Süddeutsche Zeitung

Deutsche Handballer:6000 Kilometer im Flugzeug

  • Die deutschen Handballer haben bei der EM einen der weitesten und beschwerlichsten Wege vor sich, um an die angestrebte Medaille zu kommen.
  • Kein Wunder, dass ihnen die Reform des erstmals mit 24 Teilnehmern und erstmals in drei Ländern ausgetragenen Turniers nicht gefällt.
  • Hier geht es zum Spielplan der Handball-EM.

Von Joachim Mölter, Wien

Dem Handballer Tobias Reichmann hat es sichtlich Spaß gemacht in der Wiener Stadthalle, und das lag nicht nur daran, dass er mit seinen Kollegen der deutschen Nationalmannschaft gerade ein Testspiel gegen Österreichs Auswahl gewonnen hatte, 32:28 (15:14). 5000 Besucher hatten am Montagnachmittag ja schon gereicht, um für eine stimmungsvolle Atmosphäre zu sorgen in Österreichs größter Veranstaltungsarena, obwohl dort bis zu 16 000 Menschen hineinpassen. "Wir kommen gerne wieder", hatte der Rechtsaußen Reichmann jedenfalls mit einem Lächeln versichert, ehe er mit seinem Team nach Trondheim weiterreiste.

In der norwegischen 200 000-Einwohner-Stadt hat die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) am Dienstag ihr vorläufiges Quartier bezogen für die am Donnerstag beginnende Europameisterschaft. Nach Wien werden Reichmann und Co. aller Wahrscheinlichkeit nach aber tatsächlich zurückkehren bei diesem kontinentalen Kräftemessen, das erstmals mit 24 Teilnehmern (statt 16) und erstmals in drei Ländern ausgetragen wird. Das DHB-Team ist mit Titelverteidiger Spanien in die Vorrundengruppe C gelost worden; die ersten zwei kommen weiter, und da sollten die Deutschen mit von der Partie sein angesichts der EM-Neulinge Niederlande und Lettland als weitere Gegner.

Das DHB-Team hat dennoch eine der beschwerlichsten und weitesten Strecken vor sich, um die erhoffte Medaille zu holen: Von der Vorrunde in Trondheim führt der Weg über die Hauptrunde in Wien zur Finalrunde nach Stockholm am letzten Januar-Wochenende. Zählt man An- und Abreise dazu, werden die deutschen Handballer bei dem Turnier rund 6000 Kilometer im Flugzeug zurücklegen. "Irgendwie fühlt es sich so an, dass wir quer durch Europa fliegen und zwischendurch ein bisschen Handball spielen", sagte der Kreisläufer Hendrik Pekeler am Dienstag vor dem Abflug in Wien dem Sport-Informations-Dienst.

Fehlende Erholung ist ein Dauerthema

Im deutschen Tross sieht man die EM-Reformen durchaus kritisch, Torhüter Andreas Wolff findet es "zumindest diskutabel, dass du ein Turnier in drei Ländern austrägst, die doch große Distanzen trennen". Auch DHB-Vizepräsident Bob Hanning ist grundsätzlich der Meinung, "dass eine Europameisterschaft in einem oder maximal zwei Ländern ausgetragen werden sollte"; nur das sorge für "eine maximale EM-Stimmung".

Die aktuelle Klimadebatte spielt bei dieser Debatte zwar auch eine Rolle, aber nur eine untergeordnete. Wolff hält die bevorstehende EM in diesem Zusammenhang für "wahrscheinlich nicht die sauberste Lösung"; und Hanning findet das Thema zwar durchaus wichtig, sagte der Deutschen Presseagentur aber: "Ich finde nicht, dass wir es jetzt auch noch auf eine Handball-EM übertragen müssen."

Zumal die Handballer kein schlechteres Gewissen haben müssen als die Fußballer, die in diesem Sommer ihre EM sogar in zwölf Ländern austragen. Allein in der Vorrundengruppe A beträgt die Luftlinie zwischen den Spielorten Rom und Baku 3100 Kilometer; die Kicker aus der Schweiz sammeln durch ihr Hin und Her innerhalb weniger Tage mehr Flugmeilen als die Handballer während des ganzen Turniers.

Auf der anderen Seite haben die Basketballer ihre kontinentalen Titelkämpfe schon vor neun Jahren von 16 auf 24 Teilnehmer erweitert und das Konzept der Mehrländer-EM bereits 2015 eingeführt: Seitdem werden die Vorrunden an vier Nationalverbände vergeben, von denen einer dann auch die Finalrunde übernimmt; bei der nächsten Auflage 2021 wird das der Deutsche Basketball Bund (DBB) tun.

Immerhin hat der europäische Verband bei dieser Gelegenheit auch den Turniermodus reformiert und die Zahl der Spiele reduziert, von maximal elf auf neun für die Finalteilnehmer. Er hat dafür die Zwischenrunde abgeschafft und stattdessen eine weitere K.-o.-Runde installiert, das Achtelfinale. Bei gleichbleibender Turnierdauer (17 Tage) erhalten die Profis dadurch ein wenig mehr Zeit zur Regeneration.

Fehlende Erholung bei zunehmender Belastung ist bei den Handballern ein Dauerthema. Und das wird trotz aller Appelle durch die Aufstockung der EM nun sogar verschärft. Hatten die Teams bis dato acht Spiele in 16 Tagen zu absolvieren, so werden es 2022 in Ungarn/Slowakei und 2024 in Deutschland neun im gleichen Zeitraum sein. Dass die diesjährige Auflage ausnahmsweise 17 Tage dauert, ist der zeitaufwendigen Reiserei zwischen Norwegen, Österreich und Schweden geschuldet, von der aber nur Teams der Vorrundengruppe C betroffen sind, also auch das deutsche.

Von den übrigen EM-Teilnehmern, die entweder komplett in Schweden bleiben, nur aus dem Nachbarland Norwegen anreisen oder eben einmal einen Trip aus Österreich unternehmen, sind bislang keine Klagen über den neuen Modus überliefert. Auch Bundestrainer Christian Prokop versucht, das Positive zu sehen: "Bei der EM haben wir einen zusätzlichen Reisetag, das ist schon mal ein kleiner Fortschritt."

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SZ vom 08.01.2020/ebc/cat
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