "Dass ich nicht das beste Gefühl habe, ist klar, aber ich weiß, was ich kann, und werde nicht aufgeben." Gensheimer hat schon schlimmere Momente gemeistert. Beim EM-Triumph 2016 in Polen war er verletzt, kurz vor der WM 2017 in Frankreich musste er den überraschenden Tod seines Vaters verkraften.

Doch was bringt einen Spieler wie ihn, der im Starensemble von Paris Saint-Germain mit Nebenleuten wie Mikkel Hansen, Nikola Karabatic oder Sander Sagosen Woche für Woche Topleistungen zeigt, bei einer EM so aus dem Gleichgewicht? Es war von atmosphärischen Störungen zwischen Team und Trainer die Rede, was Torhüter Silvio Heinevetter umgehend als "Schwachsinn" zurückwies. Als Gensheimer in einer Auszeit den Anweisungen Prokops lauschte, wurde sein Gesichtsausdruck als fassungslos interpretiert. "Nach den Lippenlesern im Fußball gibt es jetzt Gesichtsausdruckleser im Handball. Das ist lächerlich", sagt er. Auch den Einsatz von Nachrücker Rune Dahmke gegen Dänemark, der den Kapitän nach einer Viertelstunde für den Rest der Partie ersetzte, nimmt Gensheimer gelassen.

Wer spielt nun gegen Spanien?

Wer gegen Spanien spielt, ist offen, so Prokop, vieles deutet auf einen Einsatz des Kapitäns hin. Gensheimer ist ja beileibe nicht der einzige Akteur, der mit seiner Angriffsleistung Rätsel aufgibt. Diese Unsicherheit hat bis auf Routinier Steffen Weinhold, 31, der als einziger stabil auf dem benötigten Leistungsniveau spielt, den gesamten Rückraum überfallen. Es fehlt Druck aus dem Rückraum, das Eins-gegen-Eins ist mangelhaft, schlechte Würfe werden genommen, falsche Entscheidungen beim Kreisanspiel getroffen. In der Konsequenz fehlt dann das Spiel über die Außen, die Angriffe versanden im Rückraum.

Das erste Spiel gegen Montenegro ist längst als Ausreißer nach oben dechiffriert, gegen Mazedonien stach Steffen Fäth heraus, gegen Dänemark Julius Kühn. Dass Trainer Prokop schnell und viel wechselt, ist dem Selbstvertrauen der Spieler nicht zuträglich. Gegen Spanien wird ein Akteur in Topform nicht reichen, das Fehlen des verletzten Paul Drux ist eine weitere Schwächung. Für ihn rückt Maximilian Janke zurück ins Team, die naheliegende Lösung.

Einem Linkshänder auf der Mittelposition erteilt Prokop erneut eine Absage: "Ich traue das unseren Rechtshändern zu." Das sind die beiden Leipziger Philipp Weber und Janke, auch Fäth kann Mitte spielen. Prokop weiß, dass eine "klare Leistungssteigerung notwendig" sein wird. Und dass auch er daran gemessen wird.

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