Süddeutsche Zeitung

Handball-EM:Die Weltspitze ist zu weit weg

Die deutschen Handballerinnen verabschieden sich von der EM- und setzen mit der Niederlage gegen Turnierfavorit Frankreich eine unliebsame Serie fort.

Von Ulrich Hartmann, Skopje/München

Letztlich hat es der Spielplan bei der Europameisterschaft sogar gut gemeint mit den deutschen Handballerinnen. Nach ihrem schönsten Sieg, einem 36:28 gegen die Niederlande, hatten sie exakt vier Tage und eine Stunde Zeit, um dieses Gefühl zu genießen. Und nach ihrer schmerzhaftesten Niederlage, einem 21:29 gegen Frankreich, brauchten sie bloß siebzehneinhalb Stunden auszuhalten, bevor sie wieder aufs Feld durften.

Aus psychologischer Sicht ergaben die so unterschiedlichen Wartezeiten also durchaus Sinn, aus körperlichen Erwägungen heraus waren die deutschen Frauen aber weniger zufrieden mit dem Umstand, dass sie am späten Dienstagabend gegen Frankreich und am Mittwochnachmittag bereits wieder gegen Rumänien spielen mussten. Mit einem xx:xx ging hierbei die Hauptrunde für sie zu Ende. Bereits nach der Niederlage gegen Frankreich am Vorabend war klar gewesen, dass es mit dem Halbfinale auch diesmal nichts wird. Aber das war für die deutschen Handballerinnen eh kein Schock mehr.

Denn es war auch bei dieser EM in Montenegro, Nordmazedonien und Slowenien wieder alles so, wie man es von der deutschen Frauenmannschaft kennt. Wenn der Druck nicht übermäßig groß ist, so wie im ersten Turnierspiel gegen Polen (25:23) und zum Auftakt der von Beginn an recht aussichtslosen Hauptrunde (36:28 gegen die Niederlande), dann zeigen die Handballerinnen, zu welchen Leistungen sie fähig sind. Aber wenn es ernst wird, tun sie sich schwer. 25:29 gegen Montenegro, 21:23 gegen Spanien und 21:29 gegen Frankreich - damit war klar, dass es eine deutsche Frauenmannschaft auch im 14. Jahr nacheinander nicht ins Halbfinale eines großen Turniers schafft und dass sie im 15. Jahr nacheinander keine Medaille gewinnt.

Diese Inkonstanz "ist uns jahrelang auf die Füße gefallen"

Sie trug es immerhin mit Fassung. Im Studio der übertragenden Streaming-Anstalt sportdeutschland.tv saß bei den deutschen Spielen als Expertin die vormalige Nationalspielerin Ina Großmann und wurde gefragt, warum es der Mannschaft Jahr für Jahr an jener Konstanz fehlt, die es in solchen Turnieren bräuchte. "Ach", antwortete die 32-Jährige lächelnd, "das wurde ich jahrelang als Nationalspielerin gefragt und jetzt werde ich es wieder gefragt, aber ich weiß es nicht." Diese Inkonstanz, "die ist uns jahrelang auf die Füße gefallen", erklärte Großmann. Und so schnell scheint sich daran auch nichts zu ändern.

Zumindest an die beiden Topnationen ist im Moment kein Herankommen. Frankreich und Norwegen werden voraussichtlich auch am Sonntag in Ljubljana das Endspiel bestreiten. Sie haben das Endspiel bei der EM 2020 bestritten (Sieger Norwegen) und das Endspiel bei der WM 2021 (Sieger Norwegen), bloß im olympischen Finale in Tokio 2021 verpasste Norwegen das Finale, da gewann Frankreich gegen Russland. In Ljubljana würde Frankreich sein drittes EM-Finale in Serie bestreiten, für die Norwegerinnen wäre es binnen elf EM-Turnieren die zehnte Finalteilnahme. Und Deutschland? "Für uns", sagt die Rückraum- und Abwehrspezialisten Xenia Smits, "ist das Ziel, ganz oben anzuklopfen, aktuell noch einen Tick zu weit entfernt."

Dieser Tick wäre noch einen Tick kleiner, wenn mehr Nationalspielerinnen die Qualität und das Durchsetzungsvermögen der drei Rückraumspielerinnen Inger Smits (Bietigheim), Emily Bölk (Ferencvaros Budapest) und Alina Grijseels (Borussia Dortmund) besäßen. Diese drei (und die Linksaußen Johanna Stockschläder vom Thüringer HC) spielten die meiste Zeit, warfen die meisten Tore und zeigten ihr Potenzial in Spielsituationen, in denen Körpersprache erforderlich war. Auch daran mangelt es der deutschen Mannschaft noch zu häufig.

Der neue Bundestrainer Markus Gaugisch, der bis zum Saisonende parallel auch die Bundesligafrauen der SG BBM Bietigheim trainiert, hat bei der EM direkt einen sehr guten Eindruck davon bekommen, was bei den deutschen Spielerinnen im Argen liegt. In Bietigheim haben sie mit fünf Titeln in den vergangenen eineinhalb Jahren solche Drucksituationen gut hinbekommen, im Nationalteam nicht. Diesen Unterschied hat auch Gaugisch bei der EM gesehen. Vor der EM hatte er die nicht ganz ernst gemeinte Frage, welche seiner beiden Mannschaften eigentlich die bessere sei, höflich weggelächelt. "Sie sind beide gut", hat er diplomatisch geantwortet.

Dem Nationalteam stehen nun drei eminent wichtige Jahre bevor: 2023 die WM in Skandinavien, 2024 Olympia in Paris und 2025 die Heim-WM in Deutschland und den Niederlanden. Dann gilt mehr denn je, Boden zur Weltspitze gutzumachen. Wenigstens ein bisschen.

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