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Handball: EM-Quali gegen Island:Wohin stürzt der deutsche Handball?

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Angst vor der Bedeutungslosigkeit: Die Handball-Nationalmannschaft muss am Sonntag Island bezwingen, um ihre Chancen auf EM und Olympia zu wahren. Ansonsten droht der größte Umbruch seit 14 Jahren.

Carsten Eberts

Ob ein solcher Fall im Fußball denkbar wäre, ist müßig zu diskutieren: Ein Nationalspieler verpasst ein wichtiges Qualifikationsmatch, weil seine Frau in Kürze ein Kind erwartet. Was würden wohl die Medien schreiben? Was die Sponsoren sagen? Und erst der Bundestrainer, der bei einem höchst wegweisenden Spiel auf einen wichtigen Mann verzichten muss?

Nun ist es gemeinhin angenehm, dass die Strukturen im deutschen Handball familiärer sind als im Milliardengeschäft Fußball. Und so stand Holger Glandorfs Entscheidung, wegen der Geburt seines zweiten Kindes am vergangenen Mittwoch nicht mit nach Island zu reisen, gar nicht öffentlich zur Debatte.

Ärgerlich dennoch, dass Deutschland exakt dieses Spiel auf der kleinen Insel 31:36 verlor - und somit am Sonntag in Halle/Westfalen (17.45 Uhr) eine Art Endspiel serviert bekommt. Deutschland muss die starken Isländer bezwingen, um Platz zwei in der Qualifikationsgruppe zu sichern - ansonsten wäre die Teilnahme an der EM 2012 in Serbien aus eigener Kraft nicht mehr schaffbar.

Das Nicht-Erreichen der EM wäre nach der verpatzten WM im Januar wohl der finale Schlag für den deutschen Handball. Noch nie hat Deutschland eine EM verpasst; es wäre ein ähnlicher Fall wie 1997, als sich das Team erstmals nicht für eine WM qualifizieren konnte. Noch schlimmer, dass die EM in Serbien für das Team von Bundestrainer Heiner Brand auch die letzte Gelegenheit für die Olympia-Qualifikation 2012 in London ist. Olympische Sommerspiele ohne die deutschen Handballer - auch das gab es noch nie.

Die Eruptionen nach der verpassten WM 1997 waren gewaltig. Die ganze Sportart wurde damals gehörig durchgeschüttelt, Bundestrainer Arno Ehret ging, für ihn kam Heiner Brand, der leitete einen gewaltigen Umbruch ein. Diesmal dürften ähnliche Entwicklungen drohen - zuvorderst auf der Position des Bundestrainers. Schwer vorstellbar, dass Brand nach einer verpatzten EM- und Olympiaqualifikation noch erster Mann im deutschen Handball bleiben könnte.

Die erste Partie gegen Island vom Mittwoch stimmt die deutsche Delegation diesbezüglich nicht sonderlich optimistisch. Die Niederlage bei den heimstarken Isländern war wohl einkalkuliert, jedoch nicht in dieser Höhe. Zu frappierend die Schwächen in der ersten Halbzeit: die Abwehr schwerfällig, die Chancenverwertung mangelhaft, die Zahl der technischen Fehler hoch. "Da müssen wir im zweiten Spiel anders auftreten", bekannte der Göppinger Mittelmann Michael Haaß.

Vor dem Rückspiel verbreitet zumindest Brand demonstrativ Gelassenheit. "Am Sonntag wird es weniger auf die Taktik ankommen, als auf die Bereitschaft zu kämpfen", erklärte Brand. Auch DHB-Vizepräsident Horst Bredemeier sagte: "Wir haben keine Angst, denn wir haben Ziele. Da wäre Angst der schlechteste Ratgeber." Gewinnt das deutsche Team, schiebt es sich mit 5:3 Punkten wieder hinter Spitzenreiter Österreich und vor Island auf Platz zwei der Gruppe. Nur die ersten beiden Mannschaften sind bei der EM in Serbien dabei.

Dazu beitragen soll, dass Holger Glandorf nach seiner Mini-Auszeit wieder im Kader steht. Im rechten Rückraum sind Adrian Pfahl (VfL Gummersbach) und Steffen Weinhold (TV Großwallstadt) zwar talentierte Alternativen, die Kampfkraft und Durchsetzungsstärke Glandorfs besonders in spielentscheidenden Situationen konnten sie in Island nicht ersetzen.

"Ich hoffe, dass Holger am Sonntag nicht durch ein anderes Ereignis abgelenkt wird", sagte Bundestrainer Brand. Ein Vorwurf war das ganz sicher nicht.

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