Deutscher Handball-Kader:Häuptlinge, Durchtanker und ein Wolff

Ein halbes Team fehlt verletzt: Nun sollen diese deutschen Handballer bei der EM um eine Medaille kämpfen. Der Kader in Kurzporträts.

Von Saskia Aleythe und Carsten Scheele

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Andreas Wolff (28 Jahre, KS Vive Kielce)

Russland - Deutschland

Quelle: dpa

Erfährt seit letztem Sommer das süße Leben in der polnischen Liga: Der Weltklassekeeper trägt die Kapitänsbinde und muss beim Spitzenklub Kielce weniger Spiele absolvieren als in der Bundesliga. Hat deshalb sogar ein Extra-Training mit dem Bundestrainer absolviert, weil ihm seit seinem letzten Spiel Mitte Dezember allzu langweilig geworden ist. Versicherte vor Turnierstart, die Mannschaft verspüre "Geilheit auf ein gutes Turnier". Sein geilstes Turnier hatte er 2016 - aber vielleicht ist ein ausgeruhter Wolff sogar ein noch gefährlicherer Wolff.

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Johannes Bitter (37, TVB Stuttgart)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Teil zwei des vermutlich stärksten deutschen Mannschaftsteils, und bekanntester Jogi nach Löw. Ist auch Weltmeister, musste 2007 im Finale den verletzten Henning Fritz ersetzen und hielt mit starken Paraden den Titel fest. Nahm sich 2011 eine Auszeit vom Nationalteam und ist nun selber schuld, dass er doch wieder spielen muss: Hält den TVB Stuttgart schon seit Jahren mit seinen Reflexen in der ersten Liga und ist in der Bundesliga aktuell bester Torwart mit 187 Paraden aus 19 Spielen. Bitter weiß, was er tut und bringt Autorität mit. Kann man ja mal gebrauchen.

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Uwe Gensheimer (33, Rhein-Neckar Löwen)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Was macht man als erstes, wenn man aus der Weltstadt Paris zurückkehrt nach Mannheim? Wahrscheinlich ein Restaurant eröffnen. Uwe Gensheimer ist im vergangenen Sommer jedenfalls unter die Gastronomen gegangen; mit Kürbissuppe und Rinderbäckchen lässt es sich besser leben als ohne. Schon seit sechs Jahren ist Gensheimer Kapitän des DHB-Teams, er bewies seine Oberhäuptling-Qualitäten bei der Heim-WM und war einer der traurigsten, als die Deutschen im Spiel um Platz drei knapp die Medaille verpassten. An ihm lag das nicht, der Mann mit dem Handgelenk aus Wackelpudding spielte ein starkes Turnier. Verpasste den EM-Triumph 2016 aufgrund einer Verletzung, ist also besonders angestachelt, diesmal eine Medaille zu gewinnen.

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Patrick Zieker (26, TVB Stuttgart)

Medientermin Handball-Nationalmannschaft

Quelle: dpa

Einer von zwei Debütanten im Kader. Fährt mit der geballten internationalen Erfahrung aus zwei Länderspielen zur EM, ist auf Linksaußen damit, klar, die Nummer zwei hinter Gensheimer, obwohl er in der Bundesliga fast ebenso viele Tore erzielt hat. Zieker bringt eine wertvolle taktische Komponente mit in den Kader, da er aufgrund seines griffigen Defensivspiels auf der halblinken Abwehrseite eingesetzt werden. Ist zudem ein richtig guter Siebenmeterschütze.

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Fabian Böhm (30, TSV Hannover-Burgdorf)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Wird von Bundestrainer Prokop "der Krieger" genannt, was nach Spezialkraft klingt. Das war Böhm bei der Heim-WM 2019 auch, als er meist dann in eine Partie kam, wenn Prokop ein unorthodoxes Element im Spiel vermisste. Doch Böhm hat sich weiterentwickelt, ist beim Bundesliga-Überraschungsteam Hannover-Burgdorf mittlerweile nicht nur der Antreiber, sondern auch der umsichtige Kapitän. Auch wichtig: Scheut sich nicht, die richtig harten Zweikämpfe zu führen.

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Julius Kühn (26, MT Melsungen)

Deutschland - Island

Quelle: dpa

Ist das, was im deutschen Team bei der vergangenen WM innigst vermisst wurde: Ein wuchtiger Haudrauf, ein sogenannter Shooter, der selbst ohne Anlauf kaum aufzuhalten ist beim Torewerfen. Verpasste die Heim-WM wegen eines Kreuzbandrisses, bekommt nun endlich seine Bühne für Großtaten. Erlebte 2016 mit dem EM-Sieg und Olympia-Bronze einen rasanten Aufstieg und will daran nun dringend anknüpfen.

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Philipp Weber (27, SC DHfK Leipzig)

Medientermin Handball-Nationalmannschaft

Quelle: dpa

Profiteur der vielen Ausfälle im Rückraum, bekommt nun zum zweiten Mal die Chance, sich bei einem großen Turnier zu bewähren. War 2018 bei der der EM dabei, dummerweise passierten dem Torschützenkönig der Saison 2016/2017 in entscheidenden Situationen die schlimmsten Fehlpässe. Hat sich zumindest bei seinem Verein in Leipzig davon erholt und ist dort ein wichtiger Torgarant, der auch oft das Spiel in die richtigen Bahnen lenkt. Präzise Würfe sind sein Ding, an Durchschlagskraft fehlt es ihm manchmal.

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Paul Drux (24, Füchse Berlin)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

So schnell kann es gehen: Mit 24 Jahren ist Paul Drux plötzlich der erfahrenste Spieler im deutschen Rückraum - und wird vermutlich häufig auf der verwaisten Mittelmannposition das Spiel anleiten müssen. Bringt einen großen Vorteil mit: Drux ist auch bei den Füchsen Berlin eine Institution, an Spielpraxis und Erfahrung mangelt es ihm nicht. Hatte vor ein paar Jahren noch arge Verletzungssorgen, die haben nun seine Vereinskollegen Fabian Wiede und Simon Ernst getroffen. Ist ein Handballer der Marke Durchtanker, schlüpft durch die kleinsten Lücken, auch wenn es wehtut.

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Marian Michalczik (22, GWD Minden)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Eines kommt im Handball sehr oft zum anderen und so konnte sich Marian Michalczik im vergangenen halben Jahr gleich über zwei Ereignisse freuen: Die Füchse Berlin verpflichteten den Kapitän der GWD Minden zur kommenden Saison und auch ins DHB-Team hat er es nun geschafft. 2016 wurde der Spielgestalter mit der U20 Vize-Europameister, nun kann er sich aufgrund konstant guter Leistungen in Minden und diverser Ausfälle im DHB-Team auch bei der EM der Großen beweisen. Bei den Angriffen könnte er für oft vermisstes Tempo sorgen, allerdings muss sich zeigen, wie gut die Nerven auf der großen Bühne mitspielen.

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Kai Häfner (30, MT Melsungen)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Bei ihm liegen die Dinge ähnlich gelagert wie beim Kollegen Böhm: Kai Häfner war lange der Typ Ergänzungsspieler, nun ist er durch die vielen Verletzungen in die erste Sieben aufgerückt. In Fabian Wiede und Steffen Weinhold fehlen echte Weltklassespieler auf der halbrechten Position - hier muss Häfner zeigen, dass er die Konstanz für ein ganzes Turnier besitzt. Traut sich die finalen Würfe zu, so geschehen bei der EM 2016, als er das deutsche Team in den letzten Sekunden der Nachspielzeit gegen Norwegen ins Finale schmiss.

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David Schmidt (26, TVB Stuttgart)

Germany Handball Team Presentation

Quelle: Bongarts/Getty Images

Noch ein Debütant, und tatsächlich der dritte Stuttgarter im EM-Kader. Hat 2016 mit den Rhein-Neckar Löwen den EHF-Pokal gewonnen, ansonsten hält es sich mit Schmidts internationaler Erfahrung in Grenzen. Profiteur der vielen Verletzungen im Rückraum, erhält bei der EM die wohl einmalige Chance, sich bei einem großen Turnier von Anfang an zu beweisen. Weiß definitiv, wo das Tor steht: Traf kurz vor der EM gegen die Füchse Berlin gleich zehnmal.

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Tobias Reichmann (31, MT Melsungen)

Deutschland - Island

Quelle: dpa

Löste vor der Heim-WM gehörigen Trubel aus, als er für den 16er-Kader nicht berücksichtigt wurde und zum Urlaub Richtung USA flog, statt sich für eine Nachnominierung bereit zu halten. Beim Trainer konnte er nun trotzdem wieder landen, DHB-Vizepräsident Bob Hanning bezeichnete ihn unlängst als "Ego" und meinte das positiv. Reichmann soll offensichtlich Stimmung in die Bude bringen, auf dem Feld hat er ohnehin auch schon was vorzuweisen: Beim EM-Sieg 2016 war der Rechtsaußen zweitbester Torschütze des Turniers.

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Timo Kastening (24, TSV Hannover-Burgdorf)

Medientermin Handball-Nationalmannschaft

Quelle: dpa

In Hannover sind sie sehr traurig, dass Timo Kastening nach dieser Saison nach Melsungen wechseln wird. Vermutlich ist der junge Rechtsaußen einfach bereit für den nächsten Schritt. Ist bei seinem ersten großen Turnier auf Rechtsaußen zunächst die Nummer zwei hinter Reichmann, kann aber mit seinem Spielwitz, seinen vielen Wurfvarianten und seiner Nervenstärke noch wichtig werden. "Er hat unglaublich viel Talent", sagt der frühere Weltklasse-Außenspieler Stefan Kretzschmar.

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Hendrik Pekeler (28, THW Kiel)

Handball: DHB-Spieler Hendrik Pekeler beim Spiel gegen Island

Quelle: Uwe Anspach/dpa

Ist ein Mann mit Biss. Isst vor jedem Spiel einen Teller Spaghetti Bolognese und bunkert Kaugummi im Sockenbund. Ansonsten immer bei der Sache, hat die erfolgreiche Kieler Abwehrformation in die Nationalmannschaft mitgebracht und zusammen mit Patrick Wiencek perfektioniert, was bei der WM 2019 großen Anteil am Erreichen von Platz vier hatte. Galt in Kiel vor ein paar Jahren schon als gescheitert, als er wegen Undiszipliniertheiten den Verein verlassen musste. Alte Geschichten, Pekeler hat längst neue geschrieben. Denn er hat ja eine Gabe: Er sieht Spielzüge der Angreifer schon, bevor sie kommen.

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Patrick Wiencek (30, THW Kiel)

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Quelle: Soeren Stache/dpa

Laut offizieller Auszeichnung Deutschlands "Handballer des Jahres". Hat vor der EM verraten, dass er manchmal Thermo-Unterwäsche trägt, jedoch ausschließlich zu Regenerationszwecken. Ist ansonsten das, was man von einem kompletten Abwehrspieler erwarten kann: groß, wuchtig, schnell, knochenhart und unerbittlich. Bildet so zusammen mit Hendrik Pekeler den gefürchteten Kieler Mittelblock. Ist privat aber, das beteuern alle, die ihn kennen: ganz, ganz lieb.

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Jannik Kohlbacher (24, Rhein-Neckar Löwen)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

So breit wie hoch, das kann für Handballer tatsächlich ein Kompliment sein. Wenn Kohlbacher sich durch fremde Abwehrhände dreht, macht er sich klein und wird zum Kraftwürfel, der mit 110 Kilogramm Richtung Tor wirbelt. Hat es geschafft, im Verbund mit Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek das stärkste Kreisläufer-Trio zu bilden, das Deutschland je hatte. Hat als leidenschaftlicher Angler und Zimmergenosse von Andreas Wolff schon viel Geduld bewiesen, auch so etwas kann ein Handballspiel entscheiden.

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Johannes Golla (22, SG Flensburg-Handewitt)

Johannes Golla

Quelle: dpa

Versierter Kreisläufer und hervorragender Abwehrspieler. Hat im deutschen Handball-Team drei Probleme: Die heißen Pekeler, Wiencek und Kohlbacher. In jeder anderen Nationalmannschaft wäre der junge Flensburger längst Stammkraft, beim DHB hat Golla aber diese drei Hünen im besten Handballeralter vor sich. Golla ist mit 22 Jahren der Jüngste, er nimmt vorerst den undankbaren 17. Kaderplatz ein, hält sich für eine Nachnominierung bereit. Seine Zeit kommt vielleicht noch.

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Christian Prokop (41, Bundestrainer)

Germany v Iceland - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Hat in jungen Jahren als Bundestrainer viel erlebt: Stand nach der verpatzten EM 2018 vor dem Aus, als sich ein Teil der Mannschaft gegen Prokop aussprach. Durfte aber weitermachen. Erfand sich als Reaktion bei der Heim-WM 2019 quasi neu: Hört seitdem viel mehr auf seine Spieler, lässt sie Entscheidungen treffen, muss nicht mehr alles kontrollieren. Das kommt in der Mannschaft sehr gut an.

© SZ.de/tbr
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