Handball-EM:Deutschlands beste Schützen fallen aus

Germany v Hungary - Men's EHF European Championship 2016

Die Power von Christian Dissinger wird dem deutschen Team ab jetzt fehlen.

(Foto: Adam Nurkiewicz/Getty Images)
  • Den Sieg gegen Russland hat sich die deutsche Handball-Nationalmannschaft teuer erkauft. Steffen Weinhold und Christian Dissinger fallen verletzt aus.
  • Vor dem entscheidenden Spiel ums Halbfinale gegen Dänemark am Mittwoch muss Trainer Dagur Sigurdsson erneut improvisieren.

Von Saskia Aleythe

Grimmige Gesichtszüge sind bei Dagur Sigurdsson eine Seltenheit. Der Mann stammt zwar aus Island und ist naturgemäß nicht von der Sonne geküsst, der Bundestrainer der deutschen Handballer trägt trotzdem eine positive Grundhaltung in sich. Montagmittag im Teamhotel knetet Sigurdsson die Hände, neben ihm Bob Hanning, der Präsident des deutschen Handballbundes, der eine schmerzhafte Botschaft verkündet: Diese Handball-EM in Polen ist für Kapitän Steffen Weinhold und für Christian Dissinger beendet. Sigurdsson knetet weiter, in seinem Blick hängen Sorgen.

Was am Sonntagabend, nach dem knappen 30:29 gegen Russland schon bitter in der Luft lag und die Euphorie dämpfte, ist jetzt Gewissheit: Das deutsche Team muss in der entscheidenden Phase dieses Turniers ohne seine besten Schützen auskommen. Weinhold fällt mit einem Muskelbündelriss der Adduktoren bis zu acht Wochen aus, auch Dissinger plagt eine Verletzung der Adduktoren. Sigurdsson sagt: "Das ist ein kleiner Schock. Das ist eine riesige Aufgabe jetzt."

Weinhold und Dissinger waren die besten deutschen Feldtorschützen dieses Turniers, zusammen kamen sie auf 36 Treffer.

"Das wirft uns einfach zurück"

In Wahrheit ist das, was Sigurdsson gerade erlebt, ein ziemlich großer Schock. Ungefähr so, als würden in der Fußballnationalmannschaft Bastian Schweinsteiger und Karim Bellarabi gleichzeitig ausfallen. Und zwar, nachdem schon Jérôme Boateng, Philipp Lahm, Mats Hummels und Thomas Müller verletzt hatten absagen müssen. Genau das ist Sigurdsson vor diesem Turnier passiert: Ihm ist fast seine ganze erste Mannschaft weggebrochen. Paul Drux, Patrick Groetzki, Uwe Gensheimer, Patrick Wienczek reisten nicht mit nach Polen. "Die Situation jetzt ist damit nicht zu vergleichen", sagt Sigurdsson, "es ist sehr kurzfristig jetzt, wir können uns nicht lange vorbereiten".

Am Mittwoch spielt die deutsche Mannschaft gegen Dänemark, es ist das Endspiel ums Halbfinale bei dieser EM. Schon mit Weinhold und Dissinger wäre ein Sieg gegen den zweimaligen Europameister schwierig zu erringen gewesen - nun rückt er noch weiter ins Reich der Wunschvorstellungen. In Panik verfällt Sigurdsson nun nicht, dafür ist er nicht der Typ. Aber er weiß: Es wird jetzt verdammt schwer. "Wir waren in einem guten Rhythmus, hatten einen guten Lauf", sagt er, "das wirft uns einfach zurück."

"Wir haben schon so viele Rückschläge verkraftet"

Sigurdsson hatte sich mit all diesen Verletzungen vor der EM abgefunden, er hat sich nicht beklagt oder selbst bemitleidet ob der vielen Ausfälle. Er holte etliche Neulinge ins EM-Team, die deutsche Mannschaft ist die jüngste im Turnier. Und es ist wohl Sigurdssons größtes Vermächtnis, wie er vor ihnen auftritt und sie einsetzt. Mal trumpften die Kreisläufer groß auf, mal der Rückraum und wenn es hapert, stellt Sigurdsson einfach um. Die Stärke zum Improvisieren hat maßgeblich zum bisheren Erfolg geführt. "Wir haben mehrere Leute über das ganze Turnier, die die Verantwortung getragen haben", sagt Sigurdsson, "jetzt werden andere wieder Verantwortung übernehmen". Ein bisschen Mut machen muss sein. Nützt ja nichts.

Für die Verletzten rücken Julius Kühn, 22, und Kai Häfner, 26, ins Team. Die beiden haben schon die EM-Vorbereitung mit bestritten, das ist ein Vorteil. Wenn man alle so reden hört in dieser Mannschaft, dann ist davon auszugehen, dass die Deutschen trotz der Ausfälle mit großer Moral gegen Dänemark antreten werden. Der verletzte Weinhold äußerte sich im Teamhotel. Traurig sei er, klar. "Andererseits haben wir auch die Möglichkeit, frische Spieler in den Kader zu holen." Und Torhüter Carsten Lichtlein, der gegen Russland fast jeden dritten Ball abwehrte, sagt: "Wir haben schon so viele Rückschläge verkraftet, das werden wir als Team jetzt auch verkraften." Nur der Traum vom Halbfinale, er wird nun vielleicht einer bleiben.

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