Süddeutsche Zeitung

Handball-EM:Tore gegen Kritiker

Der Kantersieg gegen Österreich dient dem Selbstbewusstsein des deutschen Teams - und entschärft eine überdrehte Debatte um Coach Prokop.

Von Joachim Mölter, Wien

Es war ein Hauch der Verzweiflung, der dem Handball-Bundestrainer Christian Prokop am Montagabend entwich, ein Wort bloß, vier Buchstaben, fast atemlos herausgepresst: "Nein." Bob Hanning, der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), habe nicht mit ihm gesprochen vor dem 34:22-Sieg der DHB-Auswahl über Österreich, mit dem sie sich bei der EM-Hauptrunde die Teilnahme am Spiel um Platz fünf am Samstag in Stockholm gesichert hatte. Prokop ahnte offenbar tatsächlich nicht, wie sehr eine Trainerdebatte hochgekocht war, die zwar von außen gekommen war, die Hanning vor der Partie aber zusätzlich befeuert hatte, bewusst oder unabsichtlich.

Es ging um das verpasste EM-Ziel der deutschen Mannschaft, das verfehlte Halbfinale. Am Samstagabend hatte sie in der Wiener Stadthalle nach einem leidenschaftlichen Kampf gegen Kroatien verloren, 24:25, damit war die Chance dahin, noch um eine Medaille zu kämpfen. Angesichts einer deutlichen Leistungssteigerung der ersatzgeschwächten und schwer ins Turnier gekommenen DHB-Handballer hatte Hanning danach aber versichert, dass kein Anlass für eine Trainerdiskussion bestehe: "Wir haben das Ziel nur um Millimeter verpasst. Ich sehe im Moment überhaupt keinen Bedarf, darüber zu sprechen."

Nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte und Experten wie der ehemalige Welthandballer Daniel Stephan ihre Zweifel an der Eignung Prokops verbreitet hatten, sah Hanning am Sonntag plötzlich doch Redebedarf: Er erklärte das Spiel gegen Österreich, den Co-Gastgeber des Turniers, zum Charaktertest: "Da wird sich zeigen, was macht diese Mannschaft mit ihrem Trainer?" Man konnte das durchaus so interpretieren, als stelle er den Coach in Frage; als wolle er von den Spielern sehen, ob sie dazu bereit sind, mit ihm weiterzuarbeiten.

"Es gibt kein Problem", sagt Handball-Vize Bob Hanning

"Dann haben wir ja entschieden. Eindrucksvoll", sagte Rechtsaußen Timo Kastening, mit sechs Toren wieder einmal bester deutscher Torschütze, nach dem Kantersieg über Österreich. Auch Torwart Andreas Wolff, der nach den ersten zwanzig Minuten für den Kollegen Johannes Bitter weichen musste, fand: "Das war ein eindeutiges Zeichen. Das Spiel spricht für sich." Andere Nationalspieler formulierten es ähnlich.

Wenn man die bittere Niederlage zuvor gegen Kroatien bedenkt, meldete sich die DHB-Auswahl in der Tat beeindruckend zurück. Sie zeigte mit einer ebenso stabilen wie flexiblen Abwehr, mit feinen Kombinationen im Positionsangriff und erfolgreichen Tempogegenstößen, wozu sie spielerisch fähig ist. Und sie demonstrierte zudem eine mentale Stärke, die man ihr während der Vorrunde in Trondheim nicht zugetraut hatte, als sie selbst gegen Lettland, einen Debütanten bei Europameisterschaften, ins Schwimmen geraten war.

"Wir haben innerhalb des Turniers eine Riesensteigerung hingelegt", stellte Axel Kromer fest, der Sportvorstand des DHB. Er sah sich am Dienstag zu einer Klarstellung in Sachen Trainerdebatte veranlasst: "Es gab bei uns intern nie die Diskussion, mit welchem Trainer wir zukünftig die Nationalmannschaft prägen wollen. Wir werden natürlich mit Christian das Ziel Olympia anpeilen." Für die Spiele im Sommer in Tokio muss sich die Mannschaft demnächst bei einem Turnier in Berlin (17. bis 19. April) erst noch qualifizieren, aber das soll Prokop in jedem Fall in Angriff nehmen. "Wir sind überzeugt, dass wir einen hervorragenden Weg eingeschlagen haben", versicherte Kromer und fügte hinzu: "Die Statements der Spieler sollten auch zeigen, dass das intern nie ein Thema war."

Die Spieler gaben sich tatsächlich überrascht, dass so viel über ihren Coach diskutiert wurde. "Als ich das erste Mal darauf angesprochen wurde, konnte ich es gar nicht verstehen", sagte der Rückraumspieler Kai Häfner und betonte: "Ich habe gedacht, ich hör nicht richtig." Kreisläufer Patrick Wiencek versicherte: "Das war für uns kein Thema." Sein Kollege Jannik Kohlbacher bekräftigte: "Ich finde, er macht Superarbeit. Für uns ist das keine Frage." Torwart Wolff vermutete immerhin einen Hintergedanken bei Hannings viel zitierter Äußerung: "Ich glaube, der alte Taktikfuchs hat das sehr clever gemacht, dass er die Mannschaft noch mal gekitzelt hat, damit es kein Spiel wird, das zu einer Schlafnummer mutiert."

Trotz der sehr munteren Partie seiner Spieler war der Bundestrainer nachher verstimmt, die Debatte hatte ihn sichtlich mitgenommen, er fand sie verständlicherweise überflüssig. "Wenn ich das höre, ist das nicht schön", gab er nach dem Erfolg über Österreich zu. Dass man als Bundestrainer infrage gestellt werde, nach einem Spiel wie gegen den Mitfavoriten Kroatien, das erst in der Schlussphase verloren gegangen war, "das ist schon sehr hart", fand er.

Bob Hanning fühlte sich im Übrigen missverstanden. Nach dem Sieg über Österreich und vor dem abschließenden Hauptrundenspiel gegen Tschechien am Mittwoch (20.30 Uhr/ZDF) versicherte er nun: "Ich habe von Anfang an gesagt, es gibt kein Problem zwischen Mannschaft und Trainer. Ich bin sehr froh, dass sie auch in der Höhe so ein deutliches Zeichen gesetzt haben." Na, dann scheint ja alles wieder gut zu sein.

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SZ vom 22.01.2020
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