Handball:Drei Spielmacher, drei Kreuzbandrisse

Deutschland - Kroatien

Deutschlands Fabian Wiede (r) in Aktion gegen den Kroaten Zeljko Musa.

(Foto: dpa)
  • Im kommenden Januar findet die Handball-Europameisterschaft in Norwegen, Schweden und Österreich statt.
  • Schon jetzt steht fest, dass Deutschland auf der Spielmacher-Position Probleme haben wird - drei Kandidaten haben sich das Kreuzband gerissen.
  • Bundestrainer Prokop testet bereits kreative Lösungen.

Von Carsten Scheele, Hannover

Das Dilemma der deutschen Handballer lässt sich mit einem Laut umschreiben: Klack! Tim Suton, das Talent auf der Rückraum-Mitte-Position, hat es Anfang Oktober erwischt. Im Achtelfinale des DHB-Pokals machte es "klack" im rechten Knie des jungen Lemgoers, das vordere Kreuzband war durch, neun Monate Pause, die EM im Januar in Schweden, Norwegen und Österreich kann er vergessen. Wie auch Simon Ernst, ebenfalls Rückraum-Mitte, ebenfalls Kreuzbandriss im rechten Knie. Seine Geschichte ist besonders tragisch, beim Berliner hat es bereits zum dritten Mal in seiner Laufbahn "klack" gemacht, ihm droht im Alter von 25 Jahren das Karriereende. Beim dritten etatmäßigen Spiellenker, Martin Strobel, steht noch nicht fest, ob er fürs Turnier rechtzeitig fit wird. Er befindet sich in der Reha, nach seinem - klack! - Kreuzbandriss im Januar.

Es sind weniger gute Zeiten für deutsche Strippenzieher; Bundestrainer Christian Prokop hat auf dieser Position zu kämpfen, seit er das Amt im Jahr 2017 übernahm. Aus vielen gesunden, hochkarätigen Mittelmännern hat er noch nie auswählen dürfen, nun droht ihm eine Europameisterschaft ohne gelernten Dirigenten. "Es ist tragisch", sagt Prokop, die Mannschaft sei "sehr gebeutelt auf dieser Position". Jammern möchte er nicht: Erstens, weil Handball eine "Kontaktsportart" sei. Verletzungen tun weh, kommen aber vor. Zweitens, weil Prokop einen Plan B hat.

In der Not strebt er eine Mehrfachlösung an. Vor allem die Berliner Fabian Wiede (von halbrechts) und Paul Drux (von halblinks) sollen abwechselnd auf die Mitte rücken und das Angriffsspiel anleiten. Beide sind keine reinen Wurfmaschinen, sie verfügen über strategisches Gespür und Geschick. Ein klarer Nachteil ist es trotzdem gegenüber Spitzenteams wie Dänemark, die einen gelernten Mittelstrategen wie Rasmus Lauge aufbieten können, ebenso wie die Franzosen in Kentin Mahé oder die Norweger in Sander Sagosen. Solche Spieler hat Prokop nicht im Kader, er muss auf seine Notlösungen vertrauen. In Kai Häfner (MT Melsungen) und Steffen Weinhold (THW Kiel) hat er weitere Vertretungskräfte auf dem Zettel, beide sind Linkshänder wie Wiede. Bei Strobel wird es eng: Dessen Rückkehr sei "medizinisch möglich", sagt Prokop, aber er käme fast ohne Spielpraxis zur EM.

Der Bundestrainer hofft auf Wiedes Eingebungen

Wer auch immer im Januar in der Mitte spielt, muss das Angriffsspiel im Vergleich zur WM 2019 forcieren. Ein weiteres Turnier, bei dem die Mannschaft nur auf ihre starke Deckung baut, wird nicht den erhofften Titel bringen. Bei der EM muss Prokop zeigen, dass er bereit ist, mit mehr Risiko spielen zu lassen: Es gilt, den ersten schnellen Pass aus der Deckung heraus zu wagen, um leichte Tempogegenstoßtore zu ermöglichen - eine Disziplin, in der die Deutschen zuletzt weit von der Weltspitze entfernt waren. Auch der Positionsangriff muss flexibler werden. Dabei hofft der Bundestrainer vor allem auf Wiedes Eingebungen. Der Berliner hat das DHB-Spiel schon nach Strobels Verletzung bei der WM im Januar geleitet, er verfüge mit seinen 25 Jahren über eine "enorme Spiellesefähigkeit", lobt ihn Prokop. Wiede ist ein Handballer der furchtlosen Art; ein Freigeist, der auf kuriose Ideen kommt und sich nicht scheut, Verantwortung zu übernehmen. Wiede sei "ein kreativer Kopf, aber kein gelernter Mittelmann", schränkt jedoch der Nationalteamkollege Hendrik Pekeler vom THW Kiel ein: "Er kann die Position spielen, aber wahrscheinlich nicht immer über 60 Minuten."

Weiteres Potenzial hat Prokop bei den Torhütern ausgemacht, die bei der Weltmeisterschaft in keinem Spiel der entscheidende Faktor waren, was im Handball aber manchmal wichtig ist. Andreas Wolff (Vive Kielce) ist als Nummer eins gesetzt, dahinter hat sich Dario Quenstedt (Kiel) mit starken Paraden und einem in letzter Sekunde parierten Siebenmeter vor wenigen Tagen beim Test in Hannover gegen Kroatien (24:23) in die zweite Position geschoben. Die Torhüter sollen nicht nur den ein oder anderen schwer zu haltenden Ball parieren, sondern ebenfalls das Tempospiel ankurbeln.

Schnelle Pässe auf die rasenden Außenspieler werden zu selten riskiert, auch das hat Prokop zuletzt üben lassen. Quenstedt zeigte gegen Kroatien aber auch, wie es nicht sein sollte: Einen langen Pass erreichte Uwe Gensheimer nur mit den Fingerspitzen; einen noch längeren Ball setzte Quenstedt um Zentimeter neben das leere kroatische Tor. "Überhastet" sei das gewesen, urteilte Prokop, vom Prinzip her aber der richtige Weg zu den einfachen Toren.

Auch in der Mitte lief gegen die Kroaten nicht alles rund. Als der Gegner gegen Ende der ersten Halbzeit auf 13:11 davonzog, fehlte im deutschen Spiel ein Mann, der das keimende Chaos ordnet, ein Typ wie Markus Baur, der Weltmeister von 2007, in seinen besten Zeiten. "Im Angriff waren wir zu hektisch", kritisierte Pekeler. Es war kein direkter Vorwurf, aber eine Aufgabe, gerichtet an Fabian Wiede. In Berlin legt er auch deshalb seit Wochen Extraschichten ein, mit einer Trainerin arbeitet er an Führungsqualitäten, Ausstrahlung, der Ansprache an die Mitspieler. Er will der Chef sein, der noch fehlt.

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