Süddeutsche Zeitung

Deutschland bei der Handball-EM:Ein Bekenntnis für den Trainer

  • Beim 34:22 gegen Österreich setzen die deutschen Handballer auch ein Zeichen für Trainer Christian Prokop.
  • Ein Satz von DHB-Vizepräsident Bob Hanning hatte vorher für Spekulationen um Prokops Job gesorgt. Nun fühlt Hanning sich missverstanden.
  • Von den Spielern kommt Lob für die Arbeit des Bundestrainers.

Von Saskia Aleythe, Wien

Es gab Momente in diesem Turnier, da hatte es Johannes Bitter nicht allzu leicht. Im Spiel gegen Weißrussland etwa, da versuchte der Torwart, das Publikum in der Halle zum Klatschen zu bewegen. Er lief von der Auswechselbank in einer Auszeit aufs Feld, streckte die Arme zur Seite aus und wippte mit ihnen, doch der Großteil der Zuschauer verharrte träge auf seinen Sitzen. Und weil er mit dem Herzen bei der Sache ist, versuchte Bitter es noch auf der anderen Seite der Tribüne, mit dem gleichen Ergebnis. Das war fast schon rührend anzusehen, aber auf jeden Fall ein Zeichen: Widerstände sind für den 37-Jährigen eher Ansporn als Problem.

"Ich glaube, jeder sieht, wie viel Spaß mir das macht, hier zu spielen", sagte Bitter nach dem 34:22 gegen Österreich; da hatte der Weltmeister von 2007 gerade 15 Wurfgeschosse abgewehrt. Einen, der Spaß hat, den haben sie im DHB-Team gerade dringend gebraucht; weil die dramatisch verlorene Partie gegen Kroatien ihre Halbfinal-Träume so schmerzhaft zerstört hatte. "Ich gehe heute mit einem guten Gefühl ins Bett", sagte Bundestrainer Christian Prokop schließlich; was er mit dem couragierten Auftritt seiner Mannschaft gegen Österreich begründete - aber tatsächlich war es in dieser Partie ja auch um seinen Job gegangen. Oder nicht?

Spekulationen darum hatte ein Satz von Bob Hanning ausgelöst. Der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) sagte noch am Abend nach der bitteren Pleite gegen Kroatien, dass er "im Moment" keinen Grund für eine Trainerdiskussion sehe und auch nicht davon ausgehe, "dass es nach dem Turnier dazu kommt". Doch dann kamen eben am nächsten Mittag im Teamhotel der Deutschen auch neue Aussagen dazu, Hanning nannte es nicht nur "elementar wichtig", die EM erfolgreich zu Ende zu bringen und erhöhte den Druck mit der Forderung nach Platz fünf. Er sagte auch, in zahlreiche Mikrofone: "Was macht diese Mannschaft mit ihrem Trainer morgen Abend?" Als könnte die Spielweise über die Zukunft des Coaches entscheiden. Die Wortwahl Hannings ist in der Regel so zufällig wie die Wahl seines Outfits. Gar nicht.

Nach dem Österreich-Spiel fühlte sich der 51-Jährige nun missverstanden, er habe "den Trainer nie öffentlich in Frage gestellt". Dabei war selbst Torwart Andreas Wolff davon ausgegangen, dass hinter seiner Aussage ein gewisses Kalkül steckte. "Ich denke, der alte Taktikfuchs Hanning hat das sehr clever gemacht, dass er die Mannschaft gekitzelt hat", sagte der 28-Jährige, "dass das kein Spiel wird, das zur Schlafnummer mutiert. Ich denke, das Spiel heute spricht für sich." Und so wurde der Abend dann zu einem Bekenntnis für den Trainer, das es in der bald dreijährigen Amtszeit so deutlich noch nicht gegeben hatte.

"Da war das heute ein Spiel in die richtige Richtung", findet Trainer Prokop

"Ich finde, er macht super Arbeit", sagte Kreisläufer Jannik Kohlbacher, "das Gefühl in der Mannschaft mit ihm ist super. Ich würde gerne daran festhalten und so weitermachen." Auch Spielgestalter Philipp Weber wollte eine Entwicklung unter Prokop erkannt haben. Die letzten drei Spiele in der Hauptrunde gegen Weißrussland, Kroatien und jetzt Österreich hätten gezeigt, dass ihr Angriff alles andere als statisch sei, was Ex-Weltmeister Daniel Stephan vorab moniert hatte, "und das ist ein Argument für den Trainer".

Dass es nach Platz neun bei seiner ersten EM als Trainer 2018 deutliche Spannungen mit den Spielern gegeben hat, gab Prokop einst selber zu. "Ich hatte Teile der Mannschaft verloren", sagte er einmal der Welt; vor der Heim-WM 2019 investierte der 41-Jährige dann viel in die persönlichen Bindungen, bezog seine Mannschaft auch in die Gestaltung ihres Spiels mehr mit ein. "Vielleicht musste er sich erst daran gewöhnen, dass er mit richtig guten Spielern zusammenarbeitet", sagte Rechtsaußen Patrick Groetzki dann bei der WM. Es ist wichtig, das noch einmal in Erinnerung zu rufen, wenn man nun Hanning, der Prokop einst für 500 000 Euro vom Bundesligisten SC DHfK Leipzig freigekauft hatte, in Wien reden hört. "Die Mannschaft konnte immer mit dem Trainer", sagte er, "die Mannschaft hat nicht einmal nicht mit dem Trainer gekonnt."

Fakt ist, dass es in dieser Partie gegen Österreich dann doch um mehr ging für Prokop als um die Chance auf Platz fünf. Einen Trainer nach einem knapp verpassten Sieg gegen die starken Kroaten in Frage zu stellen, fand Prokop selber "völlig überflüssig". Nicht nur die Ergebnisse sollten seiner Meinung nach zählen, wichtiger sind ihm Kampfgeist und die Entwicklung seiner Mannschaft. "Da war das heute ein Spiel in die richtige Richtung", fand er.

Nach widrigem Start und einem 5:7-Rückstand (11. Minute) machten sich Umstellungen in der Abwehr bezahlt; mit der Einwechslung von Bitter für Wolff stand es schnell 12:10. Der so oft erlebte Einbruch in der zweiten Halbzeit blieb dieses Mal aus, was dann tatsächlich eine Charakterleistung darstellt. "Wenn man nicht weitermacht, kann man sich das Vergangene auch schenken", sagte Timo Kastening, der gerade sein erstes Turnier spielt. Er war mit sechs Toren schon wieder bester Torschütze. Von allen Deutschen hat er die meiste Spielzeit bekommen, liegt mit 25 Treffern vor allen anderen deutschen Kollegen. Es gibt sie halt schon, die Gewinnertypen im deutschen Team. Am Montagabend gehörte auch Christian Prokop dazu.

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