Süddeutsche Zeitung

Handball-EM:Er fängt den Ball im Fallen mit einer Hand

  • Torwart Johannes Bitter füllt seine Rolle bei der EM bislang perfekt aus.
  • Als zweiter Torwart ist er der kumpelige Antreiber - aber er hält auch stark, wie gegen Österreich.
  • Hier geht es zum Spielplan der Handball-EM.

Von Saskia Aleythe, Wien

Johannes Bitter ist ein freundlicher Typ, der auch seine Gegner schätzt. Doch manchmal - es nützt ja nichts - kann man auf die Gefühle der anderen keine Rücksicht nehmen. Und so wurde es in der 57. Minute für Gastgeber Österreich gegen Deutschland extra betrüblich: Da fing Bitter einen Ball einfach ab, im Fallen, mit einer Hand. Als hätte man ihm gerade locker eine Orange zugeworfen.

Jogi-Sprechchöre hallten durch die Stadthalle in Wien, es erinnerte an das WM-Endspiel 2007, als Bitter für den verletzten Henning Fritz in die Partie gekommen war und mit seiner berufsbedingten Abwehrhaltung die Goldmedaille ermöglicht hatte. Auch wenn es in Wien nicht mehr um Titel ging, war die Zuneigung der Zuschauer für Bitter grenzenlos. "Das war wunderschön", sagte der Torhüter, der mit 54 Prozent gehaltener Bälle zum Spieler der Partie gewählt wurde, "das fühlt sich alles toll an und könnte noch ewig so weitergehen."

Dass er mit 37 Jahren überhaupt in die Mannschaft gerutscht war, war eine untypische Nominierung für Christian Prokop, der Bundestrainer setzt sonst eher auf Verjüngung im Kader - doch er hatte einen wichtigen Hintergedanken. Mit 187 Paraden ist Bitter in der aktuellen Bundesliga-Saison unübertroffen, Prokop ging es aber vor allem um Bitters menschliche Qualitäten. Er gebe den jungen Spielern viel Rückhalt, "steckt mit neue Ziele und verkörpert diese auch".

"Er hat seine Rolle perfekt bis hierhin ausgefüllt", sagt Prokop

Andreas Wolff ist im Tor noch immer die erste Wahl, in der Hauptrunde musste Bitter von der Bank verfolgen, wie gegen Kroatien der Traum vom Halbfinale zerschellte. "Er hat seine Rolle perfekt bis hierhin ausgefüllt", sagte Prokop, "er hat in jeder Mannschaftssitzung seine Meinung gesagt." In einem Team, das für zwischenmenschliche Schwingungen recht empfänglich ist, kann ein kumpeliger Antreiber wie Bitter von hohem Wert sein. "Ich glaube, alle Leute merken das, dass ich der Mannschaft etwas geben kann", sagte Bitter, "dass ich auch die Fans mitreißen kann. Wenn ich spiele und auch, wenn ich nicht spiele."

Tatsächlich waren es nicht nur die 15 Paraden, die ihn beim 34:22 gegen Österreich auszeichneten, mit schnellen und vor allem sicheren Pässen beschleunigte Bitter zudem das Spiel nach vorne. Mit nun 151 Länderspielen kann Bitter in Sachen Erfahrung kaum einer was vormachen, auch wenn er zuletzt vor neun Jahren ein großes Turnier gespielt hat. 2011 hatte er sich eine Pause verordnet, wollte mehr Zeit für die Familie haben. Statt um Medaillen kämpfte Bitter mit dem TVB Stuttgart erfolgreich gegen den Abstieg.

"Ich spüre da keinen großen Druck mehr. Ich stelle mich hier in die Halle und spiele Handball", sagte er in Wien, Gelassenheit hat er manch jungem Kollegen voraus. Sollte das Team sich für Olympia qualifizieren, hätte Bitter auch mit 37 Jahren ganz gute Argumente auf seiner Seite.

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SZ vom 22.01.2020/ebc
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